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José Mujica - Der bescheidenste Präsident der Welt

14. Mai 2025

Kein anderer Politiker wurde für seine Bodenständigkeit so gefeiert wie José "Pepe" Mujica. Vom Blumenzüchter stieg er zum Präsidenten von Uruguay auf. Nun ist er mit 89 Jahren gestorben.

José Mujica | ehemaliger Präsident von Uruguay
Uruguays Ex-Präsident José Mujica träumte stets von einer "klassenlosen Gesellschaft"Bild: Santiago Mazzarovich/AFP/Getty Images

12.500 Dollar bekam er zum Höhepunkt seiner Karriere als Präsident von Uruguay. Doch nur ein Zehntel davon nahm er an. Den Rest spendete José Mujica. 1250 Dollar seien "mehr als genug", sagte der Mann, der sich selbst als "Erdklumpen mit zwei Pfoten" bezeichnete, weil er von und für die Erde lebe und die Feldarbeit für ihn Freiheit bedeute. Unterwegs war Mujica meist mit seinem hellblauen VW-Käfer. Den wollte er trotz eines Millionengebots nicht verkaufen.

Dass er es einmal zu solch einer Popularität bringen würde, damit hatte der Landwirt aus dem Westen von Montevideo nicht gerechnet - und wahrscheinlich war es auch nie sein Ziel. "Ich bin ein Zoon politikon", ein politisches Wesen, sagte er einmal in Anspielung an Aristoteles in einem Interview mit der Deutschen Welle. "Seit meinem 14. Lebensjahr bin ich in der Politik. Und wenn ich nicht blöde werde, mache ich Politik, bis sie mich mit den Füßen voran raustragen." Das war im Jahr 2015 - kurz vor dem Ende seiner Präsidentschaft. Da lag der turbulenteste Teil seines Lebens schon lange zurück.

Staatskarosse der besonderen Art: José Mujicas berühmter himmelblauer VW KäferBild: Mario Goldman/AFP/Getty Images

Vom Untergrund in die Einzelhaft

José Mujica kam 1935 in Montevideo als Sohn einer baskisch-italienisch-stämmigen Bauernfamilie zur Welt. Die Verhältnisse waren einfach, der Vater starb früh und Mujica arbeitete mit seiner Schwester von klein auf in der elterlichen Blumenzucht. Dennoch ging er zur Schule und machte Abitur. Sein Jura-Studium brach er ab, engagierte sich aber zunehmend in der Studentenbewegung.

Es dauerte nicht lange und Mujica gründete mit anderen die Stadtguerilla Tupamaros. Zu dieser Zeit, Anfang der 1960er Jahre, herrschte in Uruguay Massenarbeitslosigkeit. Mujica träumte von "einer Gesellschaft ohne soziale Klassen" und überfiel für dieses Ziel mit den Tupamaros Banken, entführte Politiker und legte Bomben. Nach eigener Aussage hat er aber selbst nie getötet. "Wir waren naiv, aber man soll sein Ziel nicht aus den Augen verlieren", sagte Mujica in einem Interview mit der DW.

Erinnerungsmarsch in Montevideo an die Opfer der Militärdiktatur - Uruguay wurde von 1973 bis 1985 von der Armee regiert; in der Zeit wurden Tausende verhaftet und gefoltert, fast 400.000 Menschen flohen ins Exil.Bild: Mariana Greif/REUTERS

Seine Ziele brachten ihn ins Gefängnis. 1971 wurde er nach einer Schießerei mit der Polizei wegen Polizistenmordes verurteilt. 14 Jahre verbrachte Mujica in Haft - die letzten davon in einer Einzelzelle und unter Folter. Diese Phase des Lebens sei "Routine für die, die sich entscheiden, die Welt zu verändern", sagte er später. "In den Jahren im Gefängnis hatte ich viel Zeit, mich kennenzulernen", so Mujica.

Aus der Einzelhaft ins Präsidentenamt

1985, nach dem Ende der zwölfjährigen Militärdiktatur, wurde ein Amnestiegesetz verabschiedet, durch das Mujica und andere politische Gefangene freikamen. Mit der ebenfalls freigelassenen Lucía Topolansky - seiner späteren Frau - zog er auf einen kleinen Hof, verkaufte Tomaten und Chrysanthemen und machte Politik. Aus den Tupamaros ging die Links-Partei Movimiento de Participación Popular hervor. Zehn Jahre nach seiner Haftentlassung zog Mujica als Abgeordneter ins Parlament ein. Einer überlieferten Geschichte zufolge fuhr er an seinem ersten Arbeitstag mit dem Moped zum Parlament. "Bleiben Sie lange?", soll der Portier gefragt haben, der ihn für einen Kurier hielt. "Ich hoffe, ja", antwortete Mujica.

Zeit seines Lebens verbrachte José Mujica - hier mit Hund auf seiner Farm - in bescheidenen VerhältnissenBild: Ivan Franco/dpa/picture alliance

Seine Hoffnung sollte sich erfüllen. 2005 stellte das Linksbündnis Frente Amplio mit Tabaré Vázquez erstmals den Präsidenten. Mujica wurde Landwirtschaftsminister. Fünf Jahre später stimmten 52 Prozent der Wähler für José Mujica als Präsident.

Authentizität als Trumpf

Auch im höchsten Amt des Staates blieb sich Mujica in vielem treu. Zu Sitzungen des Kabinetts erschien er oft mit Strickjacke, Sandalen und alten Hosen. Eine Krawatte trug er nie, auch nicht bei offiziellen Anlässen. Als er 2014 zu Gast im Weißen Haus war, trug er zwar einen Anzug mit Weste, doch der war ihm etwas zu kurz. Dennoch, oder gerade deshalb, attestierte ihm sein Gastgeber Barack Obama "eine hohe Glaubwürdigkeit".

"Er ist schlicht, die Leute erkennen sich in ihm, und deshalb löst er so viel Begeisterung und Hoffnung aus", sagte der Schriftsteller Eduardo Galeano über seinen Landsmann.

Das Experiment von Uruguay

Als Präsident krempelte der bekennende Atheist das Land um. Er legalisierte Homoehe und Abtreibung. Damit war er der Zeit in Lateinamerika weit voraus. In der Logik des José Mujica war das weder links noch liberal: "Die Welt muss gewisse Dinge, die unabänderlich sind, akzeptieren", sagte er.

Auch sozio-ökonomisch war er durchaus erfolgreich: Während seiner Präsidentschaft sanken Arbeitslosigkeit, Armut und Kindersterblichkeit. Sein wohl umstrittenstes Projekt war die Freigabe von Cannabis zu Freizeitzwecken. In einem kleinen Land wie Uruguay könne man so etwas austesten, so Mujica. Das Experiment läuft bis heute - andere Länder wie Kanada und viele US-Bundesstaaten haben nachgezogen.

Uruguay legalisiert Cannabis

04:36

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Doch nicht alle seine Pläne hat Mujica umsetzen können. Die von ihm großangekündigte Bildungsreform blieb ebenso auf der Strecke wie große Infrastrukturprojekte. Und auch damit musste er sich abfinden: Die Linke warf ihm beim Thema Landwirtschaft und Rohstoffe einen Kuschelkurs mit den großen Konzernen vor.

Ein ganz und gar untypischer Politiker

Dennoch war Mujica wegen seiner bescheidenen Art - anders als so viele andere Staatsoberhäupter in Lateinamerika - über eines weitgehend erhaben: Korruptionsverdacht. Und so waren es wohl seine Nahbarkeit und sein Pragmatismus, die dafür sorgten, dass man ihm so manchen verbalen Ausrutscher entschuldigte. Beispielsweise, als Mujica die Funktionäre der Fifa nach dem WM-Aus seiner Nationalelf als "Haufen von Hurensöhnen" bezeichnete.

Auf der politischen Bühne vermittelte er zuletzt 2016 bei den Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen FARC-Guerilla und Kolumbiens Regierung auf Kuba. Aber bis kurz vor seinem Tod mischte er sich in viele Debatten ein. Auch im spanischsprachigen Programm der DW äußerte Mujica sich zu aktuellen politischen Themen in einer eigenen Sendung mit Titel "Conciencia Sur" - übersetzt "Das Bewusstsein des Südens". Journalisten empfing er am liebsten im Garten oder im Arbeitszimmer seines kleinen Hauses, von dem bereits die Farbe abblätterte.

Kolumbiens Präsident Gustavo Petro mit José Mujica im Dezember 2024Bild: Mariana Greif/REUTERS

José "Pepe" Mujica war ein untypischer Politiker. Seine Bescheidenheit wirkte im Vergleich zu anderen Staatschefs der Region fast unwirklich. Damit hat er eine neue politische Kultur vorgelebt. Als arm wollte er sich aber bis zuletzt nicht sehen. So lautet eines seiner bekanntesten Zitate: "Arm ist nicht derjenige, der wenig besitzt, sondern derjenige, der immer mehr braucht."

Nicolas Martin Redakteur mit Blick auf Weltwirtschaft, Globalisierung und Organisierte Kriminalität.