Steuerflucht: Jenseits von Afrika
21. April 2019Immer wieder schlagen Nichtregierungsorganisationen Alarm: Afrikanische Länder würden um Milliarden an Steuereinnahmen geprellt - vor allem von großen ausländischen Unternehmen aus dem Energie- und Rohstoffsektor, aber immer öfter auch von kleinen und mittleren Unternehmen, etwa Veranstaltern von Safaris in Ländern wie Kenia, Tansania, Südafrika oder Ägypten. Die jährlichen Verluste überstiegen mit 50 Milliarden US-Dollar sogar die Summe Entwicklungshilfszahlungen an Afrika, stellte die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung vergangenes Jahr fest. 100 Milliarden waren es bei der UN-Wirtschaftskommission für Afrika, andere Schätzungen sind um ein Vielfaches höher.
Besonders problematisch daran sei, dass dieses Geld den betroffenen Ländern dringend fehle, sagt Lisa Großmann vom "Netzwerk Steuergerechtigkeit", einem Zusammenschluss von deutschen Nichtregierungsorganisationen, die sich gegen Steuerflucht und Schattenwirtschaft weltweit einsetzen. "Vor allem in den ärmsten Ländern machen sich die fehlenden Steuereinahmen negativ bemerkbar - angefangen bei der nicht vorhandenen Verkehrsinfrastruktur, fehlenden Schulen oder Krankenhäusern, und einem nicht funktionierenden öffentlichen Dienst", so Großmann im DW-Interview.
Ostafrika: Niedriges Steueraufkommen im Rohstoffsektor
Beispiel Ostafrika: In großem Stil fördern internationale Konsortien Gas, Kohle oder seltene Erden in Tansania oder Mosambik, zahlen aber in den Ländern kaum Steuern. Dabei stützen sie sich auf Tochtergesellschaften in einer der vielen Steueroasen dieser Welt. Enthüllungen des Internationalen Konsortiums investigativer Journalisten (ICIJ) zeigen, dass sich die Unternehmen in Afrika international bewährter Methoden der Steuervermeidung bedienen. Ein Großteil der in Afrika erzielten Konzerngewinne fällt offiziell in der Steueroase an - obwohl das Unternehmen dort nur auf dem Papier aktiv ist. Die Risiken halten sich in Grenzen: Der bürokratische Aufwand ist minimal, die Behörden in den Steueroasen stellen keine unangenehmen Fragen - und erheben vor allem keine oder nur minimale Steuern auf Gewinne.
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In Mosambik veröffentlichte die NGO "Centro de Integridade Pública" im vergangenen Jahr eine Studie, nach der sich das Land seit Jahren als unfähig erweist, Steuern einzutreiben. Vor allem die großen internationalen Konzerne, die Öl und Gas in Mosambik fördern, kommen dieser Studie zufolge kaum ihren Verpflichtungen nach. Denn der Staat sei kaum in der Lage, ihre Aktivitäten und Bilanzen zu überprüfen. Dadurch gehen Mosambik Einnahmen in Millionenhöhe verloren. Korruption und Misswirtschaft und generell schwache Regierungsführung verschlimmerten die Situation extrem, so die Autoren der im Sommer 2018 veröffentlichten Studie.
Kriminelle Energie zum Nachteil der afrikanischen Bevölkerung
Eine weitere beliebte Steuervermeidungsmethode: Die Unternehmen geben beim Fiskus deutlich überhöhte Betriebskosten an - beispielsweise für die Suche und Erkundung von neuen Rohstoff-Lagerstätten oder für die Unterbringung ihres Personals in Luxusvillen - und rechnen so ihre Gewinne und damit ihre Steuerlast herunter.
"Wenn es um Ressourcen geht, dann ist es gängige Praxis, dass Firmen zweifelhafte Angaben machen zu ihrem Profit. Ganz viele Zahlen sind erfunden, manipuliert oder gefälscht, nur damit am Ende die Steuer sehr gering ausfällt", sagt Dr. Jörg Wiegratz, der an der Universität Leeds zum Thema Wirtschaftsbetrug forscht. Die Beweise lägen auf der Hand. Und: Wichtige Akteure in Regierung und Staat stünden auf der Seite solcher Firmen, aus unterschiedlichen Gründen. Es gebe regelmäßig gemeinsame Geschäftsinteressen irgendeiner Art, Korruption spiele eine große Rolle.
Häufig würden hochrangige Politiker und Funktionäre auf verschiedene Weise begünstigt, um ihr Wohlwollen zu erhalten: "Die großen Firmen schanzen ihnen Geld zu und im Gegenzug bekommen sie dann den Schutz des staatlichen Akteurs", so Wiegratz. "Es gibt natürlich auch Korruption in den Ermittlungsbehörden, die sich um Wirtschaftsbetrug kümmern sollten, dort heißt es dann nicht selten von oberster Stelle: Lasst diesen Konzern in Ruhe!" Die begrenzten gesetzlichen Mittel und die engen Verflechtungen zwischen ausländischen Firmen und Staat würden dann dazu führen, dass statt der Großkonzerne eher kleinere Wirtschaftsakteure, auch einfache Geschäftsinhaber, verfolgt würden.
Unternehmen und Zweigstellen entflechten
Experten sind sich einig: Auch die Steuergesetzgebung, die sich international durchgesetzt hat, sei der globalen Steuergerechtigkeit eher abträglich. Unternehmen sind bisher nicht verpflichtet, pro Land aufzuschlüsseln, wo sie Gewinne erwirtschaften und wo sie Steuern zahlen. Multinationale Konzerne können so - abgesehen von wenigen Skandalen, die durch Enthüllungen ans Licht kommen - ungestört von der Öffentlichkeit ihre Profite verstecken und damit arme und reiche Länder um die Steuereinnahmen prellen, die ihnen zustehen.
"Das lässt sich ändern", meint Lisa Großmann vom Netzwerk Steuergerechtigkeit. Hauptforderung des Netzwerks: Multinationale Konzerne müssten dazu verpflichtet werden, publik zu machen, wo sie wirtschaftlich aktiv sind und wo sie Gewinne generieren, damit sie genau dort auch ihre Steuern zahlen. "Niemand kann behaupten, dass Apple auf den Bermudas eine große wirtschaftliche Aktivität hat. Genauso ist es bei den europäischen Rohstoffkonzernen, die ihre Gewinne in den Niederlanden oder in Luxemburg verbuchen, obwohl die wirtschaftliche Aktivität nicht in diesen Ländern stattfindet." Lösungsansätze gibt es längst: "Eine Lösung könnte sein, den Konzern mit seinen vielen Tochterunternehmen und Zweigstellen steuerrechtlich als ein einziges Unternehmen zu betrachten", so Lisa Großmann. "Der große Steuerkuchen dieses einzigen Unternehmens könnte dann unter den Ländern aufgeteilt werden, in denen das Unternehmen aktiv ist." So könne man feststellen, wie viele Angestellte das Unternehmen in einem betreffenden Land habe, wieviel Umsatz dort erzielt werde und wie viele Ressourcen in dem betreffenden Land verbraucht würden.
Wider die Doppelmoral Europas
Auch in Europa sind Steuervermeidungsstrategien nicht gern gesehen. Mehrfach urteilte die EU-Kommission im Sinne von Bürgerprotesten, dass US-Unternehmen wie Google, Apple oder Amazon nicht genug Steuern zahlen würden. Andererseits unterscheide sich die Praxis großer in Afrika tätiger europäischer Unternehmen kaum von der Praxis der US-Unternehmen in Europa, sagt Lisa Großmann. Jörg Wiegratz von der Universität Leeds pflichtet bei: "Wenn wir Betrug feststellen - in Steuerfragen oder in anderen Bereichen und Sektoren - dann zeigt uns das, dass auch europäische und deutsche Konzerne in den Ländern sehr viel Macht haben. Sonst könnten sie diese Praktiken nicht aufrechterhalten."
Wie ist die Praxis der deutschen Unternehmen - und welchen Beitrag könnte etwa der deutsche Mittelstand zu einer größeren Steuergerechtigkeit leisten? Deutsche Unternehmen in Afrika seien nicht dafür bekannt, Steuern zu verkürzen, sagt Christoph Kannengießer, Hauptgeschäftsführer des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft. "Sie sind dafür bekannt, dass sie Good Governance achten und soziale Standards vor Ort fördern." Dafür seien sie auch bei der Bevölkerung und den Regierungen geschätzt. Auf der anderen Seite machten die Unternehmen oft die Erfahrung, dass afrikanische Staaten mit zweierlei Maß messen würden. "Oft haben sie ein intransparentes Steuerwesen und unternehmen sehr häufig den Versuch, sich gerade bei internationalen Unternehmen schadlos zu halten."