Juden im Apartheidstaat
2. Dezember 2012Was der ehemalige Bürgerrechtler und erste schwarze Präsident Südafrikas, Nelson Mandela, hier sagt, bestätigt auch Milton Shain, Geschichts-Professor und Direktor des Kaplan-Zentrums für jüdische Studien an der Universität Kapstadt: Es gab aus Nazi-Deutschland geflohene Juden, die sich im politischen Anti-Apartheid-Kampf engagierten. Dabei waren die Zufluchtsuchenden in ihrer neuen Heimat selbst keineswegs mit offenen Armen empfangen worden. Milton Shain erläutert die historische Situation:
Nicht willkommen
"Die Situation Mitte der 1930er Jahre war sehr angespannt. Das Flüchtlingsschiff 'Stuttgart' kam Ende Oktober 1936 und wurde von gewaltigem Protest empfangen. Auch führende Akademiker, unter ihnen der spätere Premierminister und so genannte Apartheid-Architekt Professor Hendrik Verwoerd, demonstrierten gegen die Einwanderung der deutschen Juden. Dies waren die Ausläufer einer Bewegung der Rechtsradikalen in Südafrika, die bereits einige Jahre zuvor begonnen hatte – die so genannten Grau- und Schwarzhemden. Sie ahmten die Nazis und andere Faschisten in Europa nach und waren vehement gegen eine weitere Immigration von Juden Diese Leute plädierten für Maßnahmen, um die jüdische Präsenz und deren Existenzmöglichkeiten im Land zu beschneiden. Sie waren zwar nicht der Mainstream, aber doch eine wichtige und ständig wachsende Kraft.
Ausschluss durch Bürokratie
Den Mainstream aber repräsentierte ein Politiker wie Daniel Malan, der 1948 der erste Premierminister des Apartheidregimes wurde. Er argumentierte schon in den 1930er Jahren, dass Juden, wenn sie zu zahlreich in einem Land seien, ein Konfliktpotential darstellten. Mit Aufnahmebeschränkungen handele er daher letztlich in deren ureigenem Interesse. Etwa 3500 deutsche Juden kamen ins Land, bis unter großem Tamtam der Opposition Anfang 1937 der sogenannte 'Aliens Act' verabschiedet wurde, der de facto die Tür für deutsche Juden zuschlug.
Im "Struggle"
In diesem Zusammenhang muss man die Frage nach der politischen Aktivität unter dem Apartheidsystem betrachten. Die deutsch-jüdischen Einwanderer, Opfer eines klassischen Rassismus und Antisemitismus, kommen in ein Land mit einer kolonialen, rassisch getrennten und ausbeuterischen Gesellschaft. Und die "weißen" Juden, die eben noch in Europa die Opfer waren, sind nun plötzlich Nutznießer dieser nach Rasse geordneten Hackordnung. Das ist ein großer Widerspruch - der freilich nicht allen bewusst war. Viele Flüchtlinge waren jung, sie verstanden oft die politischen Zusammenhänge hier nicht. Andere hatten genug damit zu tun, in Südafrika Fuß zu fassen, Arbeit und Wohnung zu finden. Und natürlich hat der Großteil der jüdischen Gemeinde gelebt wie andere weiße Englischsprachige. Trotz alledem haben sich auch zugewanderte Juden im Anti-Apartheid-Kampf engagiert.
Man muss sich die Situation damals vorstellen. Da war zum Beispiel die Vernichtung der Juden in Litauen, von denen über 90 Prozent im Zweiten Weltkrieg ermordet wurden. Südafrikas Judentum stammt de facto aus Litauen, hierher sind die "Litwaken" - so nennen sich die litauischen Juden - emigriert, als es noch ging. Und auch überlebende Opfer der Verfolgung kamen ans Kap. Es gab hier eine sehr enge Beziehung. Zu erwarten, dass diese Verfolgten und Traumatisierten lauthals gegen die Apartheid protestieren, ist sicher etwas zu viel verlangt.
Jüdischer Aktivismus
Aber der gesellschaftliche Druck wurde größer, eine neue Generation von jungen, gut ausgebildeten Juden verlangte Taten. Sie wußten dass es in der Nazizeit Mitläufer gegeben hatte und wollten in dieser Situation in Südafrika selber keine sein. Und dann gab es natürlich Juden vom extrem linken Spektrum, das waren aber Außenseiter der jüdischen Gemeinschaft, die das Apartheidregime vom ersten Tag an frontal angegangen sind. Ruth First, Joe Slovo, Ronnie Kasrils und viele viele andere Namen kommen mir hier in den Sinn. Von den 15 Angeklagten im Rivonia-Prozess, der Nelson Mandela hinter Gittern brachte, waren alle fünf Weißen Juden.
Zusammengefasst muss man also sagen, dass die Bilanz des jüdischen Aktivismus eindrucksvoll ist. Viel eindrucksvoller jedenfalls, als die der anderer Minderheitengruppen. Und dennoch stellt die jüdische Gemeinde hier, vor allem die junge Generation von Juden, weiter kritische Fragen an die Vergangenheit."