Saudi-Arabien: Imagepolitur über den Sport
5. Dezember 2019Die Augen der Sportwelt richten sich am Samstagabend auf Diriyah, am nordwestlichen Rand der saudischen Hauptstadt Riad. Dort will sich der britische Profiboxer Anthony Joshua die Weltmeistergürtel der Verbände WBA, WBO und IBF von Andy Ruiz Jr. zurückholen. Im vergangenen Juni hatte der US-Amerikaner mit mexikanischen Wurzeln im Madison Square Garden in New York für eine Riesenüberraschung gesorgt, als er Joshua in der siebten Runde durch technischen K.o. besiegt hatte. Es war die erste Niederlage Joshuas in seiner Profikarriere. Die neue Auflage des Duells in Saudi-Arabien wurde unter dem Titel "Clash on the Dunes" (Kampf auf den Sanddünen) vermarktet. .
Der Boxkampf ist Teil der so genannten "Diriyah Season". Die saudischen Veranstalter beschreiben das Paket hochkarätiger Sportveranstaltungen in einer Saison als "unverzichtbares internationales Sport- und Unterhaltungsprogramm". In Diriyah stand einst der Palast der Herrscherfamilie Al Saud, die aufwendig restaurierten Anlagen gehören seit 2010 zum UNESCO-Weltkulturerbe. Joshua und Ruiz Jr. werden in der "Diriyah Arena" gegeneinander antreten. 15.000 Zuschauer werden erwartet. Ein britisches Unternehmen hat die Halle eigens für diesen ersten WM-Kampf im Schwergewicht, der im Nahen Osten ausgetragen wird, aus dem Boden gestampft.
Amnesty: Menschenrechtslage "katastrophal"
Kritiker werfen den Behörden des Landes, den Boxkampf und andere Sportereignisse wie den "Diriyah E-Prix" (ein Grand Prix der Formel E für Rennautos mit Elektromotor im vergangenen Monat), den "Diriyah Tennis Cup" (ein hoch dotiertes Showturnier in der kommenden Woche) oder das "Diriyah Equestrian Festival" (ein Pferdesport-Festival Mitte Dezember) zu nutzen, um das "stark angeschlagene Image über den Sport reinzuwaschen", wie es Felix Jakens von "Amnesty International" formuliert. Die Menschenrechtsorganisation bezeichnet diese Strategie, die auch andere Staaten der Region wie z.B. Katar verfolgen, als "Sportswashing".
Die Menschenrechtslage in Saudi-Arabien sei katastrophal, so Amnesty. Die Organisation verweist unter anderem auf die hohe Zahl von Hinrichtungen in dem Land. Allein 2018 seien 146 Menschen enthauptet worden - viele davon auf dem Al-Safaa-Square in Riad, nur 10 Kilometer südlich der luxuriösen Hotels in der Innenstadt, in denen auch Joshua und Ruiz Jr. übernachten. Der Al-Safaa-Platz wird im Volksmund "Chop Chop Square" (Hackplatz) genannt.
"Willkürliche Verhaftungen friedlicher Aktivisten, Journalisten, Akademiker und Frauenrechtler sind an der Tagesordnung, ebenso Hinrichtungen nach unfairen Prozessen sowie Folterungen und andere Misshandlungen von Häftlingen", teilte Amnesty in der vergangenen Woche mit, als Saudi-Arabien den Vorsitz in der G20 übernahm, der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer.
Joshua lehnte Stellungnahme ab
Amnesty forderte Anthony Joshua auf, sich "über die Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien zu informieren und Stellung zu beziehen", doch der Boxer lehnte das Ansinnen der Menschenrechtler ab. "Ich schätze es, dass sie ihre Meinung äußern, und es ist auch gut, über Probleme in der Welt zu sprechen", sagte Joshua, der bei dem WM-Kampf angeblich über 50 Millionen Dollar (45 Millionen Euro) verdienen wird. "Aber ich bin da, um zu kämpfen. Ich baue lieber eine Beziehung zu dem Land auf, als nur von Großbritannien aus mit dem Finger auf die Leute zu zeigen und sie zu beschuldigen."
Joshuas Promoter, Eddie Hearn, wurde noch deutlicher. Seine Aufgabe sei einzig, die Interessen seiner Kämpfer zu wahren, sagte Hearn. Es könne durchaus sein, dass Saudi-Arabien schon bald Großbritannien oder sogar Las Vegas als prestigeträchtigste Schauplätze für Boxkämpfe überholen könnte.
"Vision 2030": Eine Sportstadt am Roten Meer
Nach Informationen der britischen Zeitung "Daily Mail" ist der WM-Kampf im Profiboxen allenfalls die Ouvertüre einer saudischen Sport-Großoffensive. Die Regierung plane im Rahmen ihrer "Vision 2030", am Roten Meer für rund 400 Milliarden Dollar eine "Sportstadt" mit dem Namen "Neom" bauen zu lassen. Dort solle eher westliches als islamisches Recht gelten, berichtet die Zeitung. So sollten in Neom unter anderem der Verkauf und Konsum von Alkohol zugelassen werden, um noch mehr Sporttouristen ins Land zu locken.
Nicht jeder Sportstar folgt dem Ruf des Geldes aus Saudi-Arabien. So schlug der Nordire Rory McIlroy, die Nummer zwei der Golf-Weltrangliste, gerade ein Angebot von 2,5 Millionen Dollar aus. Diese Summe hätte er kassiert, wäre er im Februar bei der zweiten Auflage des Turniers "Saudi International" angetreten. McIlroy folgte damit dem Beispiel von US-Superstar Tiger Woods, der trotz einer saudischen Offerte von 3,5 Millionen Dollar nicht bei der Premiere des Turniers Anfang 2019 an den Start gegangen war - und auch diesmal nicht dabei sein wird. Woods begründete seine Absagen allerdings nicht mit politischen Bedenken, sondern den zu erwartenden Reisestrapazen. Für die anstehenden "Saudi International" haben jedoch andere US-Stars wie Phil Mickelson, Titelverteidiger Dustin Johnson und auch der Weltranglisten-Erste Brooks Koepka zugesagt.
Sportswashing auch via Fußball
Ob im Boxen, Golf, Tennis, Motorsport oder Reitsport - Saudi-Arabien versucht, seinen Einfluss in der Welt des Sports zu steigern und damit den durch Menschenrechtsverletzungen lädierten Ruf aufzupolieren. Auch über den Fußball. Im Januar 2015 folgte der deutsche Rekordmeister FC Bayern der Einladung zu einem Freundschaftsspiel in Riad gegen den saudischen Klub Al-Hilal - im selben Monat, in dem Raif Badawi, ein oppositioneller saudischer Blogger, in der Stadt Jeddah öffentlich ausgepeitscht wurde. Die Bayern ernteten damals für ihren Auftritt heftige Kritik.
2017 vereinbarte Saudi-Arabien im Rahmen der "Vision 2030" eine "strategische Partnerschaft" mit dem englischen Rekordmeister Manchester United. Bereits seit 2008 gehört der Kommunikationskonzern "Saudi Telecom" zu den Sponsoren des Klubs. Hartnäckig halten sich Gerüchte, dass Kronprinz Mohammed bin Salman daran interessiert sei, Manchester United von seinen derzeitigen Besitzern, der amerikanischen Unternehmer-Familie Glazer, abzukaufen.
Für Andy Ruiz Jr. und Anthony Joshua geht es am Samstagabend in Diriyah um prestigeträchtige Titel und riesige Geldbörsen. Doch für Saudi-Arabien könnte der Nutzen des Spektakels weitaus höher sein.