"Hoffe, die Europäer raufen sich zusammen"
20. Januar 2019Gebt ihnen Zeit, sagt Josef Janning. Die Briten sind sich nach wie vor nicht klar darüber, was sie wollen, so der Politologe von der Denkfabrik "European Council on Foreign Relations" (ECFR), einer Denkfabrik in Berlin. Darum ist ein Klärungsprozess nötig. Der braucht Zeit, und die sollte die Europäische Union ihrem scheidenden Mitgliedsstaat zugestehen. Stetigkeit sei darum gefragt, sagt Janning mit Blick auf den Auszug der Briten aus der EU. Denn die kämpften nicht nur um Selbstklarheit, sie seien auch in einem Lagerdenken befangen. "In Großbritannien gibt es keine Mehrheit für eine Sache, sondern immer nur Mehrheiten gegen eine Angelegenheit."
Darum sei der Entscheidungsprozess so schwierig, so Janing. Umso mehr komme es aber darauf an, den britischen Klärungsprozess mit "Stetigkeit" zu unterstützen. "Denn nur die Briten können für sich selber besser entscheiden: Brauchen sie ein neues Votum, brauchen sie eine Neuwahl der Regierung oder brauchen sie schlicht mehr Zeit damit auch die Öffentlichkeit Anschluss finden kann an die Lage, wie sie wirklich ist?"
Warnung vor hartem Brexit
Wolle man die Briten also nicht zu einem harten Brexit treiben, müsse man ihnen Raum geben, diese Fragen zu klären, rät Janning. Andernfalls drohe das Klima zwischen Briten und Kontinentaleuropäern giftig zu werden. "Denn mit einem harten Brexit droht auch eine harte Auseinandersetzung, eine harte politische Konfrontation zwischen den Briten und den europäischen Partnern die zu Ressentiments, zu Vorurteilen, zu Nationalismus führen wird. Und das wiederum erschwert das Geschäft der Europäischen Union ganz ungemein."
Eines habe sich in der Debatte der vergangenen Monate aber gezeigt, sagt Janning: Briten und Kontinentaleuropäer beurteilten die Diskussion um den Brexit völlig unterschiedlich. "Man hat immer geglaubt, die Briten seien die ultimativen Pragmatiker. Man nahm an, sie würden genau erkennen, worauf der Brexit hinausläuft und dementsprechende Kompromisse ansteuern." Tatsächlich sähen die Briten sich selbst aber ganz anders, nämlich als diejenigen, die der EU großes Entgegenkommen gezeigt hätten. "Das zeigt natürlich, dass sie den Verhandlungsprozess missverstanden haben. Sie haben eine völlig andere Wahrnehmung der Lage, als sie in Brüssel vorherrscht."
Lehren aus dem Brexit
Immerhin einen positiven Effekt habe die Brexit-Debatte, sagt der ECFR-Experte: Viele andere Staaten, deren Bürger Vorbehalte gegen die EU mit sich trügen, hätten nun bemerkt, dass ein Austritt nicht so einfach ist wie angenommen. "Es hat sich gezeigt, dass die Europäische Union nicht einfach durch Sprüche und durch politische Rhetorik in eine andere Richtung zu kippen ist."
Allerdings drohe die EU auch entkernt zu werden, sagt Janning. Es gebe eine Reihe von Staaten, die die EU auf einen gemeinsamen Markt reduzieren wollten. Halte man an dieser Vorstellung fest, gerieten alle anderen Politikbereiche in Misskredit und verlören an Unterstützung. "Was vielfach nicht verstanden wird, ist der Umstand, dass ein gemeinsamer Markt nicht nur aus der Beseitigung von Handelsschranken besteht. Vielmehr beruht er auf der Bereitschaft, die Folgen etwa für die Freizügigkeit der Menschen, für soziale Sicherheit, für eine verträgliche Ausgestaltung der Ungleichgewichte sowie der ungleichen Chancen auf einem solchen Markt anzuerkennen und anzugehen. Eben das ist der Stoff der Europapolitik. Dafür braucht es Kompetenzen, Verfahren und Entscheidungen."
Ost-westliche Spannungen
Doch nicht nur der Brexit belastet die EU. Auch andere Spannung, etwa die zwischen den östlichen und den westlichen Mitgliedstaaten, sind ungelöst, allen voran in der Flüchtlingsfrage. Diese Debatte erfordere vor allem den politischen Diskurs zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten, sagt Janning.
Das angestrebte einheitliche EU-Verständnis könnte seinen Ausdruck etwa in neuen Programmen für gute Regierungsführung finden. Diese könnten diejenigen Mitgliedsstaaten unterstützen, die sich in dieser Hinsicht besonders hervortäten. "Zudem kann man natürlich Kriterien definieren, aufgrund derer diejenigen Staaten, die etwa die Gewaltenteilung beeinträchtigen verletzen, keinen Zugang zu solchen Mitteln haben." Es gelte einerseits Anreize zu schaffen und andererseits die Inanspruchnahme von Mitteln an Bedingungen zu knüpfen.
Streit um den Euro
Zudem leide die EU auch an einem Nord-Süd Riss, insbesondere im Hinblick auf die Kultur der Staatsschulden. So wollen etwa Italien und Griechenland mehr Schulden aufnehmen. Aus Sicht des Berliner Politologen ein riskantes Ansinnen, das die europäischen Regeln infrage stelle. Es könne nicht sein, dass ein Land den Euro wolle, die Regeln der gemeinsamen Währung aber nur da akzeptiere, wo sie ihm passten. "Das System hat durchaus eine gewisse Elastizität. Wenn aber jedes Mitglied selbst bestimmt, wie weit man elastisch sein kann, dann ist das System sehr schnell zerbrochen - zumindest herrscht Misstrauen unter den Hauptstädten. Und Misstrauen ist in der europäischen Politik eine sehr schlechte Voraussetzung."
Und doch bleibt Josef Janning optimistisch. Von der Zukunft Europas erhofft er vor allem eines: "Dass es den Europäern gelingt, sich zusammenzuraufen und zu erkennen, dass sie wirklich nur noch gemeinsam in dieser Welt etwas darstellen."