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Journalisten wehren sich gegen Überwachung

28. Oktober 2021

Deutsche Geheimdienste sollen auch Journalisten ausspähen dürfen. Dagegen klagt "Reporter ohne Grenzen". Eine ähnliche Klage gegen den Bundesnachrichtendienst (BND) war bereits erfolgreich.

Pegasus Spyware | Webseite NSO Group. Eine Frau checkt im zypriotischen Nikosia die Webseite der israelischen Überwachungsfirma Pegasus.
Auch deutsche Geheimdienste sollen angeblich die umstrittene Spähsoftware Pegasus nutzenBild: Mario Goldmann/AFP/Getty Images

Christian Mihr, Geschäftsführer der deutschen Sektion von "Reporter ohne Grenzen" (RoG), ist ein routinierter Kämpfer für die weltweite Pressefreiheit. Zu seinen größten Erfolgen gehört das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zum BND-Gesetz vom Mai 2020. Damals hatte Deutschlands höchstes Gericht die weltweite Überwachung der Telekommunikation ohne konkreten Anlass durch den Bundesnachrichtendienst (BND) für verfassungswidrig erklärt. 

Und doch: Die Gefahr, von deutschen Geheimdiensten ausgespäht zu werden, ist damit keineswegs gebannt. Im Gegenteil: Seit Juni 2021 ist sie für alle Journalisten, auch deutsche, wieder deutlich größer geworden. Der Grund: Christdemokraten (CDU), ihre bayerische Schwesterpartei CSU und Sozialdemokraten (SPD) haben das Gesetz für den Verfassungsschutz verschärft. Mit der Reform können jetzt alle deutschen Geheimdienste Spähsoftware einsetzen. Mit der sogenannten "Quellen-Telekommunikationsüberwachung", kurz: "Quellen TKÜ", soll auch verschlüsselte Kommunikation in Messenger-Diensten wie Signal, WhatsApp oder Telegram überwacht werden können. Von dieser Möglichkeit soll nicht nur der Verfassungsschutz profitieren; auch dem Auslandsgeheimdienst BND und dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) soll das ermöglicht werden .          

Die Spähsoftware "Pegasus" sorgt für zusätzliche Brisanz

Zwar genießen Journalistinnen und Journalisten einen gewissen Schutz, soweit es um ihre Quellen und selbst recherchiertes Material geht. Dieser Schutz ist aber nicht so weitgehend wie der von Seelsorgern oder Strafverteidigern. Dagegen wehrt sich die von Christian Mihr geleitete Journalisten-Organisation "Reporter ohne Grenzen" gemeinsam mit dem Whistleblower-Netzwerk und mehreren Investigativ-Journalisten.

Vor drei deutschen Verwaltungsgerichten haben sie Eilanträge eingereicht, um die Überwachungspraxis zu kippen. Der von den Klägern beauftragte Rechtsanwalt Niko Härting hofft auf eine Entscheidung innerhalb von höchstens drei bis vier Monaten. Zum Vergleich: Die Verfassungsklage gegen das BND-Gesetz zog sich weit über zwei Jahre hin.

So lange wollen die potentiell von Überwachung Betroffenen dieses Mal aber nicht warten. Der Grund: "Reporter ohne Grenzen" sehe sich aufgrund des Austauschs mit vielen Investigativ-Journalisten auf der ganzen Welt einem "erhöhten Risiko ausgesetzt, von Überwachungsmaßnahmen des Bundesnachrichtendienstes erfasst zu werden", erläutert RoG-Chef Mihr. Dieses Szenario gewinne an Brisanz, weil der BND laut Medienberichten die umstrittene Spähsoftware "Pegasus" verwende. "Und wir haben mit vielen Journalisten Kontakt, wo klar ist, dass die betroffen sind von dieser Überwachung".  

Anwälte genießen besseren Schutz als Journalisten

Anwalt Niko Härting kritisiert, dass gerade investigativ tätige Journalisten im Unterschied zu seiner Berufsgruppe nur einen sogenannten "relativen Schutz" vor Ausspähung hätten. Unter Gesichtspunkten des Quellenschutzes, der im Rahmen der Pressefreiheit Verfassungsrang habe, sei das unzureichend, betont der Jurist. Wenn alles nach Recht und Gesetz zugehe, müsse er als Anwalt nicht befürchten, "in diese Maschinerie hineinzugeraten". Außerdem bemängelt Härting, dass von Überwachung durch Geheimdienste betroffene Personen davon im Normalfall nichts erführen und nur einen eingeschränkten Rechtsschutz hätten.

Rechtsanwalt Niko Härting kämpft für ein schnelles Verbot der Überwachung von Journalisten Bild: Prof. Niko Härting

Der Investigativ-Journalist Martin Kaul könnte so ein Fall sein. Er recherchiert auch zu Extremismus in Sicherheitsbehörden. Als Beispiel nennt er die mutmaßliche Rechtsterrorismus-Gruppe "Nordkreuz". Dabei handelte es sich um Soldaten eines Sondereinsatzkommandos (SEK) in Mecklenburg-Vorpommern, die Waffen- oder Munitionsarsenale angelegt und sich mutmaßlich auf einen sogenannten Tag X vorbereitet haben. Auch mit extremistischen Umtrieben im Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr (KSK) hat Kaul sich beschäftigt.

Was Investigativ-Journalisten und Geheimdienste verbindet

Durch seine Recherchen hat der Investigativjournalist immer wieder auch persönlichen Kontakt zu extremistischen Milieus. Er und sein Team wollten nicht nur auf die Aktenlage angewiesen sein, "sondern wir treffen uns mit Menschen, die mit Behörden auf unterschiedliche Weise zusammenarbeiten". Die aber auch von ihnen beobachtet würden, "weil sie selbst einen extremistischen Hintergrund haben". Der Journalist des Westdeutschen Rundfunks (WDR) hält diese Form der Recherche für unentbehrlich, um ein möglichst umfassendes Bild von der Realität zu bekommen.

Allein schon aus Gründen der Sorgfaltspflicht hält er es für wichtig, unterschiedliche Stimmen zu hören. Er betrachte diese Arbeitsweise als "freundschaftlichen Akt" gegenüber den Sicherheitsbehörden, sagt Martin Kaul - ohne ironischen Unterton. Man habe doch in den meisten Fällen ein gemeinsames Interesse, nämlich "zu einem unabhängigen und vielseitigen Bild der Sicherheitslage in Deutschland zu kommen". Deshalb geht der Investigativ-Journalist auch von einem gemeinsamen Interesse aus, "Rechtssicherheit herzustellen".

Whistleblower sind auf absolute Vertraulichkeit angewiesen

Das 2006 gegründete Whistleblower-Netzwerk beteiligt sich ebenfalls an der Klage. Geschäftsführer Thomas Kastning nennt ein für seine Organisation besonders wichtiges Motiv: Den Kontakt mit Rat suchenden Menschen, die über Missstände zum Beispiel in Behörden informieren wollen: "Besteht der Verdacht, dass aufgrund staatlicher Überwachung diese Kommunikation nicht vertraulich abläuft, ist das ein Riesenproblem für uns." RoG-Geschäftsführer Mihr unterstreicht das. Er sieht in dem Gesetz einen "Angriff auf den Informantenschutz im digitalen Raum“. 

Whistleblower – Allein gegen das System

28:36

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Am liebsten wäre es den klagenden Journalisten und Organisationen, wenn die Politik durch entsprechende Gesetzesänderungen die Überwachung von  sogenannten "unverdächtigen Nebenpersonen" wie Journalisten verhindern würde.

Auch aus einem weiteren Grund: Denn es gehe zugleich um die internationale Kooperation von Staaten mit umstrittene Privatunternehmen aus der Überwachungstechnik-Industrie, betont Lisa Dittmer von "Reporter ohne Grenzen". Die Referentin für Internetfreiheit verweist konkret auf die Spähsoftware "Pegasus" und generell auf Unternehmen, "die sich nicht schämen, auch mit den repressivsten Regimen weltweit zu kooperieren".

Rechtsexperten warnten im Bundestag 

Das wirft aus Lisa Dittmers Sicht grundsätzliche Fragen nach der Moral einer Zusammenarbeit mit solchen Firmen auf. Aber auch konkrete Fragen zum Datenschutz, "wenn Privatunternehmen dann auch Zugang zu solchen Daten erhalten".

Welche Gefahren von dem Überwachungsgesetz ausgehen können, ist den Abgeordneten des Deutschen Bundestages spätestens seit Mai 2021 bekannt. Damals warnten mehrere Rechtsexperten im Innenausschuss vor dem hohen Missbrauchspotenzial.

Man laufe " sehenden Auges in die Verfassungswidrigkeit", sagte damals der Staatswissenschaftler und Rechtsphilosoph Benjamin Rusteberg von der Universität Freiburg (Baden-Württemberg). Einen Monat später wurde das Gesetz trotzdem beschlossen.

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