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MeinungsfreiheitLateinamerika

Mexiko: Journalisten in Lebensgefahr

Claudia Herrera-Pahl
11. Juli 2023

Mexiko gehört für Journalisten zu den weltweit gefährlichsten Ländern. Nun musste wieder ein Reporter sterben - doch die Bevölkerung zeigt sich wenig empört.

Foto-Protest gegen die jüngsten Morde an Journalisten in Mexiko
Eine Fotowand als Protest gegen die jüngsten Morde an Journalisten in Mexiko - aus Sicht von Journalisten zeigt sich die Bevölkerung zu desinteressiert Bild: Manuel Velasquez/AA/picture alliance

Luis Martín Sánchez Iñiguez' Leiche wurde in einem Plastiksack gefunden, die Hände gefesselt, auf seiner Brust hatten die Täter mit einem Messer eine Botschaft befestigt. Unbekannte hatte den Korrespondenten der Zeitschrift La Jornada im mexikanischen Bundesstaat Nayarit vergangenen Mittwoch verschleppt, am Samstag wurde er schließlich tot aufgefunden. Der Journalist wurde nur 59 Jahre alt. Sánchez ist der dritte Korrespondent von La Jornada, der in jüngster Zeit von Kriminellen ermordet wurde und der Zweite im Jahr 2023.

Nach Angaben der mexikanischen Staatsanwaltschaft sind in den vergangenen Tagen noch zwei weitere Medienschaffende verschwunden. Einer sei lebend wieder gefunden worden, vom anderen fehle bislang jede Spur. Vermutlich hatten sie gemeinsam an einer Story gearbeitet. 

Ein trauriger Rekord 

Die Gewalt gegen Journalisten hat derart zugenommen, dass Mexiko international einen traurigen Rekord aufstellt. Laut Reporter ohne Grenzen (RSF) ist Mexiko für Journalisten das tödlichste Land der Welt. In keinem anderen Land, das sich nicht im Krieg befindet, werden so viele Journalisten ermordet. 

Neben Morden zählen internationale Menschenrechtsorganisation wie "Artikel 19" tägliche Übergriffe. So gab es im Juni 2022 alle 14 Stunden einen Angriff auf Journalisten oder Medieneinrichtungen in Mexiko. 

Organisation: Ein Drittel der Angriffe vom Staat 

Laut der Organisation Artikel 19 gehen die meisten Angriffe auf Journalisten in Mexiko von staatlichen Stellen oder lokalen Behörden aus. Seit 2007 ist demnach der mexikanische Staat - seien es Bundesbehörden, Bundesstaaten, kommunale oder lokale Beamte - zum häufigsten Aggressor gegen die Medien geworden. In der ersten Hälfte des Jahres 2022 seien128 Angriffe von Behörden ausgegangen, was knapp 39 Prozent der Gesamtzahl entspreche, so die Organisation.

Journalisten aus Veracruz gedenken auf dem Platz Zocalo ihrer getöteten Kollegen - und fordern ein Ende der Angriffe auf Journalisten.Bild: Felix Marquez/dpa/picture alliance

Die Gewalt gegen Journalisten hat in Mexiko schon traurige "Tradition". Der erste Bericht über die Ermordung eines Journalisten in Mexiko stammt aus dem Jahr 1860. Vicente Segura Argüelles, Mitbegründer der Satirezeitung Don Simplicio, Herausgeber zweier weiterer Zeitungen und Vertreter eines politisch konservativen Journalismus, wurde von liberalen Truppen in Mexiko-Stadt erschossen. Seither wurden hunderte Journalisten ermordet. In der Amtszeit des jetzigen Präsidenten Andrés Manuel López Obrador wurden bislang 44 getötet, der bislang letzte war Luis Martín Sánchez Iñiguez.

"Wir wissen von den Risiken" 

In anderen Fällen ging die Attacke nochmal glimpflich aus: Am 15. Dezember 2022 wurde der prominente Journalist Ciro Gómez Leyva in Mexiko-Stadt während einer Fahrt von unbekannten Angreifern aus einem Motorrad beschossen. Er blieb unverletzt. Sein gepanzerter Wagen rettete ihn vor drei gezielten Schüssen.

"Wir wissen, dass wir in einem gewalttätigen und gefährlichen Land Journalismus betreiben und dass wir Risiken ausgesetzt sind", sagt Ciro Gómez selbst, der jedoch darauf hinweist, dass in der mexikanischen Hauptstadt seit Mitte der 1980er Jahre nichts Vergleichbares vorgekommen war. Die Gewalt konzentriere sich auf die Provinzen und richte sich gegen lokale Journalisten kleinerer Medien, nicht aber gegen renommierte Journalisten, die für die größten Medien Mexikos arbeiten.

Tatortsicherung in Mexiko: Das Land gehört zu den gefährlichsten weltweit Bild: Jesus Guerrero/AFP

War es im Fall von Ciro Gómez ein gezielter Angriff auf den Journalisten oder doch ein gewöhnlicher Überfall in einem von Gewalt geprägten Land, in dem 2022 mehr als 30.000 Morde registriert wurden und 109.000 Menschen spurlos verschwanden? Ciro Gómez will keine voreiligen Schlüsse ziehen: "Es gibt keine Gewissheit, nur Ungewissheit."

Apathie gegenüber dem Leid 

Die Gewalt scheint so normal geworden zu sein, dass sich die Bevölkerung wenig empört zeigt - und noch viel weniger protestiert. "Solange es mir und meiner Familie gut geht, spielt es keine Rolle, was um mich herum geschieht", analysiert Journalistin Anabel Hernández. "Diese Apathie, diese Gleichgültigkeit der Bürger gegenüber dem Leid anderer, vergrößert den Spielraum für Straflosigkeit und führt zu mehr Gewalt gegen alle, auch gegen Journalisten."

"Diese Knüppelgewalt, diese Zähmung und Unterwerfung eines Volkes mit vorgehaltener Waffe, sei es durch die Narcos oder durch Armee und Polizei, lässt ein Land nicht nur vor dem Verbrechen, sondern auch vor dem Autoritarismus in die Knie gehen. Dieses Leben auf den Knien wird Folgen für Generationen haben", sagt Hernández, die wie Gómez Leyva in Mexiko sehr bekannt ist.

Auf dem Spiel stünden die demokratischen Fortschritte im Bereich der Menschenrechte, die Mexiko im Laufe der Jahrzehnte gemacht hat. Nicht nur der Journalismus - auch die Demokratie sei so in Gefahr.

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