Joachim Löw tritt nach 15 Jahren als Bundestrainer ab. Die EURO 2020 endet ohne den erhofften Erfolg. Der 61-Jährige hat in seiner Amtszeit viele Erfolge gefeiert, muss sich im Rückblick aber auch Kritik gefallen lassen.
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Löw: "Ich übernehme die Verantwortung ohne Wenn und Aber"
01:09
"Ich kann für mich sagen, dass ich für den DFB immer nach bestem Wissen und Gewissen alles gegeben habe", mit diesen Worten blickte Joachim Löw nach seinem letzten Arbeitstag als Bundestrainer auf 15 Jahre zurück. Eine lange Ära, die mit dem frühen EM-Aus in London nicht ruhmreich zu Ende ging. Eigentlich wollte Löw seine Amtszeit mit einem erfolgreichen Turnier beenden, am liebsten mit dem Europameister-Titel. Es kam anders: Für das DFB-Team war nach einer EM mit einigen mutlosen Auftritten und dem 0:2 im Achtelfinale gegen England Endstation. Löw ging als Geschlagener, und einmal mehr wurden Stimmen laut, dass es für ihn besser gewesen wäre, nach der WM 2014, spätestens aber nach der EM vor fünf Jahren abzutreten.
Löw: "Ich übernehme die Verantwortung ohne Wenn und Aber"
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Bis dahin hatte Löw seinen Nimbus bewahrt, bei allen Turnieren stets mindestens das Halbfinale zu erreichen: EM-Finale 2008, WM-Halbfinale 2010, EM-Halbfinale 2012, Weltmeister 2014 und EM-Halbfinale 2016, so die beeindruckende Bilanz. Die Weltmeisterschaft 2018 in Russland wurde anschließend mit dem Vorrunden-Aus zur herben Enttäuschung, und nun auch die EURO 2020.
Weltmeister von 2014 als Vorbild der Fußballwelt
Das Positive, das aus der Ära Löw bleiben wird, ist der alles überstrahlende Weltmeistertitel von 2014. Ein Erfolg, der verdienter nicht hätte sein können. Deutschland hatte damals - auch dank Löw - die beste Mannschaft und war das Team, an dem sich der Rest der Fußballwelt orientierte. Das 7:1 im Halbfinale gegen Gastgeber Brasilien ist Fußballgeschichte. Ein weiteres Verdienst Löws ist der vollzogene Paradigmenwechsel, der bereits unter seinem Vorgänger Jürgen Klinsmann eingeleitet wurde: weg vom unattraktiven "Rumpelfußball" der frühen 2000er-Jahre, hin zu Offensivdrang, Kreativität und Spielkultur.
Plötzlich standen da für Deutschland erfrischende und spannende Spieler wie Thomas Müller, Mesut Özil und Toni Kroos auf dem Platz. In der Verteidigung setzten Mats Hummels und Jerome Boateng Maßstäbe, und Manuel Neuer entwickelte sich zum besten Torhüter der Welt. Dieses Erbe einer offensiven und attraktiven deutschen Spielweise muss auch Löw-Nachfolger Hansi Flick weitertragen - beziehungsweise nach den schwächeren letzten Jahren wieder hervorholen und pflegen.
Für Löw ist bleibt neben dem großen sportlichen Erfolg etwas anderes haften: "Für mich persönlich war das Allerbeste der Weg, den ich mit den Menschen gegangen bin, mit den Spielern und Betreuern. Da sind Freundschaften entstanden, die bestehen bleiben. Diese Dinge, diese menschliche Seite, wird bleiben. Dafür bin ich dankbar."
Zu zögerlich, kein Selbstvertrauen
Überschattet wird der Rückblick auf 15 Jahre unter Joachim Löw dagegen von den Momenten, in denen der Bundestrainer zu zögerlich war, zu wenig Vertrauen in die eigenen Stärken hatte und stattdessen die im Nachhinein falsche Entscheidung traf, sich komplett dem Gegner anzupassen. 2010 im WM-Halbfinale verlor das DFB-Team knapp gegen starke Spanier, weil Löw eine Defensivtaktik verordnet hatte, die die deutsche Elf all ihrer Offensivstärke beraubte. 2012 veränderte er seine Mannschaft vor dem EM-Halbfinale gegen Italien massiv, nur um Italiens Regisseur Andrea Pirlo auszuschalten, was gründlich misslang.
Der muskelbepackte Jubel von Mario Balotelli steht immer noch sinnbildlich für das damalige Löw'sche Scheitern. Rückblickend beschreibt Löw die Niederlage als "wichtigen Schritt" auf dem Weg zum WM-Titel. "Hätten wir damals nicht verloren, wären wir nicht Weltmeister geworden", sagt er. "Wir haben uns danach noch einmal richtig eingeschworen. Damals aber stand die Fortsetzung der Karriere als Bundestrainer ernsthaft auf der Kippe - auch weil Löw sich aus der Öffentlichkeit zurückzog und wochenlang nicht Stellung bezog. Nach dem schmachvollen Vorrunden-Aus als Titelverteidiger bei der WM 2018 in Russland war es ähnlich.
Ein weiterer Makel, der wohl auch noch in Jahrzehnten in keinem Rückblick auf Löws Amtszeit fehlen wird, ist der Verzicht auf Thomas Müller, Mats Hummels und Jerome Boateng nach der Weltmeisterschaft in Russland. Zum einen traf es mit den Bayern-Spielern drei Fußballer, die nach dem Leistungsprinzip absolut noch in die Nationalmannschaft hineingehört hätten. Zum anderen verlief die Kommunikation der Ausbootung unglücklich. Gleiches war Löw 2010 auch schon bei Michael Ballack und Torsten Frings passiert, zwei verdienten Nationalspieler, bei denen er es nicht schaffte, ein sauberes und friedliches Ende der DFB-Karriere hinzubekommen. Für Löw spricht allerdings, dass er sich mittlerweile mit beiden ausgesprochen hat und ein gutes Verhältnis mit ihnen pflegt.
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Fehler erkannt, aber zu spät
Insgesamt bleibt der Eindruck haften, dass Joachim Löw zwar in der Lage war, eigene Fehler zu erkennen und einzugestehen, allerdings meist erst dann, wenn es zu spät war. Das Halbfinale von 2012, die gesamte Vorrunde von 2018, der EM-Auftakt 2021 gegen Frankreich , auch das Aus im Achtelfinale gegen die Engländer - es gibt zahlreiche Beispiele, bei denen auch Löw erkannt haben muss, dass etwas schiefläuft. Allerdings war er nicht mehr in der Lage, so darauf zu reagieren, dass das Schlimmste noch verhindert werden konnte. Auch die "Begnadigung" von Müller und Hummels vor der EM geht in diese Richtung. Hätte Löw früher eingelenkt, er hätte sich möglicherweise die eine oder andere Diskussion über die schwachen Leistungen und Ergebnisse des DFB-Teams, zum Beispiel in der Nations League, ersparen können.
Fakt ist - unabhängig vom frühen Aus bei der EURO 2020 - allerdings, dass Joachim Löw einer der erfolgreichsten Bundestrainer der DFB-Historie ist. Von 198 Spielen, hat er 124 gewonnen. 40 endeten unentschieden, nur 34 Mal verlor das DFB-Team unter Löw. Er hat die meisten Spiele aller Bundestrainer betreut, die meisten Siege eingefahren und dabei die meisten Tore bejubelt. Mit 15 Jahren ist Joachim Löw auch der Bundestrainer mit der längsten Amtszeit. Ein bisschen zu lange, werden einige sagen. Denn mit Sicherheit würde die Bewertung der Ära Löw deutlich besser ausfallen, wäre er schon 2016 oder sogar bereits nach dem Höhepunkt 2014 als Bundestrainer zurückgetreten.
Joachim Löw: Der Weg zum Helden und zurück
Die Ära Joachim Löw in der Fußball-Nationalmannschaft ist beendet. Nach 15 Jahren hört der 61 Jahre alte Weltmeistertrainer von 2014 auf. Ein Blick zurück auf seine Karriere.
Bild: Kai Pfaffenbach/REUTERS
Einer mit Torriecher
Dass Joachim Löw einmal als der berühmteste Spross seiner Geburtsstadt Schönau im Schwarzwald gefeiert werden würde, war nicht unbedingt zu erwarten. Als Fußballer hat er zwar einen guten Torriecher - mit 83 Treffern, 81 davon in der 2. Liga, ist er lange Zeit Rekordtorschütze des SC Freiburg. Vier Einsätze im U21-Team des DFB verbucht der Mittelstürmer, eine richtig große Nummer ist er aber nie.
Bild: Herbert Rudel/picture alliance
DFB-Pokalsieg zum Trainer-Einstand
Mit 35 Jahren beendet Löw seine aktive Karriere beim FC Frauenfeld in der Schweiz - als Spielertrainer. Sein erstes Engagement als Cheftrainer beginnt vielversprechend: 1997 gewinnt Löw, damals noch ohne Trainerlizenz, mit dem VfB Stuttgart den DFB-Pokal gegen Energie Cottbus. Ein Jahr später verlieren die Schwaben unter Löw das Endspiel im Europapokal der Pokalsieger gegen den FC Chelsea mit 0:1.
Bild: Sven Simon/IMAGO
Wechsel im Jahrestakt
Nach der Saison 1997/98 trennt sich der VfB von Löw, der daraufhin beim türkischen Traditionsklub Fenerbahce Istanbul anheuert. Dieses eher glücklose Engagement dauert nur ein Jahr - wie auch die anschließenden Stationen beim Zweitligisten Karlsruher SC, bei Adanaspor in der Türkei, beim FC Tirol Innsbruck und bei Austria Wien. Mit den Innsbruckern wird Löw 2002 österreichischer Meister.
Bild: Pressefoto Baumann/IMAGO
Zwei Freunde, ein Trainerteam
Beim Trainer-Kurzlehrgang des DFB im Jahr 2000 drückt Löw gemeinsam mit Jürgen Klinsmann (l.) die Schulbank. Die Chemie zwischen ihnen stimmt. Daran erinnert sich Klinsmann, als er nach dem deutschen Vorrunden-Aus bei der EM 2004 Rudi Völler als Teamchef der Nationalmannschaft ablöst. Klinsmann holt Löw als Assistenten. Gemeinsam sorgen sie dafür, dass die Heim-WM 2006 zum "Sommermärchen" wird.
Bild: Oliver Berg/dpa/picture-alliance
Bad in der Menge
Deutschland wird nach begeisternden Auftritten und dem Halbfinal-Aus gegen Italien WM-Dritter und erlebt eine völlig neue Fußball-Euphorie. Auf der Fanmeile am Brandenburger Tor in Berlin lassen sich Löw und Klinsmann mit Torwarttrainer Andreas Köpke (l.) und Teammanager Oliver Bierhoff (r.) nach dem Turnier von den Massen feiern. Klinsmann nimmt anschließend seinen Hut, Löw wird Bundestrainer.
Bild: picture-alliance/dpa
Spanien eine Nummer zu groß
Bei der EM 2008 wird Löw im letzten Gruppenspiel gegen Co.-Gastgeber Österreich nach einem lautstarken Disput mit dem vierten Offiziellen auf die Tribüne verbannt und für das Viertelfinale gegen Portugal gesperrt. Deutschland erreicht schließlich das Finale und muss sich dort - wieder mit Löw auf der Bank - Spanien mit 0:1 geschlagen geben.
Bild: Oliver Berg/dpa/picture alliance
Kuranyi aussortiert
Im Oktober 2008 greift der Bundestrainer durch. Kevin Kuranyi (r.), von Löw im WM-Qualispiel gegen Russland auf die Tribüne gesetzt, verlässt zur Halbzeit der Partie das Stadion in Dortmund. "So wie Kevin gestern reagiert hat, kann ich das nicht akzeptieren und werde ihn in Zukunft nicht mehr für die Nationalmannschaft nominieren", sagt Löw anschließend und beendet Kuranyis DFB-Karriere.
Bild: Oliver Berg/dpa/picture-alliance
Derselbe Stolperstein
Bei der WM 2010 in Südafrika begeistert die runderneuerte deutsche Mannschaft mit spektakulärem Offensivdrang. Löw zeigt, dass er mit jungen Spielern wie Mesut Özil (r.) umgehen und sie ins Team integrieren kann. Aber wieder sind es die damals international dominierenden Spanier, die das DFB-Team stoppen, dieses Mal im Halbfinale. Deutschland beendet das Turnier wie 2006 als WM-Dritter.
Bild: STEPHANE DE SAKUTIN/AFP/Getty Images
Never change a winning team
Nach der EM 2012 in Polen und der Ukraine muss Löw erstmals heftige Kritik einstecken. Nach 15 Pflichtspiel-Siegen in Serie ist im EM-Halbfinale gegen Italien Endstation. Das DFB-Team verliert 1:2, nachdem Löw das zuvor überzeugende Team auf mehreren Positionen verändert. Diese Rechnung geht nicht auf. Der Bundestrainer muss sich den Vorwurf gefallen lassen, sich "vercoacht" zu haben.
Bild: Jens Wolf/dpa/picture-alliance
Die Helden von Rio
Die Krönung zwei Jahre später: Durch einen 1:0-Sieg nach Verlängerung gegen Argentinien sichert sich Deutschland in Rio de Janeiro den Weltmeistertitel. Zuvor demütigte das DFB-Team im Halbfinale Gastgeber Brasilien mit 7:1 - ein historischer Sieg. Mit 54 Jahren steht Löw auf dem Gipfel seiner Karriere und wird in der Folge zum "Welttrainer des Jahres 2014" gewählt. Aber Löw will mehr.
Bild: VI Images/IMAGO
Wieder nur EM-Halbfinale
Zu gerne würde Löw auch den EM-Titel gewinnen. Doch auch der dritte Anlauf des Bundestrainers scheitert: Bei der EM 2016 muss sich Weltmeister Deutschland im Halbfinale Gastgeber Frankreich mit 0:2 geschlagen geben. Fast schon trotzig verlängert Löw nach dem Turnier seinen Vertrag bis 2020 - hoch motiviert, den WM-Titel 2018 in Russland zu verteidigen.
Bild: Christina Pahnke/sampics/picture alliance
Der zweite Anzug passt
Und es scheint alles nach Plan zu laufen. Ein Jahr vor der WM, im Sommer 2017, gewinnt Deutschland in Russland die WM-Generalprobe, den Confederations Cup - und das, obwohl Löw mit einer besseren B-Elf anreist. Doch auch diese Mannschaft mit vielen jungen, noch unerfahrenen Nationalspielern überzeugt. Fazit ein Jahr vor der WM: Der zweite Anzug passt.
Bild: Valery Sharifulin/TASS/dpa/picture alliance
Blamage in Russland
Doch es folgt der tiefe Absturz. Bei der WM 2018 in Russland blamiert sich das deutsche Team bis auf die Knochen. Nach Niederlagen gegen Mexiko und Südkorea und einem Sieg gegen Schweden scheidet der Titelverteidiger als Gruppenletzter nach der Vorrunde aus. So will Löw nicht aufhören. Schon vor der WM wurde sein Vertrag vorzeitig bis 2022 verlängert und er macht trotz der Blamage weiter.
Bild: Andreas Gebert/dpa/picture-alliance
Drei Weltmeister geopfert
Nach dem WM-Debakel räumt Löw eigene Fehler ein. Er habe fälschlicherweise geglaubt, "mit Ballbesitzfußball durch die Vorrunde zu kommen", sagt der Bundestrainer bei seiner WM-Analyse. "Es war fast schon arrogant." Löw kündigt einen Generationswechsel im DFB-Team an und erklärt, künftig auf die 2014er Weltmeister Jerome Boateng, Mats Hummels und Thomas Müller zu verzichten.
Bild: Kirill Kudryavtsev/AFP/Getty Images
Der "rabenschwarze Tag"
Souverän qualifiziert sich das DFB-Team für die EM 2020, die wegen der Corona-Pandemie verschoben wird. Löw wähnt sich auf dem richtigen Weg - bis zur 0:6-Pleite im Nations-League-Spiel in Spanien, der zweithöchsten Schlappe in der Geschichte der DFB-Nationalmannschaft. "Es war ein rabenschwarzer Tag", sagt der aktuell dienstälteste Nationaltrainer der Welt, für den die Luft dünn wird.
Bild: Marcelo Del Pozo/REUTERS
Rücktritt angekündigt
Zunächst geht es für Löw weiter. Doch noch vor dem ersten Länderspiel 2021 gegen Island verkündet der damals 61-Jährige: Nach der EM in diesem Jahr ist für ihn Schluss. Der DFB nimmt die Entscheidung dankbar an. Sie sei "hoch anständig", sagt der damalige DFB-Präsident Fritz Keller. So habe der Verband genügend Zeit, um "mit Ruhe und Augenmaß" einen Nachfolger zu suchen.
Bild: Martin Rose/Getty Images
Ende einer Ära nach dem WM-K.o.
Das Achtelfinale bei der EURO 2020 gegen England im Wembley-Stadion ist das letzte Spiel, dass Joachim Löw (r.) als Bundestrainer betreut. Die Partie geht mit 0:2 verloren. Erneut scheidet sein Team nach der WM 2018 in Russland frühzeitig aus einem Turnier aus. Nach dem Spiel ringt Löw mit den Emotionen. Nach der Heimreise aus England beginnt eine neue Zeit beim DFB: Löw hört auf.