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PolitikEuropa

Weder Fisch noch Fleisch

Andreas Noll
7. Mai 2021

Die Blockade Jerseys durch französische Fischkutter ist beendet, aber eine Lösung im Streit um die Fangrechte nicht in Sicht. Beobachter sehen mit Sorge, wie schnell nach dem Brexit die Konflikte eskalieren.

Frankreich England | Französische Fischer blockieren Hafen von Jersey
Französische Fischer blockieren am Donnerstag den Hafen von JerseyBild: Oliver Pinel/AP/picture alliance

Vielleicht fühlte sich der unbekannte Mann im Hafen von St. Helier an den 6. Januar 1781 erinnert, als der letzte große Versuch scheiterte, die Kanalinsel Jersey mit ein paar hundert Soldaten für Frankreich militärisch zu erobern. In historischer Uniform jedenfalls postierte sich der Schütze am Donnerstagmorgen oberhalb des Hafens der Inselhauptstadt und feuerte mit einer ebenso historischen Waffe in Richtung der auf die Insel zusteuernden gut 50 französischen Fischkutter.

Die vom Nachrichtensender ITV verbreitete Szene ist nicht die einzige Kuriosität dieser jüngsten Eskalation im Streit um Fangrechte zwischen der EU und Großbritannien. Auch die Entsendung von insgesamt vier britischen und französischen Patrouillenschiffen der Marine nach Jersey gehört in diese Kategorie.

"Die Royal Navy zieht sich zurück"

Ob wegen dieser militärischen Demonstration der Stärke, oder, was wahrscheinlicher ist, weil es ohnehin geplant war: Nach wenigen Stunden beendeten die französischen Boote ihre Blockade des Hafens am Donnerstag wieder. Und auch die britische Regierung beorderte ihre Kriegsschiffe zurück: "Da die Situation vorerst geklärt ist, werden sich die Patrouillenschiffe der Royal Navy darauf vorbereiten, in ihren Hafen im Vereinigten Königreich zurückzukehren", teilte das Büro von Premierminister Boris Johnson am Donnerstagabend mit.

Beobachtung aus der Distanz: ein Patrouillenboot "sichert" die InselBild: Oliver Pinel/AP/picture alliance

Von französischer Seite zeigte sich der für die Region zuständige Präsident des Fischerverbandes, Dimitri Rogoff, mit dem Verlauf der Aktion zufrieden: "Die Demonstration der Stärke ist geglückt", so Rogoff, "jetzt muss die Politik übernehmen."

Doch geklärt ist in diesem seit dem Brexit-Votum der Briten immer wieder neu aufflammenden Streit herzlich wenig – auch wenn Jerseys Regierungschef John Le Fondre die "konstruktiven Gespräche" mit Vertretern der französischen Fischer vom Donnerstag lobte.

Fischer bekommen keine Lizenz

Die Interessen beider Seiten sind völlig gegensätzlich: Während die Franzosen weiter ungestört in den fischreichen britischen Gewässern fangen möchten, würden die britischen Fischer, die zu den loyalsten Brexit-Unterstützern von Premier Johnson zählen, die Konkurrenz am liebsten vollständig von dort verbannen.

Die zur Jahreswende gefundene Lösung zwischen der EU und London sieht nun eine Übergangsphase bis zum Sommer 2026 vor. Bis dahin dürfen die EU-Fischer ihre Netze auch weiterhin in britischen Gewässern auswerfen - erst danach werden die Fangrechte um ein Viertel reduziert. Voraussetzung: Die Fischer müssen im Referenzzeitraum zwischen 2012 und 2016 mindestens zwölf Monate lang dort gefischt haben.

Streitfreudig: Die französischen Fischer setzen auf öffentlichkeitswirksamen ProtestBild: Oliver Pinel/AP/picture alliance

Die Franzosen werfen nun Jersey vor, diese Einigung zu torpedieren, indem die Behörden von den Fischern unmögliche Auflagen verlangen. Insgesamt 344 Anfragen nach einer Lizenz für die Gewässer vor Jersey wurden nach französischen Angaben gestellt - auf einer von den Behörden Jerseys veröffentlichten Liste erhielten in der vergangenen Woche allerdings nur 41 französische Schiffe die Fangerlaubnis.

Viele Fischer haben offenbar nicht die geforderten GPS-Daten vorlegen können, um mit ihrer Hilfe zu belegen, dass sie auch früher in den Gewässern gefischt haben. Während die großen Trawler zur Dokumentation ihres Standorts per Satellitennavigation verpflichtet sind, gilt das für die kleinen Kutter unter zwölf Metern Länge nicht, die gleichwohl das Rückgrat der französischen Ärmelkanalflotte stellen. Entsprechend sind die Daten bei vielen Fischern gar nicht vorhanden. 

Gehört zu den britischen Inseln, liegt aber direkt vor der Küste Frankreiches: die Kanalinsel Jersey

Politisch motivierter Streit

Für die französische Regierung ist die Sache eindeutig: Der Streit um den Referenzzeitraum ist politisch motiviert. Zumal nach Angaben des Pariser Fischereiministeriums nicht nur auf Jersey viele Anträge der Franzosen abgelehnt wurden, sondern auch an anderen Stellen des Ärmelkanals.

Fischereiministerin Annick Girardin sagte den als streitfreudig bekannten französischen Fischern sehr früh ihre Unterstützung zu. In dieser Woche brachte die Ministerin sogar Vergeltungsmaßnahmen ins Spiel. So könnte Frankreich die Stromversorgung für die 100.000 Bewohner der kleinen Kanalinsel kappen, sollte die Regierung nicht ihre Lizenzvergabepraxis überdenken. Die gut 20 Kilometer vor der Normandie gelegene Insel bezieht ihren Strom über Unterseekabel vom französischen Festland.

Fischereiministerin Girardin: "Dann kappen wir eben die Stromversorgung"Bild: Raphael Lafargue/abaca/picture alliance

Zugleich betonen aber alle Seiten, die Notwendigkeit einer friedlichen Einigung. So sieht es auch der in die Verhandlungen eingebundene Chef des Départements de la Manche, Marc Lefèvre: "Die Stromversorgung zu unterbrechen, ist die allerletzte Drohung. Das ist vor allem ein Mittel, um ihnen zu zeigen, dass sie uns genauso brauchen, wie wir sie brauchen, damit die Fischerei in der Normandie überleben kann. Wir leben zu nah beieinander für einen endgültigen Bruch. Das ist ein wenig wie in der Familie: Man streitet sich, aber man versöhnt sich später auch immer."

Gegenseitige Abhängigkeit

Wie eine Versöhnung nun aussehen kann, ist derzeit noch offen. Für die Beteiligten geht es um viel. Zwar hat die Fischerei auch in Frankreich nur eine geringe wirtschaftliche Bedeutung, doch die Streitlust und der politische Einfluss der Fischer sind groß. Genauso wie ihre Abhängigkeit von Großbritannien. Gut ein Viertel der Fänge holen die Franzosen aus britischen Gewässern – bei den Belgiern ist die Quote sogar noch höher.

Wie schnell die Situation eskalieren kann, zeigte sich schon einmal im Sommer 2018. Damals rammten Muschelfischer aus England mehrere französische Fischkutter. Und auch jetzt nach dem vollzogenen Brexit ist der Frust bei den Briten erneut groß: Der Export von Fisch und Meeresfrüchten in die EU ist zuletzt deutlich zurückgegangen. Was die Lösungsfindung zusätzlich erschwert: Nach dem Brexit können beide Seiten nicht mehr auf die erprobten internen Streitbeilegungsmechanismen der Europäischen Union zurückgreifen. Die See ist rau geworden vor Jersey. 

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