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Journalisten in Gefahr in Montenegro

Nemanja Rujevic20. August 2013

In Montenegro wurde ein regimekritischer Journalist angegriffen - nicht zum ersten Mal. Die Regierung hat den Vorfall offiziell verurteilt, doch die Täter wurden nicht identifiziert: Kein Einzelfall in Montenegro.

Der Schatten einer Hand ist auf einem Fotografier-Verbotsschild zu sehen - als Illustration für fehlende Pressefreiheit (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Die heftige Explosion erschütterte einen ruhigen Abend in der montenegrinischen Kleinstadt Berane. Unbekannte hatten einen TNT-Sprengsatz vor das Haus des Journalisten Tufik Softić von der regimekritischen Zeitung "Vijesti" geworfen. Zum Zeitpunkt der Explosion war er zu Hause - zusammen mit seiner Frau und den beiden Kindern. Zwar wurde niemand verletzt, doch das Attentat zeigt deutlich: Kritische Journalisten leben im kleinsten Balkanstaat Montenegro immer noch gefährlich.

"In den letzten zwei bis drei Jahren habe ich eine ganze Reihe von Texten über organisierte Kriminalität in der Balkan-Region und Montenegro geschrieben", sagte Softić im DW-Interview. "Der letzte Angriff hängt mit kriminellen Gruppen zusammen, die auch in meiner Heimatstadt Berane aktiv sind", meint er.

Vor Tufik Softićs Haus explodierte eine BombeBild: DW/M. Canka

Vertreter journalistischer Kreise in Montenegro, die anonym bleiben möchten, erklärten im Gespräch mit der DW, dass der direkte Anlass für den Angriff auf Softić ein Artikel über den lokalen Drogenhändler Vladan Simonović gewesen sei. Simonović stand auf der Fahndungsliste von Interpol wegen Verbrechen in Dänemark. Weil zwischen dem skandinavischen Land und Montenegro kein Auslieferungsabkommen besteht, lebte Simonović unbehelligt in der Kleinstadt Berane - bis er Anfang August wegen des Verdachts auf Geldwäsche in Montenegro festgenommen wurde.

"Investigative Journalisten einschüchtern"

Neđeljko Rudović, stellvertretender Chefredakteur von "Vijesti", beklagt, dass es an politischem Willen fehle, Angriffe auf Journalisten aufzuklären. "Der letzte Angriff vertieft die Zweifel, ob Montenegro ein Staat der Bürger oder der Kriminellen und Vergewaltiger ist, die im Sicherheitsapparat und der Justiz mächtige Beschützer haben", sagte Rudović in einem Interview mit dem serbischen Sender B92.

Bereits vor sechs Jahren, im November 2007, wurde Tufik Softić von zwei Personen mit verhüllten Gesichtern vor seiner Haustür krankenhausreif geschlagen. Seit 2007 gab es insgesamt sieben Übergriffe auf Mitarbeiter der Tageszeitung "Vijesti": Unter anderem gab es drei Bombenanschläge, bei denen mehrere Dienstwagen der Zeitung zerstört wurden.

Tufik Softic im Krankenhaus, nachdem er 2007 von Unbekannten zusammengeschlagen wurdeBild: DW/M. Canka

Im Mai 2004 war es sogar zu einem Mord an einem Journalisten gekommen: Doch nur ein Komplize, der in den Mord an Duško Jovanović, Chefredakteur der Oppositionszeitung "Dan", verwickelt war, wurde zu einer Gefängnisstrafe von 18 Jahren verurteilt. Die Täter wurden bis heute nicht gefasst.

Die Angriffe aus der Vergangenheit und die Bombe vor dem Haus von Softić "zielen ziemlich klar darauf ab, investigative Journalisten einzuschüchtern", sagt Christoph Dreyer von der Organisation Reporter ohne Grenzen im Gespräch mit der DW. "Es geht um Journalisten, die sensible Themen bearbeiten: ganz speziell organisierte Kriminalität, Machtmissbrauch und die Verstrickung von Politik und dem organisierten Verbrechen."

Milde Strafen für die Täter

Ein weiterer Vorfall, der die schwierige Lage der Journalisten in Montenegro deutlich macht, ereignete sich 2009: "Vijesti"-Chefredakteur Mihailo Jovović und sein Fotograf wurden vom Sohn des Bürgermeisters der Hauptstadt Podgorica und einem Bodyguard verprügelt, als sie dessen falsch geparkten Wagen fotografierten. Auch Bürgermeister Miomir Mugoša selbst war bei diesem Vorfall dabei. Nach einem langen Prozess wurde sein Sohn zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Mugoša musste eine Geldstrafe von 400 Euro bezahlen.

Die montenegrinische Regierung verurteilt zwar offiziell die Angriffe auf Journalisten - doch Zeichen echter Solidarität mit den Opfern fehlen. Einige von ihnen sind ohnehin nicht besonders beliebt bei der Regierung: Premierminister Milo Đukanović, der seit 22 Jahren an der Macht ist, bezeichnete seine Kritiker - unter anderem Journalisten von den montenegrinischen Publikationen "Vijesti", "Dan" oder "Monitor" - immer wieder als Agenten, die angeblich von den Geheimdiensten aus Serbien gesteuert werden. Montenegro hatte 2006 nach einem Referendum seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt.

Premier Milo Đukanović hat kritische Journalisten wiederholt als "Agenten" bezeichnetBild: Jelena Kulidzan

"Viele Journalisten und Medien wurden in Montenegro als Schädlinge oder als unpatriotisch bezeichnet", sagt Christoph Dreyer von Reporter ohne Grenzen. "Man hat den Eindruck, es ist dort politisch gewollt, dass Journalisten eingeschüchtert werden und nicht, dass man die Täter verfolgt.“ Eine Interview-Anfrage der DW an das montenegrinische Innen- und Justizministerium zur Ineffizienz des Staates bei der Aufklärung der Angriffe auf Journalisten ist bis dato unbeantwortet geblieben.

Montenegro hinter Katar im Bereich Pressefreiheit

Das kleine Adria-Land steht im Bereich Pressefreiheit auf Platz 113 der aktuellen Rangliste von Reporter ohne Grenzen - noch hinter Kirgisistan oder Katar. Eine peinliche Position für einen EU-Beitrittskandidaten, mahnt Dreyer: "Es muss noch sehr viel geschehen, damit Montenegro bei der Pressefreiheit das EU-Niveau erreicht. Es geht dabei auch um die Rechtsstaatlichkeit: Wenn Journalisten bedroht oder angegriffen werden, müssen die Täter und ihre Hintermänner verfolgt und rechsstaatlich angemessen verurteilt werden."

Journalist Tufik Softić hofft, dass der Druck aus Brüssel während der laufenden Beitrittsverhandlungen etwas an der Situation ändern wird. "Was sollen junge Journalisten denken, die investigative Beiträge veröffentlichen wollen, wenn sie solche Vorfälle sehen?", fragt Softić. Er selbst will auf keinen Fall mit dem investigativen Journalismus aufhören: "Jeder Rückzug würde bedeuten, dass ich meine Arbeit aufgebe. So ein Typ bin ich nicht."

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