1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Joachim Löw: Bundestrainer mit Licht und Schatten

30. Juni 2021

Joachim Löw tritt nach 15 Jahren als Bundestrainer ab. Die EURO 2020 endet ohne den erhofften Erfolg. Der 61-Jährige hat in seiner Amtszeit viele Erfolge gefeiert, muss sich im Rückblick aber auch Kritik gefallen lassen.

EURO 2020 | Deutschland vs England
Bild: Frank Augstein/REUTERS

Löw: "Ich übernehme die Verantwortung ohne Wenn und Aber"

01:09

This browser does not support the video element.

"Ich kann für mich sagen, dass ich für den DFB immer nach bestem Wissen und Gewissen alles gegeben habe", mit diesen Worten blickte Joachim Löw nach seinem letzten Arbeitstag als Bundestrainer auf 15 Jahre zurück. Eine lange Ära, die mit dem frühen EM-Aus in London nicht ruhmreich zu Ende ging. Eigentlich wollte Löw seine Amtszeit mit einem erfolgreichen Turnier beenden, am liebsten mit dem Europameister-Titel. Es kam anders: Für das DFB-Team war nach einer EM mit einigen mutlosen Auftritten und dem 0:2 im Achtelfinale gegen England Endstation. Löw ging als Geschlagener, und einmal mehr wurden Stimmen laut, dass es für ihn besser gewesen wäre, nach der WM 2014, spätestens aber nach der EM vor fünf Jahren abzutreten.

Löw: "Ich übernehme die Verantwortung ohne Wenn und Aber"

01:09

This browser does not support the video element.

Bis dahin hatte Löw seinen Nimbus bewahrt, bei allen Turnieren stets mindestens das Halbfinale zu erreichen: EM-Finale 2008, WM-Halbfinale 2010, EM-Halbfinale 2012, Weltmeister 2014 und EM-Halbfinale 2016, so die beeindruckende Bilanz. Die Weltmeisterschaft 2018 in Russland wurde anschließend mit dem Vorrunden-Aus zur herben Enttäuschung, und nun auch die EURO 2020.

Weltmeister von 2014 als Vorbild der Fußballwelt 

Das Positive, das aus der Ära Löw bleiben wird, ist der alles überstrahlende Weltmeistertitel von 2014. Ein Erfolg, der verdienter nicht hätte sein können. Deutschland hatte damals - auch dank Löw - die beste Mannschaft und war das Team, an dem sich der Rest der Fußballwelt orientierte. Das 7:1 im Halbfinale gegen Gastgeber Brasilien ist Fußballgeschichte. Ein weiteres Verdienst Löws ist der vollzogene Paradigmenwechsel, der bereits unter seinem Vorgänger Jürgen Klinsmann eingeleitet wurde: weg vom unattraktiven "Rumpelfußball" der frühen 2000er-Jahre, hin zu Offensivdrang, Kreativität und Spielkultur.

Der Moment des größten Erfolgs: Joachim Löw feiert im Kreise seiner Spieler den WM-TitelBild: Reuters

Plötzlich standen da für Deutschland erfrischende und spannende Spieler wie Thomas Müller, Mesut Özil und Toni Kroos auf dem Platz. In der Verteidigung setzten Mats Hummels und Jerome Boateng Maßstäbe, und Manuel Neuer entwickelte sich zum besten Torhüter der Welt. Dieses Erbe einer offensiven und attraktiven deutschen Spielweise muss auch Löw-Nachfolger Hansi Flick weitertragen - beziehungsweise nach den schwächeren letzten Jahren wieder hervorholen und pflegen.

Für Löw ist bleibt neben dem großen sportlichen Erfolg etwas anderes haften: "Für mich persönlich war das Allerbeste der Weg, den ich mit den Menschen gegangen bin, mit den Spielern und Betreuern. Da sind Freundschaften entstanden, die bestehen bleiben. Diese Dinge, diese menschliche Seite, wird bleiben. Dafür bin ich dankbar."

Zu zögerlich, kein Selbstvertrauen

Überschattet wird der Rückblick auf 15 Jahre unter Joachim Löw dagegen von den Momenten, in denen der Bundestrainer zu zögerlich war, zu wenig Vertrauen in die eigenen Stärken hatte und stattdessen die im Nachhinein falsche Entscheidung traf, sich komplett dem Gegner anzupassen. 2010 im WM-Halbfinale verlor das DFB-Team knapp gegen starke Spanier, weil Löw eine Defensivtaktik verordnet hatte, die die deutsche Elf all ihrer Offensivstärke beraubte. 2012 veränderte er seine Mannschaft vor dem EM-Halbfinale gegen Italien massiv, nur um Italiens Regisseur Andrea Pirlo auszuschalten, was gründlich misslang.

Sinnbild des Scheiterns bei der EM 2012: Damals stand Löws Karriere als Bundestrainer auf der KippeBild: picture-alliance/dpa

Der muskelbepackte Jubel von Mario Balotelli steht immer noch sinnbildlich für das damalige Löw'sche Scheitern. Rückblickend beschreibt Löw die Niederlage als "wichtigen Schritt" auf dem Weg zum WM-Titel. "Hätten wir damals nicht verloren, wären wir nicht Weltmeister geworden", sagt er. "Wir haben uns danach noch einmal richtig eingeschworen. Damals aber stand die Fortsetzung der Karriere als Bundestrainer ernsthaft auf der Kippe - auch weil Löw sich aus der Öffentlichkeit zurückzog und wochenlang nicht Stellung bezog. Nach dem schmachvollen Vorrunden-Aus als Titelverteidiger bei der WM 2018 in Russland war es ähnlich. 

Ein weiterer Makel, der wohl auch noch in Jahrzehnten in keinem Rückblick auf Löws Amtszeit fehlen wird, ist der Verzicht auf Thomas Müller, Mats Hummels und Jerome Boateng nach der Weltmeisterschaft in Russland. Zum einen traf es mit den Bayern-Spielern drei Fußballer, die nach dem Leistungsprinzip absolut noch in die Nationalmannschaft hineingehört hätten. Zum anderen verlief die Kommunikation der Ausbootung unglücklich. Gleiches war Löw 2010 auch schon bei Michael Ballack und Torsten Frings passiert, zwei verdienten Nationalspieler, bei denen er es nicht schaffte, ein sauberes und friedliches Ende der DFB-Karriere hinzubekommen. Für Löw spricht allerdings, dass er sich mittlerweile mit beiden ausgesprochen hat und ein gutes Verhältnis mit ihnen pflegt.

Fehler erkannt, aber zu spät

Insgesamt bleibt der Eindruck haften, dass Joachim Löw zwar in der Lage war, eigene Fehler zu erkennen und einzugestehen, allerdings meist erst dann, wenn es zu spät war. Das Halbfinale von 2012, die gesamte Vorrunde von 2018, der EM-Auftakt 2021 gegen Frankreich , auch das Aus im Achtelfinale gegen die Engländer - es gibt zahlreiche Beispiele, bei denen auch Löw erkannt haben muss, dass etwas schiefläuft. Allerdings war er nicht mehr in der Lage, so darauf zu reagieren, dass das Schlimmste noch verhindert werden konnte. Auch die "Begnadigung" von Müller und Hummels vor der EM geht in diese Richtung. Hätte Löw früher eingelenkt, er hätte sich möglicherweise die eine oder andere Diskussion über die schwachen Leistungen und Ergebnisse des DFB-Teams, zum Beispiel in der Nations League, ersparen können.

Fakt ist - unabhängig vom frühen Aus bei der EURO 2020 - allerdings, dass Joachim Löw einer der erfolgreichsten Bundestrainer der DFB-Historie ist. Von 198 Spielen, hat er 124 gewonnen. 40 endeten unentschieden, nur 34 Mal verlor das DFB-Team unter Löw. Er hat die meisten Spiele aller Bundestrainer betreut, die meisten Siege eingefahren und dabei die meisten Tore bejubelt. Mit 15 Jahren ist Joachim Löw auch der Bundestrainer mit der längsten Amtszeit. Ein bisschen zu lange, werden einige sagen. Denn mit Sicherheit würde die Bewertung der Ära Löw deutlich besser ausfallen, wäre er schon 2016 oder sogar bereits nach dem Höhepunkt 2014 als Bundestrainer zurückgetreten. 

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen