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PolitikJordanien

Jordanien: Cybercrime-Gesetz bedroht Meinungsfreiheit

30. August 2023

Das umstrittene Gesetz bietet eine Grundlage, um hart gegen Kritik vorzugehen und verbietet anonyme Internetwege. Aktivisten fürchten, es werde auch der im Verborgenen agierenden LGBTQ-Gemeinschaft das Leben erschweren.

Ein Mann schaut auf die antike Wüstenstätte Petra in Jordanien
Minderheiten in Jordanien wie etwa die LGBTQ-Gemeinschaft fürchten gravierende Nachteile durch das neue Cybercrime-GesetzBild: Tyson Paul/Loop Images/picture alliance

Als Jordaniens König Abdullah II. kürzlich das neue Gesetz zur Cyberkriminalität verabschiedete, hätte Hisham gerne auf Social Media einen kritischen Kommentar dazu veröffentlicht. Doch angesichts der drastisch verschärften Strafen für Online-Kritiker habe er beschlossen, seine Bedenken vorsichtshalber lieber nicht im Internet zu äußern, so der jordanische Queer-Aktivist gegenüber der DW. Auch seinen richtigen Namen will der junge Mann aus Angst vor Repressionen nicht veröffentlicht sehen.

Das neue Gesetz kriminalisiert alle Online-Inhalte, die von den Behörden als Fake News, Hate Speech, Untergrabung der nationalen Einheit oder Anstiftung zur Unsittlichkeit gewertet werden. Solche Begriffe sind naturgemäß dehnbar und stehen deshalb für "Vergehen", die zumindest potentiell sehr weit interpretierbar und damit auch politisch instrumentalisierbar sind. Politische Beobachter und Menschenrechtsaktivisten erkennen darin denn auch einen weiteren Rückschritt für die ohnehin schon beschnittene Meinungsfreiheit in Jordanien.

In Jordanien - das Königreich wurde zuletzt von der renommierten amerikanischen NGO 'Freedom House' als "nicht frei" eingestuft - droht das neue Gesetz vor allem Meinungsäußerungen im Internet noch stärker unter Strafe zu stellen als bisher. "Es ist besorgniserregend, dass der Wortlaut des neuen Cybercrime-Gesetzes so vage ist", sagt Lorena Stella Martini, Jordanien-Expertin beim Thinktank 'European Council on Foreign Relations' (ECFR), gegenüber der DW. Sie hat festgestellt: "Mehrere Artikel des Gesetzes können auf ganz unterschiedliche Weise gedeutet und auf die unterschiedlichsten Fälle angewandt werden."

Gegen solche Vorwürfe nahm der jordanische Premierminister Bisher al-Khasawneh das Gesetz bereits auf einer Parlamentssitzung im Juli in Schutz. Die Zahl der Online-Delikte habe sich in Jordanien versechsfacht, beteuerte er. Dabei sei auch die Privatsphäre von Bürgern verletzt worden. Zudem hätten Online-Erpressungen zu sozialen Spannungen geführt. Für das bereits bestehende Gesetz über Cyberkriminalität von 2015 sei darum eine strengere Fassung erforderlich.

Proteste gegen Treibstofferhöhung in Jordanien im vergangenen Jahr. Berichterstattung über kritische Themen wird auch in Jordanien nicht selten behindert.Bild: Khalil Mazraawi/AFP

Minderheiten besonders betroffen

Schon vor Wochen forderten insgesamt 14 Organisationen, darunter Human Rights Watch, Access Now, Article 19 und das Gulf Center for Human Rights, den jordanischen König in einem offenen Brief auf, das neue Gesetz zu überarbeiten. "Denn dieses wird die freie Meinungsäußerung im Internet weiter untergraben, das Recht der Internetnutzer auf Anonymität bedrohen und neue Befugnisse zur Kontrolle sozialer Medien einführen, die den Weg für eine alarmierende Zunahme der Online-Zensur ebnen würden", heißt es in dem Dokument.

Besonders besorgt sind diese Organisationen wie auch andere Beobachter über die Artikel 12, 13 und 14 des Gesetzes.

Artikel 12 verbietet die Nutzung virtueller privater Netzwerke (VPN) für "kriminelle Zwecke" wie auch den Internetbrowser Tor, der ins so genannte Darknet führt, sich nicht rückverfolgen lässt und Nutzer anonymisiert. Cyber-Kriminelle nutzen dies tatsächlich  - doch auch politisch Verfolgte finden hier Schutz: Beide Tools werden weltweit von Dissidenten und Minderheiten wie der Queer-Community genutzt, da sie anonyme Kommunikationswege im Internet garantieren. Das garantiert gerade auch in vielen Ländern des Nahen Ostens vielen Menschen eine weniger gefährliche politische Kommunikation.

Mit dem neuen Gesetz würden Menschen in Jordanien nun aber "gezwungen, sich zwischen der Wahrung ihrer Identität und der freien Meinungsäußerung zu entscheiden", so Rasha Younes, Expertin für LGBTQ bei Human Rights Watch, im DW-Gespräch.

Die Artikel 13 und 14 bestrafen die Herstellung, den Vertrieb oder den Konsum von "pornografischen Inhalten" sowie solchen, die "Unmoral fördern, anstiften, unterstützen oder dazu auffordern". Das Mindeststrafmaß liegt bei sechs Monaten Haft. Auch können hohe Geldstrafen verhängt werden. Das Problem dabei: Der Begriff Pornographie kann weit ausgelegt werden.

"Das neue Gesetz kriminalisiert de facto die Online-Aktivitäten der jordanischen LGBTQ-Gemeinschaft", meint Lorena Martini vom ECFR. Dies habe weitreichende Auswirkungen "auch auf das gesamte Offline-Leben" der LGBTQ-Community.

Hat das umstrittene Gesetz abgesegnet: Jordaniens König Abdullah II Bild: Hannibal Hanschke/AFP/Getty Images

Kritik aus den USA

Kritik kam auch von Jordaniens engstem internationalen Verbündeten, den Vereinigten Staaten. "Dieses Gesetz mit seinen vagen Definitionen und Konzepten könnte die wirtschaftlichen und politischen Reformbemühungen Jordaniens untergraben", warnte der Sprecher des US-Außenministeriums, Vedant Patel.

Mitte August wies zudem der UN-Hochkommissar für Menschenrechte darauf hin, dass Staaten zwar Maßnahmen zur Bekämpfung der Cyberkriminalität ergreifen müssten. Zugleich aber seien der Schutz der persönlichen Sicherheit im Internet und die Gewährleistung von Online-Freiheiten als komplementäre Ziele zu betrachten.

"Unsere Besorgnis über das Gesetz ist umso größer, als Einschüchterung, Belästigung und Verhaftung von Aktivisten in einem schrumpfenden zivilen Raum in Jordanien zunehmen", sagte die UN-Sprecherin Liz Throssell in einer Erklärung.

Im Eiltempo verabschiedet

Weder das jordanische Parlament noch der jordanische König als oberster Herrscher des Landes riefen zu einer öffentlichen Debatte über das Gesetz auf. In der Rekordzeit von weniger als zwei Monaten wurde das Gesetz verabschiedet.

"Die Tatsache, dass es keinen Raum für eine öffentliche Debatte über dieses Gesetz gab, ist in der Tat bezeichnend für die Richtung, die das Land in Bezug auf die Meinungsfreiheit einschlägt", so Expertin Martini gegenüber DW. 

Einen kritischen Blick auf das Gesetz hat auch Edmund Ratka, Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Amman. "Niemand weiß, warum das Gesetz so kurzfristig und ohne Dialog mit der Zivilgesellschaft durchgewunken wurde", sagt er der DW. Zwar schränkt er durchaus ein, dass die meisten Teile des Gesetzes "absolut angemessen" seien: Das Gesetz definiere Handlungen und Strafen für Hacker, Bilderdiebstahl, Erpressung, Aufwiegelung oder Betrug im Internet "sehr solide".

Doch auch er ist der Ansicht, dass die Artikel 12, 13 und 14 Probleme mit sich brächten. So fürchtet er, eine Person könnte nach dem neuen Gesetz nicht nur für ihre Beiträge in den sozialen Medien verantwortlich gemacht werden - sondern sogar auch für die Kommentare, die andere daraufhin abgäben.

"Außerdem kann die Staatsanwaltschaft Anklage erheben, ohne dass zuvor eine Anzeige erstattet wurde", so Ratka.  Auch dies sei bedenklich. Allerdings wisse bislang niemand, ob der Staat diese Möglichkeit tatsächlich nutzen werde.

Heirat des jordanischen Kronprinzen Hussein und seiner Braut Rajwa AL Saif im Juni 2023: Positive Medienberichterstattung ist in solchen Fällen durchaus gern gesehenBild: Royal Hashemite Court/REUTERS

Gegensatz zu früheren Öffnungsversuchen

Dabei hat sich das etwa in Frauenrechten vergleichsweise liberale Jordanien in den vergangenen zwei Jahren durchaus bemüht, mehr junge Menschen in den politischen Prozess einzubeziehen. So etwa wurden ein neues Wahlgesetz und ein neues Parteiengesetz eingeführt.

"Es ist allerdings paradox zu glauben, dass vor allem junge Menschen zur Teilnahme am politischen Leben motiviert werden könnten, wenn gleichzeitig die freie Meinungsäußerung in Online-Netzwerken und sozialen Medien eingeschränkt wird", so Ratka.

Der deutsche Experte sieht die nächsten jordanischen Parlamentswahlen im Jahr 2025 als "Lackmustest für den politischen Aufbruch in Jordanien".

"Wenn das Cybercrime-Gesetz nicht überarbeitet wird, könnte sich das als Eigentor erweisen", betont Ratka. Wahlkämpfe würden auch in Jordanien teilweise online geführt. Auch die Bereitschaft zu Wahlkampf-Aktivitäten dazu könne durch das Cybercrime-Gesetz möglicherweise erschwert werden.

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.
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