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Politik

Bundespräsident besucht das "neue Äthiopien"

Ludger Schadomsky | Mohammed Negash
25. Januar 2019

Am Sonntag reist Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier nach Äthiopien, im Gepäck: deutsche Unterstützung für den schwierigen Reformkurs der neuen Regierung. Im DW-Interview schildert er seine Pläne.

DW-Interview mit Frank-Walter Steinmeier
Bild: DW/R. Oberhammer

Deutsche Welle: Herr Bundespräsident, die bevorstehende Reise ist Ihre dritte Afrikareise. Sie haben zuvor Ghana und Gambia, Südafrika und Botswana besucht. Nun also Äthiopien. Wo verorten Sie das Land - nahe an Gambia, das seinerzeit ebenfalls einen überraschenden demokratischen Wandel erlebte?

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier: Es ist anders, allein deshalb, weil es nicht mein erster Aufenthalt in Äthiopien sein wird. Ein bisschen kenne ich das Land ja, natürlich zu anderen Zeiten und unter anderen politischen Bedingungen. Innerhalb des letzten knappen Jahres haben die Menschen in Äthiopien einen geradezu atemberaubenden Wandel erlebt: Veränderungen, Reformbemühungen, die die neue Führung an den Tag gelegt hat, und die zu einer neuen Dynamik von Veränderungen geführt hat. Das ist der Grund, weshalb ich sehr schnell Ja gesagt habe, als Präsidentin Sahle-Work Zewde und Ministerpräsident Abiy Ahmed mich eingeladen haben. Es kommt nun darauf an, den Mut für diese Veränderungen in Richtung Demokratie nicht nur aus der Ferne zu respektieren, sondern  - als Europäer und Deutscher  - vor Ort auch dazu zu ermutigen, diesen Weg weiterzugehen. Und deshalb ist jetzt der richtige Zeitpunkt nach Äthiopien zu reisen.

DW: Sie kehren, nach dem Besuch als Außenminister 2014, nun als Bundespräsident in ein "neues Äthiopien" zurück - es gibt in diesen Tagen jedoch ernsthafte Sorgen angesichts der vielen ethnischen Konflikte, die sich nun Bahn brechen - der Vielvölkerstaat Äthiopien steht vor einer ernsthaften Belastungsprobe. Werden Sie diese Sorgen gegenüber Ihrer Amtskollegin und Ministerpräsident Abiy ansprechen?

Steinmeier: Wir kommen mit großer Neugierde, aber wir kommen nicht naiv, weil wir die Herausforderungen kennen, vor denen der Ministerpräsident und meine Amtskollegin stehen: Frieden mit dem Erzfeind, dem Nachbarn Eritrea zu schließen, Grenzen zu öffnen, die über Jahrzehnte geschlossen waren. Die Entkriminalisierung der Opposition, die Entlassung von politischen Häftlingen, Gesetzgebungsvorhaben, mit denen Gesetze zur Drangsalierung der Zivilbevölkerung jetzt endlich geändert werden. Bis hin zum ebenso mutigen Schritt, das Kabinett zu verschlanken und paritätisch mit Männern und Frauen zu besetzen. Das ist ja eine ziemlich revolutionäre Entscheidung. Aber natürlich sind alle diese Veränderungen noch nicht das Ende einer Entwicklung. Ein so großes Land, das noch geprägt ist von alten Rivalitäten, in dem natürlich die Gräben der Vergangenheit noch nicht zugeschüttet sind, verlangt Beharrlichkeit, die Veränderungen zum Erfolg zu führen. Und das verlangt Geduld von der Bevölkerung, weil dieser Prozess seine Zeit braucht, bevor er Früchte für jeden trägt. Ich hoffe, die Bevölkerung hat die Geduld. Und ich hoffe, die politische Führung behält ihre Beharrlichkeit.

Das Interview fand im Bundespräsidenten-Amtssitz Schloss Bellevue in Berlin stattBild: DW/R. Oberhammer

DW: Ministerpräsident Abiy ist die Symbolfigur des demokratischen Wandels in Äthiopien. Viele Äthiopier äußern Sorge darüber, dass sich die riesige Erwartungshaltung in einer einzigen Person bündelt. Sie plädieren dafür, stattdessen die Institutionen und - in dem föderalen Bundesstaat Äthiopien - die Regionen zu stärken. Welche Erfahrungen kann der langjährige Partner Deutschland jetzt einbringen mit Blick auf die eigene föderale Verfasstheit?

Steinmeier: Wir in Europa und in Deutschland kennen den Unterschied zwischen Reformbemühungen und der Ernte der Früchte von Reformen. Wir dürfen uns deshalb nicht darauf beschränken, aus der Entfernung zuzuschauen. Wenn wir den Weg für richtig halten, dann sollten wir ihn unterstützen. Wenn wir, Deutschland, als wirtschaftlich starkes Land in Europa, Unterstützung leisten wollen, dann geht das natürlich durch politische Kooperation, durch Beratungshilfe, etwa beim Aufbau von Institutionen. Aber natürlich braucht das Land auch wirtschaftliche Impulse. Deshalb reise ich in Begleitung einer Wirtschaftsdelegation, und zwar solcher Unternehmen, von denen ich weiß, dass sie ein wirkliches Interesse an Äthiopien haben. Und ich hoffe, dass auch das eine Unterstützung für den Weg ist, den Premierminister Abiy derzeit geht.

DW: Stichwort "deutsches Engagement": In der vergangenen Woche hat der Bundestag an die Bundesregierung appelliert, sich viel stärker in den Friedensprozess zwischen Äthiopien und Eritrea zu involvieren. Es gibt viele Stimmen, nicht zuletzt afrikanische, die Deutschland eine wesentlich stärkere Rolle zutrauen. Warum füllen wir die nicht aus, warum bleiben wir so oft hinter den afrikanischen Erwartungen zurück?

Steinmeier: Ich würde es nicht so sehen, dass wir dort hinter den Erwartungen zurückbleiben. Der Weg, den Äthiopien jetzt geht, verdient unsere Unterstützung. Ob das nun eine Unterstützung ist, die wir zum Beispiel auch in der Nachbarschaft Äthiopiens leisten können, zur Befriedung am Horn von Afrika und im Verhältnis zu  Eritrea, das muss die äthiopische Führung selbst einschätzen. Und sie muss signalisieren, welche Art von Unterstützung sie zu dem einen oder anderen Prozess gerne hätte. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es einen Mangel an Bereitschaft auf der deutschen Seite geben wird.

Ludger Schadomsky und Mohammed Negash von DW-Amharisch führten das InterviewBild: DW/R. Oberhammer

DW: Sie werden auch Gespräche bei der Afrikanischen Union (AU) führen. Deutschland unterstützt den Friedens- und Sicherheitsrat der AU seit vielen Jahren. Dennoch hält sich die Kritik, dass die Mitgliedsländer doch allzu solidarisch miteinander umgehen, wenn es um Menschenrechtsverletzungen und Wahlfälschungen geht, zuletzt dieser Tage im Kongo. Auch das Reformtempo wird beklagt, die Finanzdisziplin - sind das alles Themen auf Ihrer Liste für das Gespräch mit dem Kommissionsvorsitzenden Moussa Faki?

Steinmeier: Für die Afrikanische Union gilt ähnliches wie für die Europäische Union: Ein solcher Zusammenschluss kann immer nur so stark sein, wie die Mitglieder ihn machen. Deshalb habe ich in der Vergangenheit Kritik an der Afrikanischen Union verstanden, aber gleichzeitig auch gesagt, dass da, wo die Afrikanische Union kraft ihrer Mitglieder keine Zuständigkeiten haben soll, sie die Dinge in den afrikanischen Staaten auch nicht in die richtige Richtung bewegen kann. Gleichwohl hat es in der AU Entwicklungen gegeben, die ich schätze und anerkenne. Und von denen ich mir erhoffe, dass es keine Rückschläge geben wird - gerade in der Außen- und Sicherheitspolitik. In Fragen der Friedenssicherung ist die AU sehr viel effektiver geworden als noch vor zehn oder 20 Jahren.

DW: In den vergangenen Jahren ist viel die Rede gewesen vom "Chancenkontinent Afrika": Deutschland war Gastgeber des G20-Afrika-Jahres, es gibt diverse Afrika-Initiativen wie die Compacts with Africa (CwA) - in der öffentlichen Wahrnehmung beherrschen gleichwohl Wahlfälschung in Kongo, Bürgerkrieg im Südsudan und Migration das Afrikabild. Wann stellt sich die beschworene Augenhöhe endlich ein?

Steinmeier: Man kann das nicht befehlen. Man kann nur versuchen, seinen Beitrag dazu leisten, dass unser europäischer Blick auf Afrika aufgeklärter wird. Dazu gehört, dass wir in Europa unseren Begriff von "Afrika" klären. Es gibt nicht das Afrika, es gibt unterschiedliche Afrikas. Dann muss Europa auf dem afrikanischen Kontinent  tatsächlich präsenter sein, muss - Stichwort Augenhöhe - nach Kooperationsmöglichkeiten schauen, bei denen sich der Gegenüber als wertgeschätzter Partner verstanden fühlt. In manchen Bereichen gelingt uns das, in vielen anderen leider noch nicht. Und ich hoffe, dass in vielen afrikanischen Staaten der Wille und der Ehrgeiz wächst, selbstbewusst und weniger anklagend auf Annäherungen europäischer Staaten zu schauen. Dieses Verhältnis auf Augenhöhe, miteinander zu kommunizieren, ist ein beidseitiger Vorgang, aber der größere Beitrag muss dazu von den Europäern kommen.

Das Gespräch führten Ludger Schadomsky, Leiter DW-Amharisch, und Mohammed Negash, Redakteur DW-Amharisch.