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Politik

Journalismus stellt sich seinen Dämonen

Helena Kaschel
19. Juni 2017

Desinformation, neue Technologien, Gewalt gegen Reporter: Wohl noch nie stand die Medienwelt vor so vielen Herausforderungen. Beim Global Media Forum in Bonn schaut sie trotzdem selbstbewusst in die Zukunft.

Monday, June 19, 2017 / Impression
Bild: DW/K. Danetzki

Mit seinen weißen Sneakern hebt sich Yusuf Omar von den meisten seiner Zuschauer ab: Viele tragen an diesem Tag Anzug, einige T-Shirt, hier und da sind ein paar Kopftücher und bunte Saris zu sehen. Zum Global Media Forum sind Aktivisten, Journalisten, Politiker, Künstler und Vertreter der Zivilgesellschaft aus aller Welt nach Bonn gekommen.

Dem Aussehen nach könnte Yusuf Omar gerade in New York ein Start-up präsentieren, tatsächlich steht der junge CNN-Journalist aber im Plenarsaal des ehemaligen Parlaments in Bonn, im Hintergrund der ehrwürdige Bundesadler - und ein 360-Grad-Video, das der gebürtige Engländer live mit einem an einer Plastikflasche befestigten Handy vor dem staunenden Publikum filmt.

"Größte Veränderung seit der Erfindung des Fernsehens"

"Ich bin ein Jeans-Journalist", sagt Omar. Alles, was er zum Berichten brauche, müsse in seine Hosentasche passen. Der Beweis folgt prompt: Innerhalb weniger Sekunden schneidet eine Kollegin aus einigen Aufnahmen aus dem Saal ein mit Musik unterlegtes Video - auf dem Smartphone. Omar geht noch weiter: Mobile Formate seien "die größte Veränderung seit der Erfindung des Fernsehens".

Konkret nennt er "Stories" - ein Social-Media-Format, bei dem Videos und Fotos mit Text, Emojis und anderen Elementen kombiniert werden - und das, was er die Demokratisierung des Live-Videos nennt ("Absolut jeder geht heute mit seinem Handy live.")

Omar, der allein auf Twitter mehr als 11.000 Follower hat, spricht von jungen Vergewaltigungsopfern in Indien, die Snapchat-Filter nutzten, um anonym ihre Geschichten zu erzählen - ein Projekt, für das er mit dem ersten Snapchat Award ("The Ghosties") aller Zeiten ausgezeichnet wurde. Er erzählt von seiner Smartphone-Berichterstattung aus dem Syrien-Krieg und von Gemeinden in Neu-Delhi, die er für das Geschichtenerzählen auf Instagram begeisterte.

Der Terror der Möglichkeiten

Dass die rasanten technischen Entwicklungen für den Journalismus auch Gefahren mit sich bringen, ist dem jungen Journalisten bewusst. Bleibt die Qualität bei "snackable" Formaten auf der Strecke? Wie können Reporter mit dem Fortschritt mithalten? "Die Entscheidungen, die wir treffen müssen, waren nie komplizierter", sagt Omar. "Wenn ich als Journalist am Ort des Geschehens ankomme, was mache ich dann? Schreibe ich einen Tweet? Einen Online-Artikel? Erstelle ich ein GIF? Produziere ich ein 16:9-Video fürs Fernsehen? Oder doch lieber ein 360-Grad-Video?"

Social Reporter Yusuf Omar braucht für guten Journalismus nichts als ein Smartphone und eine WasserflascheBild: DW/K. Danetzki

Dabei sind neue Technologien bei weitem nicht die einzigen Herausforderungen für den Journalismus. Das diesjährige Global Media Forum mit dem Motto "Identity and Diversity" fragt auch nach der Identität des Journalismus in Zeiten zunehmender Beschneidung der Pressefreiheit und wachsender Gewalt gegen Reporter. Allein in der Türkei wurden seit dem Putschversuch im Juli vergangenen Jahres etwa 150 Medien geschlossen, 50 Journalisten sitzen in Haft.

"Trotz acht UN-Resolutionen beobachten wir, dass die Sicherheit von Journalisten immer mehr abnimmt", sagt Frank La Rue, stellvertretender Generaldirektor der UNESCO. So gebe es einen dramatischen Anstieg an sexueller Belästigung im Netz gegen weibliche Journalisten. In vielen Fällen würden die betroffenen Frauen angegriffen, weil sie zu sensiblen Themen recherchierten, so La Rue.

Zurück zu alten Werten

Ein US-Präsident, der Journalisten als Volksfeinde bezeichnet, "postfaktisch" als Wort des Jahres, die inzwischen allgegenwärtige Angst vor Meinungsbots und Fake News, gerade in Wahljahren: "Es ist beinahe, als hätten die dunklen Mächte gewonnen", sagt DW-Moderator Terry Martin. Doch es gibt auch Auswege aus der Krise. "Das Problem ist nicht da draußen, es ist hier drinnen", erklärt die preisgekrönte US-Journalistin Amanda Bennet, während ihr Blick über den Plenarsaal streift.

Dem Journalismus fehle es an Selbstkritik. "Ich mochte die schnelle Präsentation von Yusuf Omar, und ich werde viele Anregungen in meine Redaktion mitnehmen. Aber die traditionellen journalistischen Werte gehen langsam verloren. Wir müssen uns bremsen, recherchieren, unermüdlich und rigoros die andere Seite der Geschichte suchen." Gerade die US-Wahl habe gezeigt, wie wichtig es sei, auch unbequeme Wahrheiten zu veröffentlichen - Wahrheiten von Menschen, deren Meinung man nicht teilt.

Ähnlich sieht es Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries. Auf Facebook etwas zu lesen sei nun mal immer noch nicht das gleiche, wie es in etablierten Medien zu lesen; Echokammern und Filterblasen seien eine Gefahr für den demokratischen Diskurs, sagt die SPD-Politikerin - und bekommt Applaus. Deshalb gehöre "die Fähigkeit zur Auseinandersetzung mit anderen Weltbildern und der Respekt vor anderen Meinungen" für sie "zentral in jedes Schulcurriculum."

Am diesjährigen Global Media Forum nehmen rund 2000 Gäste aus 100 Ländern teilBild: DW/P. Böll

Zwischen Selbstfindung und Selbstbewusstsein

Die Fronten, an denen es zu kämpfen gilt, scheinen zahlreich, die Aufgaben gewaltig - und doch liegt an diesem Morgen im Bonner World Conference Center auch ein Gefühl von trotzigem Selbstbewusstsein in der Luft. "Wir sind keine Feinde des Volkes - wir arbeiten für die Menschen", sagt DW-Intendant Peter Limbourg in Richtung aller Despoten der Welt - und spielt dabei auf einen Tweet von US-Präsident Donald Trump an. "Ihr werdet die Meinungsfreiheit nicht ewig unterdrücken können. Sie ist stärker als Ihr. Wer als Regierender die Pressefreiheit unterdrückt, wird über kurz oder lang scheitern."

An diesem Tag begibt sich der Journalismus in Bonn auf Selbstfindung und stellt sich seinen Dämonen. Er erntet aber auch Lob - Anerkennung, die in Zeiten wachsenden Misstrauens in die Branche immer seltener geworden scheint. "Danke, dass Sie enthüllen, mobilisieren, Perspektiven ergänzen, warnen, provozieren, dass Sie sich selbst in Gefahr bringen, egal, welchen Preis Sie dafür zahlen", erklärt der Oberbürgermeister von Bonn, Ashok Sridharan. Es sind Worte, die der eine oder andere Journalist im Raum sicher dringend einmal wieder hören musste.

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