Jesus als Kind: Was frühe Dokumente verraten
1. Juli 2024"Papyrus-Sensation: Ältestes Manuskript aus der Kindheit Jesu entziffert"
"Geheimer Bibel-Text ändert alles."
"Falsch beschriftetes ägyptisches Papyrusfragment, versteckt in einer deutschen Bibliothek, wirft tausend Jahre alte Vorstellungen über die Bibel und das Leben Jesu über den Haufen."
Dies sind nur einige der Schlagzeilen, die auf die Entdeckung des 1600 Jahre alten Schriftfragments folgten, das einen Einblick in die Kindheit Jesu gibt.
Die Forscher - zwei Papyrologen namens Lajos Berkes and Gabriel Nocchi Macedo - waren etwas überrascht von diesen Reaktionen. "Es ist keine neue Geschichte und sowieso keine wahre Geschichte über die Person Jesu", so Berkes gegenüber der Deutschen Welle.
"Das hier ändert also nichts an dem, was wir über die Evangelien und über Jesus wissen", betont der Dozent am Institut für Christentum und Antike an der Humboldt-Universität zu Berlin. "Aber es hat zu vielen Missverständnissen und Polemiken geführt, obwohl wir nie etwas behauptet haben."
Was sie entdeckt haben, ist allerdings trotzdem spektakulär: Es ist das früheste Manuskript des sogenannten Kindheitsevangeliums des Thomas' - eine sogenannte apokryphe Schrift, die einem Bibeltext ähnelt, aber nie Teil des Bibel-Kanons geworden ist.
Das Kind, das Tonfiguren in echte Vögel verwandelte
In dem Manuskript sind Fragmente eines Textes enthalten, der beschreibt, wie der fünfjährige Jesus an einem Bach spielt, wo er Ton findet und daraus Vögel formt. Sein Vater Joseph schimpft mit ihm, weil er am Sabbat, dem Tag der Ruhe, aktiv ist. Dies veranlasst Jesus dazu, in die Hände zu klatschen, woraufhin die Spatzen zum Leben erwachen und wegfliegen.
Obwohl das Kindheitsevangelium damals nicht in den offiziellen Kanon der Bibel-Evangelien aufgenommen wurde, ist es unter Gelehrten ein durchaus bekanntes Werk. Es wird geschätzt, dass der Text im zweiten Jahrhundert erstmals transkribiert wurde.
Wer Jesus als gütige und liebevolle Person vor Augen hat, liest hier Geschichten, in denen der junge Jesus zu Wutausbrüchen und Rachegelüsten neigt. Er verflucht andere Kinder, die ihn ärgern, versetzt sie in Angst und Schrecken, lässt seine Nachbarn erblinden und tötet sogar einen Lehrer, der ihn getadelt hat.
Gelehrte haben lange darüber diskutiert, warum Jesus als "Held lächerlicher und schäbiger Streiche" dargestellt wird, wie ein Autor die Geschichten beschrieb.
Das Neue Testament selbst liefert nur wenige Informationen über die Kindheit Jesu. Da das Kindheitsevangelium anscheinend einige der Lücken füllte, die die kanonischen Evangelien hinterlassen hatten, war es im Hochmittelalter sehr beliebt. Antike Versionen des Manuskripts wurden in Griechisch, Latein, Syrisch, Slawisch, Georgisch, Äthiopisch und Arabisch gefunden.
Neue Erkenntnisse in Bezug auf die Sprache
"Man geht davon aus, dass das Griechische die Originalsprache ist. Und das bisher älteste Manuskript dieses Textes stammt aus dem 11. Jahrhundert", erklärt Lajo Berkes. Das von ihm und Gabriel Nocchi Macedo gefundene Fragment, das auf das 4. bis 5. Jahrhundert datiert wird, könne daher zeigen, wie bestimmte Worte im Laufe der Jahrhunderte bei der Transkription ersetzt wurden.
Die beiden Forscher planen eine komplette Überarbeitung des existierenden Kindheits-Textes und arbeiten zudem an einer neuen Übersetzung. Das werde zwar den eigentlichen Inhalt nicht wesentlich verändern, könne aber zu einem neuen Verständnis der verwendeten Sprache führen. Denn schon jetzt zeige sich, dass die "stilistische Sprachkunst dieses ursprünglich griechischen Textes viel höher war als bisher angenommen", so Berkes.
Berühmte Fälschung: Das "Frau Jesu"- Papyrus
Der Versuch, das Leben Jesu zu begreifen, ist ein Thema, das nach wie vor viele fasziniert. Entdeckungen und Erkenntnisse, die potentiell mehr über die zentrale Figur des Christentums verraten, stoßen auf ein breites öffentliches Interesse.
Ein berühmter Fall geht auf das Jahr 2012 zurück, als die Harvard-Professorin Karen L. King ein Papyrusfragment vorstellte, das ein Zitat Jesu enthielt, in dem dieser sich auf seine "Frau" bezieht.
In der christlichen Theologie gibt es schon lange die Behauptung, dass Jesus mit Maria Magdalena verheiratet war, die laut den kanonischen Evangelien eine seiner engsten Anhängerinnen war. Diese Idee wurde auch von Dan Brown in seinem Bestseller "The Da Vinci Code" (2003) aufgegriffen.
Es gibt jedoch keine tatsächlichen historischen Beweise dafür. Der berüchtigte Papyrus, der 2012 für Schlagzeilen sorgte, erwies sich als Fälschung, wie der Journalist Ariel Sabar in einer Untersuchung nachwies. 2020 erschien sein Buch: "Veritas: A Harvard Professor, a Con Man and the Gospel of Jesus's Wife".
Walter Fritz, der Mann, von dem man annimmt, dass er das "Frau Jesu"-Papyrus gefälscht hat, war ein Deutscher, der sein Studium der Ägyptologie in Berlin abgebrochen hatte und sich in Florida auf verschiedene Unternehmungen einließ, unter anderem als Autoteile- und Kunsthändler sowie als Internetpornograf - was der ganzen Geschichte eine etwas surreale Komponente verlieh.
Berkes betont: "Es handelte sich um eine sehr sorgfältig konstruierte Fälschung, aber viele Handschriftenexperten erkannten von Anfang an, dass etwas faul war."
Wie die Papyrussammlung der Universität Hamburg entstand
Und wie können Berkes und Macedo sicherstellen, dass ihr Fund echt ist?
Ihr Schriftstück wurde in der etablierten Sammlung der Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky State and University Library Hamburg gefunden. Die Sammlung wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch das deutsche "Papyruskartell" erworben, das den Auftrag hatte, Papyri aus Ägypten für Museen und Bibliotheken in Deutschland zu kaufen.
Die Forscher hätten sich damals, so Berkes, zunächst auf die Untersuchung der besser erhaltenen Manuskripte und Bücher konzentriert. Kleinere Schriftstücke wurden oft zur Seite gelegt. Mit einer systematischen Katalogisierung begann man erst zu Beginn dieses Jahrhunderts.
Von den über eintausend Papyrusfragmenten der Hamburger Universität ist etwa ein Drittel katalogisiert und in digitaler Form verfügbar - und genau dort haben die beiden Forscher das aktuelle Fragment auch entdeckt.
"Dies war, um ehrlich zu sein, nur ein Nebenprojekt, das sich dann als etwas Großes herausgestellt hat", sagt Berkes. Und fügt hinzu, dass es in den Sammlungen weltweit zehntausende solcher Fragmente gäbe, die nur darauf warteten, untersucht zu werden. "Ich kann es nicht garantieren, aber ich glaube, dass es noch weitere ähnliche Fragmente gibt." Wenn er Glück habe, werde er noch etwas finden, sagt er, aber das habe mit Ausdauer und auch mit Glück zu tun.
Aus dem Englischen von Petra Lambeck.