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Musik

Neue Bach-Biografie für Liebhaber

Gaby Reucher
6. Dezember 2021

Seine Kirchenmusik klingt überirdisch, doch über den Menschen Johann Sebastian Bach ist wenig bekannt. Michael Maul bringt mit seiner Biografie Licht ins Dunkel.

Michael Maul hält seine Bachbiografie in den Händen.
Autor Michael Maul beschreibt viele Facetten Johann Sebastian Bachs Bild: Lehmstedt Verlag/Foto: Günter Müller

Johann Sebastian Bach war ein Musikgenie, das ist bekannt. Er schuf große Passionen und das berühmte Weihnachtsoratorium. Als Thomaskantor in Leipzig komponierte er Kantaten, die zu seinen Meisterwerken zählen. Sein "Wohltemperiertes Klavier" und "Die Kunst der Fuge" haben die Musikwelt bis heute nachhaltig beeinflusst.

Und doch wirft Michael Maul, Intendant des Bachfestes Leipzig, in seiner Biografie auch ein anderes Licht auf den großen Komponisten des 18. Jahrhunderts. Bach als jemand, der bei seinen Arbeitgebern immer wieder aneckte und sich in späteren Jahren mehr und mehr von der Kirchenmusik zurückzog. "Es gibt viele Bachbiografien, da wird Bach als ständiger Gewinner dargestellt", sagt Michael Maul im Gespräch mit der DW. Doch Dokumente, die Maul ausgewertet hat, lassen eine andere Deutung zu. "Mein Eindruck ist eher, dass da sehr viel stärkere kulturpolitische Konflikte waren zu Bachs Zeit, von denen man gar nichts wusste."

Täglich eine Dosis Bach

Seit über 20 Jahren beschäftigt sich der Musikwissenschaftler Michael Maul mit dem Komponisten Johann Sebastian Bach und ist, wie er sagt, noch lange nicht fertig mit ihm. Zu viele Fragen seien noch offen. Immer wieder fänden sich neue Notizen oder Manuskriptfragmente. Michael Maul hat in seiner zweisprachigen englisch-deutschen Bildbiografie viele dieser Mosaiksteinchen in chronologischer Reihenfolge zusammengesetzt: "Ich habe versucht, den Stand der Bachforschung abzubilden und Dinge einzufügen, die ich so noch nirgendwo geschrieben habe." 

Für wen Johann Sebastian Bach diesen kleinen Kanon schrieb, war in der Bachforschung lange ein Rätsel.Bild: Lehmstedt Verlag

Michael Maul zeigt dabei nicht nur seine profunde Kenntnis, sondern bringt auch Menschliches zutage: wenn er Bach als Schulschwänzer outet, über die "Prügelei mit dem 'Zippel Fagottisten', also einem Fagott-Amateur, berichtet oder "Irrwege der Bachforschung" aufdeckt, die Theorien über Bachs Zahlensymbolik zuweilen ad absurdum führen. Oder wenn er erzählt, dass Bach mit "Scheinbewerbungen" trickste, um potentielle Arbeitgeber gegeneinander auszuspielen und mehr Gehalt zu fordern.

Was über Bach kaum bekannt ist

Die Liebe zu Bach hat Michael Maul von seinem Vater übernommen. "Er spielte passioniert Klavier und hatte zwei musikalische Hausgötter, der eine war Beethoven und der andere war Bach", erzählt Maul.

Im Gegensatz zu Ludwig van Beethoven hat Johann Sebastian Bach der Nachwelt kaum persönliche Schriften oder Äußerungen hinterlassen. Nur in einem Brief an seinen Freund Georg Erdmann, der erhalten ist, schreibt er Privates von seiner Familie. Über Bachs Kindheit gibt es immerhin Hinweise im Nekrolog seines Sohnes Carl Phillipp Emanuel Bach - zum Beispiel, dass Bach nachts aus dem Wohnzimmerschrank heimlich ein Notenbuch seines Bruders entwendet habe, um die Stücke "berühmter Meister" abzuschreiben.

Bach Statue vor der Leipziger Thomaskirche. Hier war Bach von 1723 bis zu seinem Tod 1750 Thomaskantor.Bild: picture-alliance/dpa/J. Kalaene

Bachs Leben sei ein Lückentext, schreibt Bachforscher Maul im Vorwort seiner bebilderten Chronik. Doch auch Noten auf vergilbtem Papier könnten bei genauerem Hinsehen faszinierende Einblicke in Bachs Arbeitsweise geben. Randnotizen auf einem seiner Notenblätter zeigen, dass Bach schon die nächste Idee im Kopf hatte während er noch an einem Werk schrieb. "Er verbringt die meiste Zeit damit, erst einmal ein Thema zu finden, das ist der kreative Part", erläutert Maul, der Rest sei Handwerk. "Dann schaltet das Gehirn offensichtlich um auf Autopilot-Modus und schreibt das aus dem Kopf in die Feder aufs Papier." Dazu muss man wissen, dass Bach ab 1723, in seiner frühen Zeit als Thomaskantor in Leipzig, im Akkord jede Woche eine neue Kantate schuf und unter enormem Druck gestanden haben muss.

Das Genie überfordert die Thomaner

Johann Sebastian Bach schrieb als Thomaskantor zwar Gebrauchsmusik für Gottesdienste, doch die war so anspruchsvoll, dass viele Musiker und Sänger zeitweilig überfordert waren. Auch die Sängerknaben des berühmten  Thomanerchores, die Bach als Thomaskantor ausbildete. Als man in Leipzig beschloss, die Thomanerschule stärker für Kinder der ärmeren Schichten zu öffnen, protestierte Bach. Bei der Aufnahme der Schüler sollte das musikalische Talent nämlich keine große Rolle mehr spielen. Es entbrannte ein heftiger Streit zwischen dem Stadtrat als Arbeitgeber und Johann Sebastian Bach. Die Ratsherren bezeichneten ihn als widerspenstigen und unbelehrbaren Kantor, der "schlechte Lust zur Arbeit" zeige. Die Ratsprotokolle geben in dieser Hinsicht ein Stück von Bachs Persönlichkeit preis.

Weltweit berühmt: Der Leipziger ThomanerchorBild: Matthias Knoch

"Stellen Sie sich vor, Sie sind extrem hochbegabt wie Bach, der wirklich in Bereiche vorgedrungen ist, wo ihm kaum jemand folgen konnte", sagt Michael Maul. Da habe sich Bach schwer getan, auf seine Gegner zuzugehen und diplomatisch geschickt zu agieren. "Er hat sich dann immer mehr eingeigelt und zurückgezogen." Für Michael Maul war Johann Sebastian Bach trotz seines musikalischen Genies in dieser Hinsicht eine tragische Figur. In seinen letzten Jahren widmete sich Bach verstärkt der weltlichen Musik und schuf anspruchsvolle Werke wie die "Clavier-Übungen" für Kenner, die berühmten "Goldberg-Variationen" oder seine "Kunst der Fuge".

Warum Bach spannend bleibt

So wenig man über Bachs Befindlichkeiten weiß, so wenig weiß man auch über sein Aussehen. Es gibt nur einziges Bild von Gottlob Haußmann, bei dem Bach nachweislich Modell gestanden hat, zu sehen auf dem Umschlag der Bachbiografie. Michael Maul beschreibt aber auch ein Jugendporträt, auf dem Bach abgebildet sein könnte. 2016 tauchte das Porträt eines unbekannten Künstlers aus dem 18. Jahrhundert auf; es ist jetzt im Besitz des Bach-Archivs. Ein handschriftlicher Vermerk auf der Rückseite legt nahe, dass es sich um Johann Sebastian Bach handelt. "Das Bild wird gerade mit allen möglichen technischen Hilfsmitteln untersucht", sagt Maul. Die Augenpartie zumindest habe Ähnlichkeit mit dem Haußmann-Gemälde.

Der "alte Bach" ist ein echtes Portrait. Doch zeigt das rechte Bild wirklich den jungen Orgelspieler Johann Sebastian Bach?Bild: Lehmstedt Verlag/Bach-Archiv Leipzig

Die Lebens- und Forschungsgeschichte um Johann Sebastian Bach bleibt nicht nur für Michael Maul eine unendliche Geschichte, bei der es noch viel zu entdecken gibt. Maul hofft, mit seiner Bildbiografie den Lesern den Komponisten Bach auch als Person näher zu bringen: "Es ist diese Mischung aus Musik-Gott und Mensch mit Ecken und Kanten, der es seinem Umfeld alles andere als leicht gemacht hat."

Den passenden Musikerwitz fügt Maul am Schluss seines Buches ein: "Ein Musiker kommt in den Himmel und freut sich darauf, endlich eine Antwort auf die Frage zu bekommen, ob Gott lieber Mozart oder Bach hört. Als er vor dem Thron Gottes steht, vernimmt er eine Mozart-Melodie. Er sagt zum Herrn: 'Auf der Erde denken viele Menschen, Du würdest am liebsten Bach hören, aber jetzt hörst Du Mozart.' Da blickt der Schöpfer ihn gütig an und antwortet: 'Ich bin Bach'."

Die Bildbiografie von Michael Maul ist zweisprachig auf deutsch und englisch im Lehmstedt Verlag Leipzig erschienen, ISBN 978-3-95797-101-2.

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