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Politik

Boris Johnson will Brexit-Plan entsorgen

2. Oktober 2018

Den Plan, den die britische Premierministerin May für den Brexit verfolgt, will ihr Widersacher "wegschmeißen". Boris Johnson erntet viel Beifall, aber konkret wird er nicht. Vom Parteitag in Birmingham Bernd Riegert.

Birmingham Boris Johnson Rede auf Parteitag Konservative Partei
Bild: Imago/i Images/A. Parsons

Absoluter Star des chaotischen Parteitages der tief gespaltenen konservativen Regierungspartei im britischen Birmingham ist Boris Johnson. Stundenlang stehen die Delegierten vor einem Nebensaal an, um den Mann sprechen zu hören, der in der Partei und der Regierung kein Amt mehr innehat. Seit Tagen feuerte er rhetorische Breitseiten in Interviews gegen die konservative Premierministerin Theresa May und ihren Brexit-Plan, benannt nach dem Landsitz "Chequers", wo er im Juli entstand. Johnsons 30 Minuten lange Rede, die nicht zum offiziellen Programm des Parteitags gehört, aber von Fernsehstationen live übertragen wird, versteht man hier als eine Art Bewerbung für das Amt des Regierungschefs. Boris Johnson erwähnt diese Ambitionen im jubelnden Auditorium nicht, sondern drischt nur leidenschaftlich auf den Brexit-Plan von Theresa May ein, ohne die Premierministerin direkt anzugreifen.

"Chance" verspricht das Logo des Parteitags: Chancen für Johnson? Oder einen besseren Brexit?Bild: DW/B. Riegert

Jubel für Boris

Der Chequers-Plan der Regierungschefin würde Großbritannien weiter an die Europäische Union fesseln, weil er keine völlige Kontrolle über Handel mit dem Rest der Welt bringen würde, wettert Boris Johnson, der aus Protest gegen den Plan im Juli als Außenminister zurücktrat. In Birmingham ruft er den Delegierten von der Parteibasis zu: "Dies ist der Moment es zu tun. Und wir haben Zeit dazu. Jetzt ist die Zeit, um Chequers wegzuschmeißen!" Der Jubel ist groß. Unerwähnt bleibt, dass der Chequers-Plan auch von der EU abgelehnt wird, wenngleich aus entgegengesetzten Gründen. Die EU verbittet sich den Anspruch der Premierministerin, in Teilen des EU-Binnenmarktes bleiben, die Niederlassungsfreiheit für Menschen und Kapitalverkehr aber abschaffen zu wollen. Für den rhetorisch gewandten Boris Johnson spielt das keine Rolle. Er redet seinen Zuhörern ein, die EU wolle Großbritannien weiter in Handschellen durch das EU-Viertel in Brüssel führen, um den Briten zu schaden und Konkurrenz kleinzuhalten. "Wenn wir es falsch machen, werden wir bestraft. Wenn wir es richtig machen, können und werden wir eine glorreiche Zukunft erleben. Diese Regierung würde dann als diejenige im Gedächtnis bleiben, die etwas Mutiges, Richtiges und Bemerkenswertes tut, das den Wünschen des Volkes entspricht."

Colette Wyatt-Lowe will so schnell wie möglich raus aus der verhassten EUBild: DW/B. Riegert

Boris hat viele Fans

Wie genau er den Brexit gestalten würde, der in sechs Monaten passieren soll, lässt Boris Johnson vage. Er spricht davon, dass es ein "eleganter und würdiger" Austritt aus der Union werden soll, mit freiem Handel in der Welt und ohne Grenze zwischen Nordirland und Großbritannien, irgendwie. Einzelheiten zu einem möglichen Abkommen mit der EU erwarten die Zuhörer in Birmingham auch nicht. Viele von ihnen wollen am liebsten den ganz lauten Knall am 29. März 2019. Einfach raus aus der EU ohne Wenn und Aber. "Ich glaube an das Mantra, dass kein Vertrag besser wäre als ein schlechter Deal. Ein schlechtes Abkommen für Britannien macht einen No-Deal so richtig attraktiv", sagte Colette Wyatt-Lowe, eine Delegierte aus Hartfordshire vor der Halle, in der ihr Idol Boris Johnson spricht. Sie habe keine Ahnung, ob Boris Johnson der bessere Regierungschef wäre, räumt sie ein. "Mich interessiert auch nicht so sehr, ob er nun Premierminister werden will oder nicht. Ich bin hier, weil Boris Johnson der einzige Politiker ist, der aktiv für das Ergebnis des Referendums kämpft, und zwar die EU zu verlassen."

Herbe Kritik von der Basis. Clodagh Law will eine andere PremierministerinBild: DW/B. Riegert

"Fast jeder besser als May"

Dem Chequers-Plan der Premierministerin Theresa May kann auch die Delegierte Clodagh Law wenig abgewinnen. "Wir sind halb raus. Wir sind halb drinnen. Bei zukünftigen Regeln würden wir kein Mitspracherecht haben und einfach gehorchen müssen. Ich glaube, das ist verrückt." Clodagh Law hat sich 1973 für den Beitritt Großbritanniens zur EU eingesetzt. Jetzt müsse sie einsehen, dass es einfach nicht funktioniert hat. Die EU sei ein undemokratisches Monstrum, von dem sich das stolze Großbritannien lösen müsse. Boris Johnson hat im Moment darauf verzichtet, die Parteichefin Theresa May offen herauszufordern und ihren Sturz zu betreiben. Die Delegierte Clodagh Law findet Johnson zwar sympathisch, weiß aber nicht, ob "Boris", wie ihn hier alle nennen, wirklich die Disziplin hätte, Regierungschef zu sein. "Ich glaube, im Moment wäre jeder besser als Theresa May, na ja, vielleicht nicht jeder, aber viele. Ich bin nicht ganz sicher, aber ich sehe ihn noch nicht als Premierminister."

Die Unschuld vom Lande? Boris Johnson wagemutiger als MayBild: Getty Images/L. Neal

Boris veräppelt May im Weizenfeld

Die Minister aus dem Kabinett von Theresa May reiten persönliche Attacken gegen Boris Johnson, um ihn als faul und unstet zu charakterisieren. Am Mittwoch wird die Premierministerin selbst ihre Rede halten. Dann hat sie Gelegenheit, Johnson anzugreifen und ihre Brexit-Strategie zu verteidigen. Boris Johnson hat auf seine Art Theresa May bereits lächerlich gemacht. Nicht mit Worten auf dem Parteitag, sondern mit einem kraftvollen Bild, das heute Zeitungen veröffentlichen. Er rennt darauf durch ein Weizenfeld und trampelt ein paar Halme nieder. Die unterkühlt wirkende Theresa May hatte in einem Interview erklärt, das Verwegenste, was sie je getan habe, sei als kleines Kind verbotenerweise durch ein Weizenfeld zu rennen. Das Bild von Boris ist die ironische Antwort auf dieses Interview. Er traut sich mehr, soll wohl die Aussage sein. Britischer Humor.

EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker betrachtet das Treiben der konservativen Partei Großbritanniens ebenfalls mit einem Schuss Ironie, oder ist es Verzweiflung? Er sagte bei einer Veranstaltung in Freiburg, jemand müsse den Briten mal sagen, dass sie aus der EU austreten und nicht die EU aus dem Vereinigten Königreich. Das soll wohl heißen, dass sich die Brexiteers mit der Realität auseinandersetzen sollten, statt wohlfeile Versprechen zu machen.

 

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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