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Joachim Löw spielt auf Zeit

15. November 2018

Noch nie in seiner 111-jährigen Länderspiel-Geschichte verlor Deutschland so oft wie 2018. Joachim Löw tut alles, um davon abzulenken und richtet den Blick lieber Richtung Zukunft. Verständlich. Aber auch glaubwürdig?

Deutschland Joachim Löw, Bundestrainer Fußball
Ruhig Blut: Löw versucht die Gemüter zu besänftigen und Zeit für sein Umbau-Projekt zu gewinnenBild: picture-alliance/dpa/J. Woitas

Geht Joachim Löws Plan auf?

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Der Bundestrainer scheint die Frage erwartet zu haben: Auf der obligatorischen Pressekonferenz vor dem Freundschaftsspiel an diesem Donnerstag in Leipzig gegen Russland (ab 20:30 Uhr MEZ im Audio-Livestream auf dw.com) will ein Reporter wissen, wie Löw denn mit einem drohenden Abstieg aus der ersten Liga der neugeschaffenen Nations League umgehen würde. Joachim Löw antwortet ohne einen Moment des Zögerns. "Wenn wir absteigen, dann müssen wir das so hinnehmen. Dann ist die Konzentration auf die Qualifikation gerichtet", sagt er nüchtern und will auch genau so rüberkommen. Alles halb so tragisch, nur eine Momentaufnahme. Ein Abstieg sei kein "Weltuntergang ", weil man die Bedeutung der Nations League nach der schlechten WM im Sommer ohnehin zu hoch gehängt habe. "Für ein Turnier ist das nicht unbedingt entscheidend. Eine junge Mannschaft muss sich erst einmal einspielen." Das brauche eben Zeit.

Das ist die zentrale Botschaft, die Löw dieser Tage aussendet: Der begonnene Umbruch ist kein Von-heute-auf-morgen-Unternehmen, der Generationswechsel müsse behutsam geschehen und überhaupt sei die Nations League nicht der Maßstab für seine Arbeit. Der Bundestrainer wendet ein im Fußball durchaus übliches Mittel an, wenn man mit dem Status quo (er ist im Amt) gut leben kann: Er spielt auf Zeit.

Joachim Löw nimmt Zeit von der Uhr

Merkel und Löw: Eine ähnliche Taktik, die lange erfolgreich war - nun aber nicht mehrBild: picture-alliance/dpa/GES-Sportfoto

Und wie ein schlitzohriger Stürmer, der an der gegnerischen Eckfahne gekonnt den Ball vor dem Gegner abschirmt, um damit etwas "Zeit von der Uhr zu nehmen", so nutzt auch Joachim Löw kleine Tricks, um sein Ziel zu erreichen: "Aus dem Nichts heraus eine neue Nationalmannschaft aus dem Boden stampfen zu müssen, das ist echt schwierig", so Löw. Eine Aussage, der man im ersten Moment verständnisvoll folgen möchte. Doch wer kurz über den Satz nachdenkt, erkennt Löws Trick. Aus dem "Nichts" muss höchstens ein neugegründeter Staat ein Nationalteam aufbauen, auf gar keinen Fall aber eine Fußballnation wie Deutschland, die auf den mitgliederstärksten Verband der Welt zurückgreifen kann. Der Bundestrainer will Verständnis für seine Situation schaffen, wenn er sagt: "Grundsätzlich ist es nicht möglich, einen Umbruch kurzfristig zu machen", meint der angezählte Auswahlcoach und schiebt präventiv hinterher: Das Ergebnis gegen Russland sei "nicht so entscheidend." Deutschland verliert am Donnerstag auch im Heimspiel gegen Russland? Dann wäre das eben so, ist die Botschaft, die hier gesendet wird. Alles folgt ja schließlich einem größeren Plan.

Löw folgt damit einem ihm gut bekannten Beispiel: Angela Merkel. Die "Alternativlosigkeit" des eigenen Handelns wird in ein paar nüchterne und damit möglichst glaubwürdige Worte gekleidet, der Blick auf ein größeres Ziel gelenkt und schon lässt es sich in Ruhe weiterregieren. Es ist ein Konzept, das bei beiden lange aufging - weil sie erfolgreich waren und die Basis hinter sich hatten. Das scheint in beiden Fällen nun anders.

Kann Löw auch Umbruch?

Denn natürlich wird die Leistung gegen Russland genau beobachtet werden. Zwar ist der DFB fest gewillt, unter allen Umständen, also auch einem unrühmlichen Jahresende mit einem Abstieg aus der Nations League, mit Löw ins neue Jahr zu gehen. Doch bei der Mehrheit der Deutschen stößt diese Einstellung auf ein gewisses Unverständnis, das legen zumindest Umfragen von diversen Medienhäusern nahe. Millionen Fans wollen Fortschritte sehen beim Projekt "Umbau der Nationalelf", aber ob Löw diese herbeiführen kann?

Nach zahlreichen Rückschlägen und Enttäuschungen wird da ein verlorenes, aber teilweise gutes Spiel bei Weltmeister Frankreich bereits als Etappenerfolg gewertet: "Frankreich war ein wichtiger Fingerzeig für die nächsten Monate", befindet Löw. Im Testspiel gegen die WM-Überraschung Russland und im möglichen Abstiegs-Endspiel in der Nations League gegen die Niederlande am kommenden Montag (ab 20:30 Uhr MEZ im Audio-Livestream auf dw.com) hätte Löw gerne mehr davon, wenngleich "möglichst siegreich".

Tausende Plätze werden leer bleiben

Überragend im Verein, nun leider verletzt: Reus wird Löw fehlenBild: picture-alliance/dpa/J. Niering

Dabei muss er auf den angeschlagenen BVB-Kapitän Marco Reus (Fußverletzung) verzichten, was angesichts dessen außergewöhnlicher Form ein herber Verlust ist. Zudem fehlen unter anderem Julian Draxler, Toni Kroos und Mark Uth. Auf den zuletzt wacklig spielenden Jérôme Boateng verzichtet Löw. Trotz dieser Personalengpässe weiß Löw, dass seine Elf in den beiden Heimspielen etwas bieten muss. Nicht ohne Grund werden in Leipzig einige Tausend Plätze leer bleiben. "Ich glaube, wir können nicht uneingeschränkt erwarten, dass uns die Leute die Bude einrennen. Es hat natürlich etwas mit unseren Leistungen zu tun. Aber auch mit der späten Anstoßzeit unter der Woche", versucht Löw Verständnis mit den Fans in Deutschland zu zeigen. Der Unmut ist durchaus begründet: Insgesamt sechs Spiele verlor die DFB-Elf in diesem Jahr, so viel wie noch nie in der 111-jährigen Länderspiel-Geschichte des DFB. Es ist Zeit, das dieses Jahr zu Ende geht.

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