Löw und die Suche nach dem Abschluss
11. Juni 2018"Visionär. Ansprechpartner. Öffentlichkeitsarbeiter" - so fasst Joachim Löw seine wichtigsten Aufgaben als Bundestrainer zusammen. Er muss es wissen. Seit zwölf Jahren macht er nun schon den Job, fast so lange wie Angela Merkel Bundeskanzlerin ist - also eine gefühlte Ewigkeit. Der Jogi mit seinem V-Ausschnitt-Pullover und dem ausgeprägten badischen Dialekt ist schon so lange dabei, dass sich kaum ein Deutscher ein Fußballturnier ohne ihn vorstellen kann, geschweige denn will. Und jetzt hat er seinen Vertag mit dem Deutschen Fußballbund (DFB) sogar nochmal verlängert, diesmal bis 2022, also bis zur übernächsten WM.
Warum macht er das, er, der amtierende Weltmeister, der bereits das Bundesverdienstkreuz überreicht bekommen hat, der zum FIFA-Trainer des Jahres und zum Welt-Nationalcoach gewählt worden ist, nach dem das Stadion in seinem Heimatort benannt worden ist - was motiviert ihn weiterzumachen, wo er doch jetzt bei der WM in Russland so viel mehr zu verlieren als zu gewinnen hat?
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"Großes Potential in der Mannschaft"
"Die WM 2014 war für uns alle ein Höhepunkt, sie war aber noch kein Abschluss", so der mittlerweile 58-Jährige. Der eine Triumph reicht ihm nicht. Er will das schaffen, was vor ihm noch kein Bundestrainer geschafft hat und mit Italien (1938) und Brasilien (1962) bisher überhaupt nur zwei Nationen gelungen ist: Den WM-Titel zu verteidigen. "Das allerhöchste Niveau zu halten, das bedarf einer ungeheuren Anstrengung", erklärte Löw im DW-Interview.
"Wenn man viele Erfolge feiert, dann ist es auch menschlich, dass man manchmal ein bisschen gesättigt ist. Man verliert vielleicht auch den Hunger und das bedeutet, dass andere, die noch ehrgeiziger sind, einen vom Sockel stoßen. Deswegen ist die schwierigste Aufgabe, sich immer auf diesem hohen Niveau zu bewegen, ohne ab zu fallen." Dabei glaubt Löw an sein Team, in dem so viel Talent steckt, wie selten zuvor in einer deutschen Mannschaft. "Ich sehe nach wie vor großes Potential in dieser Mannschaft. Meine Freude ist weiterhin ungebrochen groß, mit diesen Spielern zu arbeiten und sie weiter zu entwickeln."
"Wir überlegen uns manchmal völlig verrückte Dinge"
Zudem weiß Löw als unumstrittener Bundestrainer zu schätzen, nicht dem wöchentlichen Erfolgsdruck ausgesetzt sein zu müssen wie es Vereinstrainer sind. Er kann - bis auf die Zeit kurz vor und während einer EM und WM - in Ruhe und ohne Vorgabe von Oben arbeiten und dabei seine Stärke ausspielen: sich mittel- und langfristig eigene Ideen, Konzepte und Spielphilosophien ausdenken, Gegner und die neuesten Entwicklungen im Fußball studieren und analysieren. "Wir wollen immer irgendwie Trendsetter sein. Deswegen schauen wir in die Zukunft. Wir sind auch so ein bisschen Visionäre und überlegen uns manchmal völlig verrückte Dinge, auch wenn sie noch so absurd erscheinen. Trotzdem wollen wir sie irgendwann einmal versuchen."
Vielleicht bekommen wir ja die eine oder andere verrückte Idee bei der WM in Russland zu sehen? Nicht nur die deutschen Fußballfans sind gespannt. Denn die Leistungen in den vergangen vier Länderspielen waren nicht gerade überzeugend. Gegen England, Frankreich, Spanien und Brasilien - alles große Konkurrenten um den WM-Pokal - gab es zuletzt drei Unentschieden und eine Niederlage. Aber nervös werden muss man deshalb nicht. Denn das DFB-Team ist traditionell eine Turniermannschaft, die dann liefert, wenn es darauf ankommt.
Auf diese WM hat sich Löw seit mindestens zwei Jahren intensiv vorbereitet. "Ohne Planung wird es keinen Erfolg geben. Mit klarem Ziel vor Augen und mit Konsequenz kann man relativ weit kommen", sagte Löw gegenüber der DW. Der Erfolg soll so wenig wie möglich dem Zufall überlassen werden. Daumen drücken sollten die deutschen Fußball-Fans aber trotzdem. "Am Ende gibt es vielleicht auch mal eine Situation, wo das Glück eine Rolle spielt."