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Glaube

Der Papst aus dem Osten für die Welt

18. Mai 2020

Mehr als 26 Jahre lang stand Papst Johannes Paul II. der katholischen Kirche vor und führte sie ins dritte Jahrtausend. Vor 100 Jahren wurde Karol Wojtyla geboren - eine Lichtgestalt mit Schattenseiten.

Johannes Paul II. 1982
Bild: Getty Images

Die Gräuel des großen Krieges hat er nie vergessen. 1995, in einer Rede zum 50. Jahrestag des Kriegsendes, erinnerte Papst Johannes Paul II. daran: "Angst, Gewalt, große Not, Tod; dramatische Erfahrungen schmerzvoller Trennung in einer Zeit, in der es keine Sicherheit und keine Freiheit gab; unauslöschliche Erschütterungen durch grenzenlose Vernichtung."

Die unveräußerliche Würde des Menschen und dessen Schrei nach Freiheit - sie prägten Johannes Paul II. (1978-2005), den Papst aus Polen. Vor hundert Jahren wurde er als Karol Wojtyla in Wadowice bei Krakau geboren. Sein Leben wurde zum Spiegelbild dieser Zeit.

Jüdische Freunde

Der junge Karol, der mit acht Jahren seine Mutter verlor, war sportlich und vielseitig. Zu seinen Kameraden zählten viele jüdische Freunde. Und später, als junger Theologiestudent, schrieb er Lyrik und übte mit anderen Studierenden selbstgeschriebene Theaterstücke ein.

1997 im Vatikan: Johannes Paul mit Israels Ministerpräsident Netanyahu. Im Jahr 2000 bittet der Papst um Vergebung für Verfehlungen von Christen gegen das Volk IsraelBild: AP

Ein freier Geist, dessen Studienzeit von der deutschen Besatzung überschattet wurde. Wojtyla erlitt diese Jahre, leistete Zwangsarbeit in einem Steinbruch und einer Fabrik. Und er sah die Schornsteine von Auschwitz qualmen. Erst im Jahr 2000 wurde der Welt eine Anekdote aus dieser dunklen Zeit bekannt. Als Johannes Paul II. das Heilige Land besuchte, begegnete er in der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem der 70-jährigen Edith Zierer. 55 Jahre zuvor hatte Wojtyla die 15-Jährige, die den Nazi-Terror in einem Lager überlebt hatte, am Wegrand aufgelesen, sie auf seinen Rücken genommen, zum nächsten Bahnhof getragen und ihr zu essen gegeben. 1945 verloren sie sich aus den Augen. Jerusalem brachte sie wieder zusammen.

Kampf für Religionsfreiheit

Wojtyla wurde 1946 - da hatte der Kampf der neuen, nun kommunistischen Diktatur gegen die Kirche längst begonnen - im Geheimen zum Priester geweiht. Es folgte der kirchliche Aufstieg. Bald wurde er Professor, dann Bischof, Erzbischof, Kardinal im leidenden Polen, ein stolzer und demütiger Sohn seines Landes. Immer wieder mahnte er gegenüber den polnischen Machthabern die freie Religionsausübung an. Und schon früh gehörte Wojtyla zu jenen Kräften, die den Kontakt zu den Katholiken in Deutschland und die Aussöhnung zwischen beiden Ländern suchten.

1982 empfing der Papst den frisch gewählten Bundeskanzler Helmut Kohl zu einer Privataudienz im VatikanBild: picture-alliance/dpa

1978 wurde dieser Karol Wojtyla als erster Nicht-Italiener seit 1523 und wahrscheinlich erster Slawe überhaupt in Rom zum Papst gewählt. Mitten im Kalten Krieg zwischen Ost und West war das eine Sensation. Dieser Papst kam aus Polen in Mitteleuropa – aber gefühlt kam er für viele im Westen aus ganz großer Ferne.

Die Welt sah einen Papst, der die beiden großen totalitären Systeme des 20. Jahrhunderts, Nationalsozialismus und Kommunismus, überstanden hatte. Der erlebten Gewalt setzte er, wie er es formulierte, eine "Zivilisation der Liebe" entgegen.

Stütze der Solidarnosz

In seinen 25 Jahren als Johannes Paul II. reiste er wieder und wieder in seine kommunistische Heimat, ermunterte die Kirche zur gesellschaftlichen Mitsprache und stärkte die Gewerkschaftsbewegung Solidarnosc. Auf seine Art wirkte der Papst so mit am Niedergang der kommunistischen Systeme in Europa, am Fall des Eisernen Vorhangs und der Berliner Mauer. Auch der Mordversuch eines türkischen Attentäters im Mai 1981 konnte ihn nicht stoppen.

Im Dezember 1983 besuchte Johannes Paul II. Mehmet Ali Agca, der den Papst ein halbes Jahr zuvor hatte töten wollenBild: picture-alliance/AP Photo/Arturo Mari

Als reisendes Kirchenoberhaupt wurde Johannes Paul II. zu einem weltweiten Botschafter gegen totalitäre Ideologien. Priester, die mit sozialistischen Ideen sympathisierten, maßregelte er. Und er warb für den absoluten Respekt vor dem Leben, lehnte - trotz viel Kritik - Abtreibungen ebenso ab wie jede künstliche Empfängnisverhütung.

Als Papst war Johannes Paul II. eine große, fast übergroße Gestalt. Seine beiden Nachfolger haben ihn selig- und heiliggesprochen. Und nicht nur seine polnischen Landsleute sprechen von Johannes Paul "dem Großen".

Von der römischen Kirche zur Weltkirche

Seinen Auftrag sah der polnische Papst darin, die Kirche ins neue Jahrtausend zu führen und ging mutiger wohl als jeder zuvor den Schritt von der römischen Kirche zur Weltkirche. Immer wieder reiste er nach Afrika, Asien, Lateinamerika, mahnte die Länder im Norden, den Süden nicht zu vergessen: "Der Mensch muss Vorrang haben vor dem Kapital." 2002/2003 mischte er sich mit Kritik am Irakfeldzug von US-Präsident George Bush in die Weltpolitik ein. Vom Alter gezeichnet konnte Johannes Paul II. das Wort nicht mehr in donnernder Rede vortragen. Aber schneidend scharf blieb es: "Krieg ist immer eine Niederlage der Menschheit."

1992 in Angola: Johannes Paul II öffnete Rom reiste in Entwicklungsländern und mahnte den Norden, den Süden nicht zu vergessenBild: picture-alliance/dpa

Dieser große Papst, sagt der Wiener Kardinal Christoph Schönborn deutlicher als deutsche Kardinäle, habe - wie jeder Mensch - auch Schwächen gehabt: Mit Bischofsernennungen "an allen Institutionen vorbei" habe er zweifelhaften Einfluss in vielen Ländern genommen und teilweise - wissentlich oder nicht - Protagonisten des das wohl dunkelsten Kapitels seines Pontifikats begünstigt: Die sexuelle Gewalt gegen Kinder und Schutzbefohlene in der katholischen Kirche - sie gehen auf Druck der Opfer und der kirchlichen Basis erst seine Nachfolger an.

Revolutionär, Reaktionär

Der langjährige Kirchenexperte der "Süddeutschen Zeitung" Matthias Drobinski spricht von ihm als "Revolutionär und Reaktionär": ein jugendlicher Kapitalismuskritiker, der den Kommunismus in Polen und Europa zu überwinden half, gleichzeitig aber Vielfalt und Meinungsverschiedenheit in der Kirche unterband.

1988 im Europäischen Parlament: Der Papst wünscht sich für ganz Europa souveräne freie InstitutionenBild: picture-alliance/dpa

Schon sein Nachfolger verstand das Amt anders, Papst Benedikt hätte es - als Typ deutlich ängstlicher - gar nicht so prägen können wie sein Vorgänger. Die Jahre unter Papst Franziskus seit 2013 sind wieder spannender: Nach dem "Papst, der aus dem Osten kam" - wie Drobinski und Coautor Thomas Urban ihre Biographie betiteln - kommt Franziskus gar, wie er selbst sagt, "vom Ende der Welt". Seine Reisen ähneln denen seines Vorvorgängers, beim interreligiösen Dialog, den der Pole anstieß, geht er entschlossen weiter.

Franziskus pluralisiert die Kirche mit einem vollkommen anderen Verständnis von Synode. Dabei kämpft er in diesem innerkirchlichen Beratungsformat gegen eine innerkirchliche Opposition, die seine beiden Vorgänger konservativ geprägt haben. Der Argentinier Franziskus, der vieles radikaler angeht, ermutigt die Kirche in Asien, in Lateinamerika, in Afrika zu eigenen Wegen in Verbundenheit mit Rom. Wohin er damit die Kirche und auch das Papstamt, dieses einzigartige Machtsystem, führt? Noch bleibt das offen. Zum 100. Geburtstag Karol Wojtylas wird Franziskus am Grab des Heiligen Johannes Paul II. die Messe feiern. Gewiss wird er dessen Größe würdigen, die Kontinuität im Amt betonen, und dann seinen Stil weiter pflegen.

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