1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Gesellschaft

Jimmy Carr, Marketing und der Holocaust

Gilda-Nancy Horvath
15. Februar 2022

Der britische Comedian Jimmy Carr verdient derzeit Geld mit einem menschenverachtenden Holocaust-Witz. Seine Kritiker beschuldigt er immer wieder der Zensur und der "Cancel Culture".

Jimmy Carr | britischer Komiker und Fernsehmoderator
Der britische Komiker Jimmy Carr sorgt für Empörung und ProtesteBild: David Wala/Photoshot/picture alliance

Für Empörung und Proteste sorgt in diesen Tagen die aktuelle Show "Jimmy Carr - His Dark Material" auf der Streaming-Plattform Netflix. Darin macht der britische Komiker einen "Witz" über den Holocaust: "Wenn die Leute über den Holocaust sprechen, sprechen sie über die Tragödie von sechs Millionen jüdischen Leben, die durch die Nazi-Kriegsmaschine verloren wurden", sagt Carr in einem Clip, der auch in den sozialen Medien kursiert, und fügt nach einer Pause hinzu: "Aber sie erwähnen niemals die tausenden 'Gypsies', die von den Nazis getötet wurden. Niemand will jemals darüber sprechen - weil niemand jemals über die positiven Aspekte sprechen möchte."

Schon zu Beginn der Show stimmt Jimmy Carr sein Publikum darauf ein, dass einige der Witze, die er mache, dazu geeignet wären, seine Karriere endgültig zu begraben. Doch das Gegenteil ist der Fall - der ehemalige Marketingmanager weiß genau, wie man die Kasse klingeln lässt: Carr nutzt Schock und Provokation ganz bewusst, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen.

Nun kritisiert der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, den schamlosen Umgang Carrs mit den Mechanismen der öffentlichen Wahrnehmung in einem Video-Statement:

"Wenn er glaubt, es sei angebracht, beleidigende Witze über das Leid von 500.000 ermordeten Sinti und Roma zu machen, nur um sich anschließend selbst als Opfer der 'Cancel Culture' im öffentlichen Diskurs präsentieren zu können, dann offenbart er damit vor allem seine Menschenverachtung."

In seiner Erklärung appelliert Rose an die Medien, die über diesen Zwischenfall berichteten, auch in Zukunft ihren Blick auf den weltweit zunehmenden Antiziganismus zu richten, der "aufgrund der Geschichte genauso zu ächten ist wie der Antisemitismus". Jimmy Carr vergifte das gesellschaftliche Klima und trage gefährlich zu einer Spaltung unserer Gesellschaft bei.

Jovanovic: Satire tritt nach oben, nicht nach unten

Der in Berlin lebende Comedian und Aktivist Gianni Jovanovic entlarvt Carrs Verhalten als Business-Strategie: "Carr inszeniert sich als Opfer einer Verfolgung, die gar nicht stattfindet, und wird dabei täglich reicher - auf Kosten jener Menschen, die tatsächlich verfolgt wurden und werden."

Der Comedian und Aktivist Gianni JovanovicBild: Pascal Amos Rest

Das gedankliche Spiel einer Bewertung und Gewichtung von tatsächlich geschehenen Morden sei eine geschickte Manipulation unserer Wahrnehmung, so Jovanovic im DW-Gespräch: "Dadurch, dass er die Morde an einer einzigen Gruppe - den Roma - als 'positiv' hervorhebt, relativiert er die Morde an dieser Gruppe gegenüber allen anderen als etwas Gutes. Das ist nicht Meta-Ebene. Das ist nicht subtil. Das ist Hassrede."

Seine Karriere als Comedian ließ Jovanovic vor kurzem ruhen. Er habe erkannt, dass das Publikum zu wenig über Roma wisse, als dass er darüber Witze machen könne: "Ich habe aufgehört, weil ich gemerkt hatte, dass bei Gags über unsere Community regelmäßig an den falschen Stellen gelacht wurde. Oft wurde über uns gelacht anstatt mit uns."

Der Aktivist hat seine Erfahrungen in dem Buch "Ich, ein Kind der kleinen Mehrheit" gemeinsam mit der Journalistin Oyindamola Alashe niedergeschrieben, das im März 2022 im Berliner Maxim-Gorki-Theater präsentiert wird.

Er sagt, er verstehe durchaus, dass die Menschen nicht in eine Comedy-Show gingen, um sich politisch erziehen zu lassen, fordert aber dennoch mehr Diversität in der Branche und in ihren Inhalten: "Comedy und Satire können eine Plattform für soziale und politische Themen in unserer Gesellschaft sein. Die Menschen auf der Bühne sollten sich des vorhandenen Machtgefälles bewusst sein, wenn sie agieren und ihre eigenen Privilegien kennen. Echte Satire tritt immer nach oben, niemals nach unten."

"Verherrlichung des Holocaust"

Auch Politiker meldeten sich nach Carrs Äußerungen zu Wort, so etwa der britische Premierminister Boris Johnson: "Diese Kommentare sind sehr verstörend, und es ist nicht akzeptabel, sich über die Gräueltaten des Holocaust lustig zu machen."

Auch der britische Premierminister Boris Johnson äußert sich kritisch zur ShowBild: Daniel Leal/Getty Images

Eine Petition der Wohltätigkeitsorganisation The Traveller Movement, in der Romany Gypsies, irische Traveller und weitere Roma-Gruppierungen gemeinsam ihre Kritik äußern, fordert die Entfernung der Show von der Streaming-Plattform Netflix: "Dies ist nichts Geringeres als eine Verherrlichung des Holocaust. Wir erkennen an, dass Humor etwas Subjektives ist. Wenn dieser Humor jedoch nicht von faschistischen oder neonazistischen Ansichten zu unterscheiden ist, dann wird ganz klar eine Grenze überschritten."

Die Petition wurde bisher von rund 20.000 Menschen unterschrieben. Darin wird auch auf Studien verwiesen, die belegen, dass mehr als 50 Prozent der englischen Bevölkerung negative Vorurteile über die verschiedenen Roma-Gruppierungen im Land hätten. Daher trage dieser Witz von Carr zur "Normalisierung" von Diskriminierung und Gewalt gegen diese ohnehin bereits marginalisierte Community bei.

Die Gedenkstätte Auschwitz forderte Carr via Twitter auf, er solle sich über das Schicksal der Roma und Sinti informieren. Es sei traurig, Worte zu hören, die Menschen verletzten und die Erinnerung an ihre Tragödie beschmutzten.

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen