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Politik

Joe Bidens Taiwan-Fettnäpfchen

Hans Spross
22. Oktober 2021

US-Präsident Joe Biden hat mit der angeblichen "Verpflichtung zur Verteidigung Taiwans" erneut für Verwunderung gesorgt. Seine Äußerungen zur Taiwan-Politik machten eine Klarstellung erforderlich.

Baltimore Präsident Joe Biden bei CNN
Joe Biden beim "Townhall" Meeting von CNN Bild: JONATHAN ERNST/REUTERS

Im August wurde Biden in einem Interview mit dem Fernsehsender ABC gefragt, was er von der Behauptung chinesischer Medien halte, dass die kampflose Machtübernahme durch die Taliban in Afghanistan die Unzuverlässigkeit Amerikas gegenüber Verbündeten wie Taiwan zeige. Daraufhin sagte Biden: "Wir stehen zu unserer Verpflichtung laut Artikel 5 (des NATO-Vertrags), dass wir auf einen Angriff oder eine Invasion gegen unsere NATO-Verbündeten antworten werden. Dasselbe gilt für Japan, Südkorea und Taiwan." Afghanistan sei ein völlig anderer Fall, so Biden.

Schiffe der US-Marine und Küstenwache durchfahren die Straße von Taiwan im AugustBild: U.S. Coast Guard/AP/picture alliance

Später stellte ein Regierungssprecher laut Reuters klar: "Die Politik der USA in Bezug auf Taiwan hat sich nicht geändert." Experten vermuteten, dass Biden sich "versprochen" habe.

"Verpflichtung zur Verteidigung Taiwans?"

Und nun wieder ein "Versprecher"? Biden antwortete in einem vom Sender CNN ausgerichteten Bürgerdialog ("Townhall") auf die Frage eines Studenten nach der Fähigkeit und dem Willen Washingtons,Taiwan im Falle eines Angriffs durch China zu beschützen, mit "ja und ja." Russland ebenso wie China wüssten, dass die USA die größte Militärmacht der Welt sei, über die Fähigkeit der USA brauche man sich also keine Sorgen zu machen. Sorgen machen müsse man sich darüber, dass diese Länder möglicherweise einen "schweren Fehler" machen könnten.

Vizepräsident Biden bei Xi Jinping in Peking im Dezember 2013 Bild: Lintao Zhang/AP Images/picture alliance

Biden fuhr fort, er habe häufiger mit Xi Jinping gesprochen als jeder andere ausländische Politiker und er wünsche keinen "kalten Krieg" mit China. Aber Peking müsse verstehen, dass die USA nicht zurückweichen und keine ihrer Positionen ändern würden. Auf die Nachfrage des Moderators, ob das heiße, dass die USA Taiwan im Falle eines Angriffs durch China verteidigen würden, sagte Biden: "Ja, wir sind eine Verpflichtung eingegangen."

"Taiwan Act" anders als NATO-Vertrag

Auch dieses Mal stellte ein Sprecher des Weißen Hauses danach klar, dass eine keine Änderung der US-Politik im Hinblick auf Taiwan gebe: "Die Zusammenarbeit der USA mit Taiwan im Verteidigungsbereich verläuft weiterhin im Rahmen des 'Taiwan Relations Act'." Jenes Gesetz stammt aus dem Jahr 1979, mit dessen Beginn die USA und die VR China diplomatische Beziehungen aufnahmen. Dadurch bedingt war der Abbruch der bis dahin bestehenden offiziellen Beziehungen und Beistandspakts zwischen den USA und Taiwan.

Start eines F-16-Kampfflugzeugs aus US-Produktion in Taiwan Bild: picture-alliance/AP Photo/W. Santana

Der "Taiwan Act" sollte Regierung und Bevölkerung Taiwans trotz dieses Bruchs in den Beziehungen der anhaltenden Unterstützung Amerikas versichern. Insbesondere verpflichten sich die USA, "Taiwan Rüstungsgüter und -dienstleistungen in einem für seine ausreichende Selbstverteidigung nötigen Umfang zur Verfügung zu stellen." Auch steht in dem Gesetz, dass die USA "ihre Befähigung aufrechterhalten, sich jeglicher Anwendung von Gewalt oder anderer Zwangsmittel zu widersetzen, welche die Sicherheit oder das gesellschaftliche oder wirtschaftliche System des Volkes von Taiwan gefährden könnte."

Das ist ganz anders formuliert als Artikel 5 des NATO-Vertrags, der explizit bei einem Angriff auf ein Mitglied Beistandsleistung der anderen Mitglieder einschließlich der Anwendung von Waffengewalt vorsieht. Die offene Formulierung im "Taiwan Act" ist die Grundlage für die von US-Experten so genannte "strategische Zweideutigkeit" der amerikanischen Taiwan-Politik seit 1979: Washington lässt es offen, ob es Taiwan mit Waffen gegen eine Angriff vom Festland zu Hilfe eilen würde. Eine derartige Festlegung würde von Peking als Unterstützung für Unabhängigkeitsbestrebungen Taiwans interpretiert.

Das große Auseinanderdriften 

Die amerikanische Waffenlieferungen an Taiwan waren Peking zwar stets ein Dorn im Auge, aber es hat dennoch seine Beziehungen zu den USA ausgebaut, insbesondere Ende der 90er Jahre unter den Präsidenten Jiang Zemin und Bill Clinton. Damit ist es vorbei, wie Marco Overhaus von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in der Zeitung "Die Welt" schreibt: "In Washington hat sich die Wahrnehmung durchgesetzt, dass es sich bei der Rivalität mit China um ein episches Ringen zwischen dem marktwirtschaftlich-demokratischen Westen und dem staatskapitalistisch-autoritären China handelt. US-Präsident Joe Biden hat die Selbstbehauptung der Demokratien gegenüber autoritären Staaten programmatisch ins Zentrum seiner Außenpolitik gerückt."

Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen verkörpert Taiwans NationalstolzBild: Chiang Ying-ying/AP Photo/picture alliance

Auch über beide Seiten der Meerenge hinweg gab es lange Zeit inoffizielle Gesprächskanäle, die jetzt tot sind. Eine gewaltsame Rückeroberung der "abtrünnigen Provinz" hat Peking zwar nie ausgeschlossen, aber nach der Aufnahme offizieller Beziehungen zu den USA lautete das Motto "friedliche Wiedervereinigung" und "Ein Land, zwei Systeme."

Diese Vorstellungen sind spätestens seit der Unterdrückung der Demokratiebewegung in Hongkong und dem zweifachen Wahlsieg der taiwanischen Präsidentin Tsai Ing-wen Makulatur. Tsai ist die Personifikation eine neuen taiwanischen Identität, die sich dezidiert vom Festland absetzt. Die Unabhängigkeit Taiwans zu erklären steht zwar nicht zur Debatte, denn das ist für Peking die "rote Linie", deren Überschreitung automatisch eine militärische Antwort nach sich zöge. Aber schon jetzt sieht sich Taiwan verstärkt massiven militärischen Provokationen durch das Festland ausgesetzt wie etwa durch die sich häufenden Entsendungen von Kampfflugzeugen in die Nähe des taiwanischen Luftraums. 

Konfuse US-Politik?

Nach Ansicht von Bonnie Glaser vom German Marshall Fund of the United States hat sich Taiwans Präsidentin keiner besonderen Provokation in Richtung Festland schuldig gemacht, sie wolle am Status quo in der Straße von Taiwan festhalten. Peking sei aber unter anderem durch die verstärkten Rüstungsbeziehungen zwischen Taiwan und den USA besorgt. "In den Haushaltsjahren 2016 bis 2020 haben die USA Waffen im Wert von circa 16,7 Milliarden Dollar an Taiwan verkauft. Im Haushaltsjahr 2020 war Taiwan mit 11,8 Milliarden Dollar sogar der größte Kunde für amerikanische Waffen", stellt Marco Overhaus von SWP fest.

Druck für eine offensivere Taiwan-Politik aus dem US-KongressBild: J. Scott Applewhite/AP/dpa/picture alliance

Er konstatiert wachsenden Druck aus dem US-Kongress, sich nicht länger auf Waffenlieferungen zu beschränken, sondern sich explizit zur Verteidigung Taiwans zu bekennen und damit Peking abzuschrecken. Obwohl Bidens maßgebliche Mitarbeiter einem solchen Kurswechsel eine Absage erteilt hätten, passe Washington seinen Kurs "schleichend an", schreibt Overhaus. Zeichen dafür seien die Präsenz amerikanischer Spezialkräfte auf Taiwan und "sich häufende Berichte über hochrangige Besuche aus dem US-Außen- und Verteidigungsministerium in Taiwan."

Bonnie Glaser bezeichnete laut Reuters Bidens jüngste Äußerung als "Fauxpas"; es sei schlechterdings nicht wahr, dass Washington eine Verpflichtung zur Verteidigung Taiwans habe. Manche würden hinter Bidens Äußerung eine bewusst unklar gehaltene Botschaft sehen. Nach Ansicht der China-Expertin ergibt das keinen Sinn: Eine konfuse US-Politik schwäche nur die Abschreckung. 

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