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"Antisemitismus ist Menschenfeindlichkeit, egal wo"

Ulrike Bornhak
15. September 2022

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, sprach mit der DW über den Antisemitismus-Skandal auf der documenta. Er plädiert für mehr Aufklärung und Bildung, auch schon in den Schulen.

Porträt von Josef Schuster.
Josef SchusterBild: Hendrik Schmidt/dpa/picture alliance

DW: Herr Schuster, die documenta hat im Juni direkt mit einem großen Antisemitismus-Skandal begonnen. Es ging um das Banner "People's Justice" von Taring Padi, auf dem antisemitische Darstellungen zu sehen waren. Sie sagten damals, Ihre kühnsten Albträume seien damit übertroffen worden. Was meinten Sie damit?

Josef Schuster: Wir haben im Vorfeld darauf hingewiesen und gewarnt vor möglichem Israel bezogenem Antisemitismus, den ich mir hätte vorstellen können in einer solchen Kunstausstellung. Fakt ist aber: Klassischen Antisemitismus, derart offensichtlichen Antisemitismus, den habe ich nicht erwartet. Das meinte ich mit meinen kühnsten Albträumen.

Inwiefern war hier der Antisemitismus offen und klar zu erkennen?

Die Figuren, die hier dargestellt waren, waren ganz klar als Juden zu erkennen, mit all den antisemitischen Klischees, die man kennt.

Es gab im Vorfeld, wie Sie schon sagten, gewisse Warnungen, etwa dass das indonesische Kuratoren-Kollektiv Ruangrupa dem BDS nahestehe. Wie konnte es dennoch zu dem Antisemitismus-Eklat kommen? Wie erklären Sie es sich?

Ich kann mir das gar nicht erklären. Wir haben im Vorfeld deutlich darauf hingewiesen, eindeutig auch in Gesprächen mit der Staatsministerin für Kultur und Medien, Claudia Roth. Dem Zentralrat wurde zugesichert, dass es zu keinen antisemitischen Darstellungen auf der documenta kommen würde. Sie selbst sei getäuscht worden, sagt Claudia Roth.

Das heißt, man hat vorher andere Bilder angekündigt?

Man hat vorher nicht gefragt: Was gibt es für Bilder? Sondern die Frage war: Kann sichergestellt werden, dass keine antisemitischen Darstellungen auf dieser Ausstellung zu sehen sein werden? Und dies wurde ihr so ausdrücklich bestätigt.

Nach heftiger Kritik wurde das Kunstwerk "People's Justice" des indonesischen Kollektivs Taring Padi entferntBild: Uwe Zucchi/dpa/picture alliance

Im Juli folgte der nächste Skandal um antisemitische Darstellungen: Diesmal ging es um eine Broschüre mit Zeichnungen des syrischen Künstlers Burhan KarkoutlySie wurde geprüft, war dann juristisch nicht angreifbar und ist nun weiterhin mit einer Kommentierung zu sehen. Was halten Sie davon?

Es geht gar nicht um die Frage, ob es juristisch angreifbar ist. Es geht um den Fakt der Darstellung von Antisemitismus. Und auch wenn der nicht juristisch angreifbar ist, denke ich, dass in Deutschland im Jahre 2022 auf einer internationalen Kunstausstellung keine Art von Antisemitismus etwas verloren hat.

Ruangrupa argumentierte, man komme aus einem anderen kulturellen Kontext, und Antisemitismus sei in Indonesien etwas Anderes als in Deutschland. Wie bewerten Sie dieses Argument?

Für mich ist Antisemitismus Menschenfeindlichkeit, egal wo, sei es in Indonesien oder in Deutschland. Es gibt natürlich Länder, in denen antijüdische, antiisraelische Stereotypen leider gang und gäbe sind. In einem Land wie Deutschland, mit seiner Geschichte und seiner Verantwortung, darf das überhaupt nicht sein.

Ade Darmawan, Sprecher des Kuratoren-Kollektivs RuangrupaBild: Swen Pförtner/dpa/picture alliance

Claudia Roth hat als Reaktion nun angekündigt: Man möchte ab jetzt mehr Kontrolle haben bei der documenta, bei einer staatlich finanzierten Kunstausstellung. Ist das die Lösung?

Ich weiß nicht, ob es die Lösung ist, aber es ist eine Entscheidung, die ich für sehr wichtig und richtig halte. Denn mit staatlichen Mitteln, mit Steuergeldern Antisemitismus in Kunstausstellungen zu fördern, kann und darf doch nicht sein.

Wie hat sich der Dialog mit dem Zentralrat der Juden gestaltet? Ist man auf Sie zugekommen und hat Beratung gesucht?

Es gab ein Gespräch Anfang des Jahres. Die Staatsministerin war neu in ihrem Amt, wir kannten uns, aber in dem Zusammenhang hatten wir ein erstes Gespräch und sind dabei, weil gerade das im Raum stand, ganz intensiv auf das Thema documenta eingegangen. Dieses Gespräch musste dann aus zeitlichen Gründen beendet werden. Die Ministerin hatte einen Termin, es wurde vereinbart, das Gespräch kurzfristig weiterzuführen. Diese Kurzfristigkeit ist ein dehnbarer Begriff.

Hatten Sie mit Mitgliedern von Ruangrupa Kontakt?

Nein, mit Ruangrupa hatten wir überhaupt keinen Kontakt. Von deren Seite ist niemand auf uns zugekommen und wir auch nicht auf sie. Denn ich denke, die Verantwortung in diesem Falle trägt, neben der Künstlergruppe und den Kuratoren, die Geschäftsführung der documenta. Auch die Gesellschafter und den Aufsichtsrat der documenta sehe ich in der Pflicht.

Wie bewerten Sie die aktuelle personelle Situation auf der documenta?

Sie ist absolut unzureichend. Die Geschäftsführerin wurde nach langem, langem Hin und Her abgelöst und es wurde Herr Fahrenholtz eingesetzt. Aber was ich von Herrn Fahrenholtz dann bei den folgenden antisemitischen Vorfällen, die aufgedeckt wurden, gehört und gesehen habe, war leider in keiner Weise besser.

Hinweis der Redaktion: Das Interview wurde vor der Forderung, die Filme "Tokyo Reels" abzusetzen, geführt. Diese kam von Seiten der Expertenkommission und der Gesellschafter. Das Kuratorenteam aber lehnt eine Absetzung bisher ab. Hierzu schickte Josef Schuster folgendes Statement: "Ich begrüße die Stellungnahme der Gesellschafter, hätte mir aber deutlich früher ein derartiges Zeichen gewünscht. Ich erwarte von den Verantwortlichen, dass sie Sorge dafür tragen, dass der hier zur Schau gestellte, staatlich alimentierte Antisemitismus, unverzüglich, noch vor dem 25. September beendet wird."

Trotz all dieser Vorkommnisse läuft die documenta weiter...

Sie läuft weiter zu meinem, muss ich ehrlich sagen, Leidwesen und zeigt diese palästinensische Propaganda von Menschen, die den RAF-Terroristen nahestanden, auch anderen Terroristengruppen nahestanden. Jeden Tag in Dauerschleife.

Hat das Ansehen der documenta Ihrer Meinung nach Schaden genommen?

Ja, dieses Gefühl habe ich. Die Besucherzahlen kenne ich jetzt nicht, aber mir haben einige Personen berichtet, sie wären sonst immer auf die documenta gefahren. In diesem Jahr hätten sie ihr Hotelzimmer wieder storniert. Selbst der Bundeskanzler hat seine Teilnahme abgesagt.

Weiterer Zündstoff bei der documenta: die Zeichnungen in der Broschüre "Presence des Femmes" Bild: Uwe Zucchi/picture alliance/dpa

Vor einem Jahr sagten Sie, dass ein Großteil der antisemitischen Straftaten aus dem rechten Lager kommen. Hat sich daran etwas geändert?

Nein, daran hat sich nichts geändert. Ich sehe immer noch den Großteil der antisemitischen Straftaten aus dem rechten Lager. Wir sehen aber auch antisemitische Haltungen, sowohl im politisch linken Bereich, aber auch in der gesellschaftlichen Mitte. Aber es ist ein Unterschied, ob wir von Haltungen oder Straftaten sprechen. Ebenso gibt es Antisemitismus unter Muslimen.

Wie erklären Sie sich das?

Der Antisemitismus in der politisch Rechten ist leider alles andere als neu. Man sieht allerdings mitunter hier seltsame Allianzen, die von der politischen Rechten gerade mit fundamentalistischen islamischen Gruppierungen gebildet werden.

Wie sollte man diesem Antisemitismus begegnen?

Antisemitische Straftaten müssen konsequent geahndet werden. Außerdem: Aufklärung, Bildung. Und diese Bildung muss ganz früh in der Schule beginnen.

Josef Schuster ist seit 2014 Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland. Dieser wurde 1950 gegründet und vertritt die politischen und gesellschaftlichen Interessen der jüdischen Gemeinden in Deutschland. 

Das Gespräch führte Ulrike Bornhak.

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