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Politik

Jubel und Skepsis nach Yücels Freilassung

Maximiliane Koschyk
16. Februar 2018

Sieg der Freiheit über einen Unrechtsstaat oder Zeichen despotischer Willkür? Die Entlassung des deutschen Journalisten Deniz Yücel aus der türkischen Untersuchungshaft wird kontrovers aufgenommen.

Deniz Yücel am Flugzeug nach Deutschland
Bild: Reuters/O. Oral

"Deniz Yücel ist frei, das ist eine gute Nachricht", teilte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einem Statement kurz nach der angekündigten Freilassung des deutschen Journalisten Deniz Yücel aus der türkischen Untersuchungshaft mit. "Ich hoffe sehr, dass die Freilassung Yücels Bedingungen schafft, die zu einer Verbesserung der deutsch-türkischen Beziehungen führen."

Das Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei ist seit der Festnahme des deutschen Journalisten Deniz Yücel in der Türkei vor über einem Jahr angespannt. "Wir haben versucht, Vertrauensbildung zu betreiben und die türkische Regierung davon zu überzeugen, das Verfahren gegen den deutschen Journalisten Deniz Yücel zu beschleunigen", bestätigte Bundesaußenminister Sigmar Gabriel bei seiner Ankunft auf der Münchner Sicherheitskonferenz. 

Doch die Freude über Yücels Freilassung ist gedämpft. "Es ist wunderbar für Herrn Yücel", sagte FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff der Deutschen Welle in München. "Er ist aber nur ein Journalist von vielen, die hinter Gittern sitzen und dies auch weiter tun werden." Immer noch sitzen sechs Deutsche als politische Gefangene in der Türkei in Haft. "Die allgemeine Menschenrechtslage hat sich nicht fundamental verändert", sagte der außenpolitische Experte der Liberalen. 

Bütikofer: "Geiselnahme ist kein Geschäftsmodell"

"Wir müssen gegenüber Präsident Erdogan deutlich machen, dass er nicht hoffen sollte, aus der Geiselnahme deutscher Bürger ein Geschäftsmodell zu machen”, sagte der EU-Parlamentarier Reinhard Bütikofer von den Grünen der DW.

Yücel selbst hatte immer wieder darauf gepocht, keine Sonderbehandlung, sondern ein faires Verfahren zu bekommen. "Schmutzige Deals" mit der türkischen Regierung hatte er in Statements während seiner Zeit im Gefängnis immer wieder abgelehnt.

Der türkischstämmige Autor Dogan Akhanli, der im vergangenen Jahr auf Betreiben der Türkei mehrere Monate in Spanien festgehalten wurde, sieht in der Freilassung von Deniz Yücel eine Bestätigung für die Willkür der türkischen Regierung. "Der Druck der deutschen Regierung war wohl in den vergangenen Tagen zu groß geworden", sagte Akhanli dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Der prominente Unterstützer Yücels nannte es "mehr als paradox", dass "da ein Journalist, der nur seine Arbeit macht, ein Jahr ohne Anklage in Haft sitzt - und irgendwann wird er einfach freigelassen". 

Özdemir: "Erdogan entscheidet, wer freigelassen wird"

Ähnlich sieht es der Grünen-Parlamentarier Cem Özdemir im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Ich glaube, das ist der beste Witz des Jahres mit der Unabhängigkeit der türkischen Justiz", sagt der außenpolitische Experte der Grünen. Erdogan entscheide, wer im Gefängnis sitze und wer freigelassen werde. "Deniz Yücel wurde freigelassen, weil die Türkei ihn nicht mehr im Gefängnis braucht."

Auch innerhalb der Partei von Außenminister Gabriel ist die Kritik groß: "Deniz Yücel ist freigekauft worden, nicht mehr und nicht weniger", sagte die ehemalige SPD-Abgeordnete  Lale Akgün im Interview mit der Deutschen Welle. "Ich gehe davon aus, dass Yücel freigekommen ist, weil die Bundesregierung etwas für ihn bezahlt hat."

 

CDU: "Wir haben keinen politischen Preis bezahlt"

"Wir haben keinen politischen Preis dafür bezahlt, und wir schätzen die Entscheidung des türkischen Staats", sagte Jürgen Hardt, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im Interview mit der Deutschen Welle. Auch EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker betonte, er habe zwar "fortwährend die Freilassung von Herrn Yücel gefordert". Junckers Sprecher wies aber zurück, dass die Freilassung eine Bedingung für ein Ende März geplantes Spitzentreffen der EU mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan gewesen sei.

Der CDU-Experte Hardt erwarte von der türkischen Regierung nun, die Aufhebung des Ausnahmezustands in Betracht zu ziehen, damit das Land "zu normalen demokratischen und liberalen Strukturen" zurückkehre. Doch davon kann keine Rede sein: Nur wenige Stunden nach der Nachricht von Yücels Freilassung wurde bekannt, dass sechs türkische Journalisten zu lebenslanger Haft verurteilt wurden.

Über 100 Journalisten noch in Haft

Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International bleibt skeptisch: "Bei aller Freude und Erleichterung bleibt die Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei massiv eingeschränkt." Der türkische Vorsitzende von Amnesty International, Taner Kiliç, ist als hochrangiger Vertreter der unabhängigen internationalen Organisation seit acht Monaten inhaftiert.

Journalistenverbände mahnten die deutsche Bundesregierung deshalb, nicht die Lage der rund 100 weiteren inhaftierten Journalisten in der Türkei zu vergessen. "Trotz der guten Nachrichten und des jüngsten diplomatischen Tauwetters zwischen Berlin und Ankara darf der Druck auf die türkische Regierung nicht nachlassen", sagte der Geschäftsführer von Reporter ohne Grenzen Christian Mihr. Der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalistenverbands (DJV) Frank Überall mahnte: "Es wird ganz wichtig sein, Deniz Yücel zuzuhören, wie er die Situation in der Türkei einschätzt und die angespannte Situation mit Blick auf die Pressefreiheit dort."

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