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Johann Sebastian Bach: Unbekannte Noten in Leipzig entdeckt

Gaby Reucher
17. November 2025

Zwei neue Orgelwerke von Johann Sebastian Bach hat das Bach-Archiv Leipzig entdeckt, pünktlich zum 75. Jubiläum des Forschungsinstituts. Und das ist nicht die einzige Überraschung.

Die Bach-Orgel in bläuliches Licht getaucht
Die Bach-Orgel in der Leipziger Thomaskirche: Hier wurden die beiden Bach-Stücke uraufgeführtBild: Gaby Reucher/DW

Die Noten der "Ciacona in d-Moll" und der "Ciacona in g-Moll" kennt Peter Wollny schon seit über 30 Jahren. Da lagen die Originale noch in der Königlichen Bibliothek Belgiens. Es war eine Abschrift eines unbekannten Schreibers mit dem Orgelwerk eines anonymen Komponisten.

Peter Wollny, Direktor des Bach-Archivs Leipzig hatte eine Ahnung, dass hier vielleicht ein Schatz von Johann Sebastian Bach zu heben sei und machte sich in akribischer Detektivarbeit auf die Suche nach weiteren Beweisen. "Ich habe lange nach dem fehlenden Puzzleteil gesucht, um die Stücke zuordnen zu können", sagte er im Rahmen des Festaktes zur Uraufführung der neu entdeckten Werke. "Jetzt offenbart sich das ganze Bild."

Peter Wollny erläutert seine Detektivarbeit beim Festakt zum neuen NotenfundBild: Bach-Archiv Leipzig/Jens Schlüter

Den neuen Bach zum klingen bringen

An der Bach-Orgel der Thomaskirche brachte der bekannte Organist und Dirigent Ton Koopman, der beim Bach-Archiv das Amt des Stiftungspräsidenten inne hat, die kurzweiligen weltlichen Werke zur Uraufführung. "Das ist ein Stück, das aus dem Nichts kommt und wer anders als Bach könnte der Komponist sein?", sagte Koopman. Er sei stolz, diese Stücke spielen zu dürfen. Die Thomaskirche war Johann Sebastian Bachs Haupt-Wirkungsstätte in seinem Amt als Thomaskantor von 1723 bis zu seinem Tod 1750.

Es gab viele musikalische Hinweise, die auf Bach hindeuteten. Etwa die Melodie im Begleit-Bass, die plötzlich in den hohen Tonlagen zu hören ist, oder die ausgefeilten Fugen. Dass, so sagt der Musikwissenschaftler Peter Wollny, gebe es nur bei Bach. In einem Projekt mit der sächsischen Akademie der Wissenschaften zur Bach-Familie konnte Wollny weiteren Spuren folgen. Dem Schreiber, der diese Noten von Bach vor über 300 Jahren abgeschrieben hat, kam Wollny durch einen Brief von ihm auf die Spur. Anhand von Schriftvergleichen wurde bald klar, dass es sich um einen Schüler von Bach handelte, um den Organisten Salomon Günther John.

Ton Koopman ist sich sicher: Das ist Musik von Johann Sebastian BachBild: Bach-Archiv Leipzig/Jens Schlüter

75 Jahre Bach-Archiv

Es ist selten, dass man neue Stücke von Johann Sebastian Bach findet. Wolfram Weimer, Staatsminister für Kultur und Medien, sprach von einem Geschenk für die Bach-Welt. „Es ist ein wunderbares Zusammenspiel von Exzellenz, Wissenschaft und Leidenschaft zur Musik.“

Die neuen Noten werden zwar im Archiv in Belgien bleiben, doch das Bach-Archiv hat noch ganz andere Schätze zu bieten. "Ich bin sehr stolz darauf, dass wir sagen können, wir besitzen die zweitgrößte Sammlung an Bachhandschriften weltweit, Nummer eins ist und bleibt die Staatsbibliothek zu Berlin", sagte Peter Wollny der DW.

Der wertvollste Schatz sind die Original-Stimmsätze von Bachs Choralkantaten des Thomanerchores, die das Archiv verwahrt. Hinzu kommen Handschriften aus anderen Sammlungen oder Verlagen, wie Leihgaben des Notenverlags Breitkopf & Härtel, der auch die neu entdeckten Noten von Bach gerade verlegt hat.

"Manche sagen, wir würden im Bach-Archiv in einem Elfenbeinturm leben", sagte Wollny beim Festakt. "Das stimmt, aber es ist ein Elfenbeinturm mit zwei Fenstern." Das eine sei das interaktive Museum des Archivs für die breite Öffentlichkeit, das andere das Bachfest, das jedes Jahr rund 70.000 Menschen aus der ganzen Welt nach Leipzig lockt.

Das Bachdenkmal vor der ThomaskircheBild: Gaby Reucher/DW

Jeder Fund bringt die Forschung weiter

Zu den bislang größten Projekten des Bach-Archivs gehört die Neue Gesamtausgabe zu Bachs Werken, die zusammen mit dem Bach-Institut Göttingen entstand. Forscher aus aller Welt haben von 1951 bis 2007 an den über hundert Notenbänden gearbeitet. Dazu gab es kritische Texte in extra Heften, wo Quellen und die Werkgeschichte beschrieben und erläutert werden. "Das war wegweisend und viele weitere Gesamtausgaben haben sich die Bachausgabe dann zum Vorbild genommen", sagt die Kuratorin Henrike Rucker, die zu Bachs Forschungsgeschichte eine Sonderausstellung konzipiert hat.

Originale Stimmsätze aus Bachs ChoralkantatenBild: Henrike Rucker

Im Zuge der neuen Bachausgabe gab es einen Durchbruch, was die Datierung von Bachs berühmten Leipziger Kantaten anbelangt. Die hatte Bach nämlich nicht datiert. Anhand gleicher Wasserzeichen im Notenpapier und in datieren Briefen von Bach, konnte man die Handschriften zeitlich einordnen. So fand man heraus, dass Bach sämtliche der berühmten Leipziger Kantaten in den ersten vier Jahren komponiert hat. Ganze Biografien wurden daraufhin neu geschrieben. "Er hat Woche für Woche eine neue Kantate geschrieben und beide Passionen, das war eine unglaubliche Leistung", sagte Rucker der DW.

Die "Berliner Singakademie" in Kyjiw

Viele Bachnoten waren nach dem Krieg in der Welt verstreut oder ganz verschollen. Seit den 1990er Jahren kamen einige Noten und Sammlungen nach Leipzig zurück. So wurde 1999 in Kyjiw das Archiv der "Singakademie zu Berlin" wieder entdeckt. Die russische Armee hatte die Werke in die damalige Sowjetunion gebracht.

 "40 Jahre lang wusste man nicht, wo die Noten waren", sagt Henrike Rucker. Die Sammlung enthält Werke der Bach-Famlie - besonders von Bachs Sohn Carl Philipp Emanuel Bach - die bis dahin unvollständig waren. "Und das hat die Forschung zur Bach-Familie auf ein neues Niveau gehoben", sagt Rucker. Auf der Basis dieser Werke ist mittlerweile auch eine Gesamtausgabe von den Werken des ältesten Bach-Sohns entstanden.

Sammlung Kulukundis ist 10.000.000 Dollar wert

Wenn es um die Funde neuer Schätze geht, zahlen sich auch gute Beziehungen aus. Die pflegte Peter Wollny schon seit Jahren zu dem New Yorker Reeder Elias Kulukundis. Der Musikkundler hatte sich auf die Werke des Übergangs vom 18. ins 19. Jahrhundert spezialisiert.

Die verschollen geglaubte Oper "Zanaida" von Carl Christian BachBild: Jan Woitas/dpa/picture alliance

Die Sammlung war bereits zehn Jahre als Leihgabe im Bach-Archiv. Zum Jubiläumsjahr unterschrieb Elias Kulukundis eine Schenkungsurkunde. Seine Sammlung ist mit einem Wert von zehn Millionen Dollar das wertvollste Geschenk seit Gründung des Bach-Archivs. "Es ist eine einzigartige Sammlung mit Briefen, Autografen, Drucken und anderen Dokumenten zum Leben und Wirken der vier Bach-Söhne", sagt Wollny. Darunter befindet sich auch die verschollen geglaubte Oper "Zanaida" von Bach-Sohn Johann Christian Bach.

Ungeklärte Bach-Rätsel

Noch immer ranken sich zahlreiche Rätsel um Johann Sebastian Bach. Viele Textdichter von Bach sind noch unbekannt. Auch kennt man längst nicht alle Kopisten, die für Bach die Noten abgeschrieben haben. Immerhin ist mit dem neuen Notenfund geschrieben von Salomon Günther John ein weiterer Kopist bekannt geworden.

Auch zu den Frauen der Bach-Familie wusste man lange Zeit kaum etwas. 2024 hat sich das Bach-Museum mit der Geschichte der Bach-Frauen auseinandergesetzt, denn auch sie haben viel zur florierenden Musikverbreitung der Bach-Familie beigetragen.

Kranzniederlegung zu Bachs 200. Todestag 1950 am Grab des Komponisten - im selben Jahr eröffnete das Bach-ArchivBild: Bach-Archiv Leipzig

Durch den zweiten Weltkrieg sind noch immer viele wichtige Handschriften verschollen. "Etliches ist auch wieder aufgetaucht", sagt Peter Wollny, so der Fund in Kyjiw und in anderen Depots der früheren Sowjetunion. In den 90er Jahren haben viele Staats- und Universitätsbibliotheken ihre Handschriftenbestände zurückbekommen.

Ein Fund würde Wollny noch besonders freuen: "Das wäre nochmal ein Knüller, vergleichbar mit dem Fund in Kyjiw, wenn die Bibliothek der alten Thomasschule wieder aufgefunden würde, falls es sie noch gibt. Da könnten wir eine ähnliche Flut von Neuerkenntnissen erwarten."  Es würde nicht verwundern, wenn Peter Wollny auch diese Bibliothek mit detektivischem Spürsinn eines Tages auftreibt.

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