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PolitikEuropa

Johnson will Premier bleiben

6. Juli 2022

Die EU beobachtet gespannt die Krise in London. Bisher sieht es nicht nach einem Rückzug des Premiers aus. Doch ein Regierungswechsel könnte Folgen auch für den Brexit-Streit haben. Aus Brüssel Bernd Riegert.

Boris Johnson im Parlament am Rednerpult
Bedrängt im Unterhaus: Premier Boris Johnson nach den Rücktritt diverser MinisterBild: Jessica Taylor/UK Parliament/AP/picture alliance

In der Fragestunde im britischen Unterhaus machte der angeschlagene Premierminister Boris Johnson klar, dass er keine Absicht hat zurückzutreten, sondern weiterkämpfen will. "Die wissen ganz genau, dass wir weitermachen werden und auch die nächste Wahl gewinnen werden", sagte Johnson mit Blick auf die oppositionelle Labour-Partei, die seinen Rücktritt fordert und ihm fortwährende Lügen vorwirft. Zwei wichtige Minister aus Johnsons Kabinett waren am Dienstag zurückgetreten, einige Staatssekretäre folgten am Mittwoch. Sie lehnen den Umgang des Premierministers mit illegalen Partys in der Downing Street während der Corona-Pandemie ab. Außerdem empört sie der Versuch Johnsons, einen Fall von sexueller Belästigung in den Reihen seiner konservativen Partei zu vertuschen.

"Genug ist genug"

Zunächst stritt Boris Johnson ab, überhaupt etwas über die Vorwürfe gegen seinen Mitarbeiter Chris Pincher gewusst zu haben. Dann gab er scheibchenweise zu, doch involviert gewesen zu sein und entschuldigte sich am Dienstag in einem Fernsehinterview für seine Fehler. "Genug ist genug", meinte dazu heute Sajid Javid im Unterhaus in einer persönlichen Erklärung. Sajid Javid hatte seinen Posten als Gesundheitsminister am Dienstag geräumt. Das Verhalten des Premierministers sei unfair gegenüber seinen Mitarbeitern, den Parteimitgliedern und den Wählerinnen und Wählern, so Ex-Minister Javid.

Brexit ja, Zukunft nein

28:36

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Auch konservative Parlamentarier wie der ehemalige Brexit-Beauftragte David Davis forderten Johnson auf zu gehen. Doch der bliebt unbeeindruckt. "Wenn die Zeiten hart sind, es einen Krieg mitten in Europa gibt, dann ist genau die Zeit für eine Regierung, ihre Arbeit fortzusetzen und nicht einfach davonzulaufen", rief der Premierministern seinen lautstarken Kritikern im Parlament zu. Den Vorwurf des Labour-Oppositionsführers Keir Starmer, nach dem Abgang seiner wichtigen Minister sei der Premier nur noch von "nickenden Hunden", also Ja-Sagern, umgeben, konterte Boris Johnson. "Es gibt in der konservativen Partei einen großen Vorrat an talentierten Arbeitskräften", sagte der Premier und suggerierte, dass auch Rücktritte von weiteren Ministern ihm nichts anhaben könnten.

Könnten die eigenen Leute Boris Johnson stürzen?

Gefahr droht dem Premierminister aus der eigenen Partei. Angeblich ist das sogenannte 1922-Komitee dabei, eine Delegation zu Boris Johnson zu schicken. Die soll ihm klarmachen, dass er nicht mehr das Vertrauen der konservativen Parlamentarier genießt und zurücktreten sollte. Britische Medien berichten, das einflussreiche 1922-Komitee könnte auch ein erneutes Misstrauensvotum gegen Boris Johnson in der Unterhaus-Fraktion herbeiführen. Ein erstes Misstrauensvotum hatte der Premierminister vor drei Wochen noch gewonnen.

Die britische Außenministerin Liz Truss, hier mit EU-Kommissionsvize Maros Sefcovic, könnte Boris Johnson beerbenBild: Rob Pinney/PA Wire/dpa/picture alliance

Der frühere Londoner Bürgermeister Boris Johnson war 2019 konservativer Parteichef und Premierminister geworden, nachdem seine Vorgängerin Theresa May vom 1922-Komitee zu Fall gebracht worden war. May war nicht in der Lage, die Brexit-Verhandlungen mit der Europäischen Union zu einem Ende zu führen. Boris Johnson setzte den Brexit, den Austritt Großbritanniens und Nordirlands aus der EU, schließlich durch. Er unterschrieb den finalen Vertrag mit der EU, den er inzwischen aber nicht mehr einhalten will.

EU verklagt London wegen Bruch der Brexit-Regeln

Und hier kommt Europa ins Spiel. Das Europäische Parlament debattierte am Mittwoch parallel zur Regierungskrise in London über die Weigerung der Regierung von Boris Johnson, sich an den Brexit-Vertrag zu halten. Der sieht bestimmte Regeln für den Warenverkehr zwischen Nordirland und der britischen Hauptinsel vor. Diese Regeln will der Premier einseitig per Gesetz aufkündigen, was die Europäische Union als Bruch eines bindenden Vertrages wertet. Der Vizepräsident der EU-Kommission, Maros Sefcovic, bestätigte im Europäischen Parlament in Straßburg, dass die EU Großbritannien verklagen und weitere rechtliche Schritte einleiten wird, die mit der Verhängung von Sanktionen enden könnten.

Parlamentarierin Nathalie Loiseau: Das Problem ist nicht Johnson, sondern der BrexitBild: Alexis Haulot/European Union 2021

Sefcovic forderte die Regierung in London noch einmal zu Verhandlungen über das sogenannte Nordirland-Protokoll des Brexit-Vertrages auf. "Unsere Tür für einen Dialog mit dem Vereinigten Königreich bleibt offen. Es liegt jetzt beim Vereinigten Königreich, diese Tür auch zu durchschreiten", sagte Sefcovic. Viele EU-Parlamentarier haben Zweifel, ob sich angesichts der Regierungskrise in London am Brexit-Protokoll noch irgendetwas reparieren lässt.

"Das Problem ist ja nicht Nordirland, sondern der Brexit als solcher", sagte die französische Liberale Nathalie Loiseau. Die deutsche grüne Abgeordnete Terry Reintke warf Boris Johnson vor, sich mit einer "Gruppe skrupelloser Menschen" zu umgeben, die aus eigenem Interesse internationales Recht brechen wollten. "Boris Johnson wird an seinem Posten kleben und alles tun, um ihn zu behalten", vermutet der linke Abgeordnete Chris MacManus. "Großbritannien ist auf dem Weg zu einem scheiternden Staat", sagte MacManus, der die irische Partei Sinn Fein im Parlament vertritt. 

Proteste britischer Nationalisten in Nordirland gegen die Brexit-RegelnBild: Peter Morrison/PA Wire/dpa/picture alliance

Wenig Vertrauen in Boris Johnson

Würden Verhandlungen mit einem möglichen Nachfolger oder einer Nachfolgerin einfacher für die EU? Jeroen Lenaers, christdemokratischer Abgeordneter aus den Niederlanden, ist unsicher. "Es könnte besser, aber auch noch schlimmer werden, weil wir nicht wissen, wer ihn ersetzen würde", meinte Lenaers schon beim ersten parteiinternen Misstrauensvotum gegen Johnson im Juni.

Von der EU-Kommission in Brüssel gibt es keine offizielle Stellungnahme zur Krise in London. EU-Diplomaten lassen im privaten Gespräch aber erkennen, dass eine neue Regierung in Großbritannien nicht unbedingt förderlich für die Brexit-Verhandlungen wäre. Das Vertrauen in Boris Johnson, der sich nicht mehr an selbst ausgehandelte Verträge halten will, ist in Brüssel allerdings dahin. 

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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