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Juden in Deutschland nach dem Terror der Hamas

17. Dezember 2023

Jüdinnen und Juden in der Bundesrepublik sind verunsichert wie nie. Auf dem Jüdischen Gemeindetag in Berlin forderten sie entschlosseneres politisches Handeln. Christoph Strack war vor Ort.

Deutschland Berlin | Eröffnung des jüdischen Gemeindetags 2023
Besucher des Jüdischen Gemeindetags 2023 zünden Chanukka-Kerzen anBild: Joerg Carstensen/dpa/picture alliance

Ja, sagt Doron Rubin, er fahre nach wie vor mit der U-Bahn in Berlin. Oder besser: wieder. Denn in den ersten Tagen nach dem 7. Oktober verzichtete der 41-jährige Familienvater mit drei Kindern darauf. Eigentlich habe sich seit dem Terrortag, an dem die militant-islamistische  Terrororganisation Hamasim südlichen Israel 1200 Menschen ermordet und rund 240 entführt hat, alles geändert. Am alltäglichen Leben und am Lebensgefühl, sagt Rubin: "Verunsicherung und Unsicherheit, das sind nun unsere ständigen Begleiter. Und es gibt keine Phasen, in denen man zur Ruhe kommt."

Versuchte Brandstiftung: Anschlag auf Synagoge in Berlin

02:27

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Rubin ist Jude, in Deutschland geboren und Mitglied der traditionellen jüdischen Gemeinde "Kahal Adass Jisroel" (KAJ) in der Berliner Brunnenstraße. Er ist Richter, seine Frau Anwältin. Die Gemeinde wurde bundesweit bekannt, weil Mitte Oktober unbekannte Täter Brandsätze auf den von Polizisten bewachten Gebäudekomplex schleuderten, ohne allerdings größeren Schaden anzurichten.

"Es ist alles anders"

Traditionelle jüdische Männer tragen stets eine Kippa, die flache, runde Kopfbedeckung, als Symbol der Ehrfurcht vor Gott. Vor ihren Wohnungstüren hängt eine Mesusa, eine Kapsel mit einem Gebetstext. Doch es seien in letzter Zeit Davidssterne an die Hauswände mehrerer Gemeindemitglieder gesprüht worden, erzählt Rubin der DW. Er kenne nicht wenige, die die Mesusa nun umgehängt haben ins Innere der Wohnung. "Es ist alles anders", sagt er.

Ähnlich äußert sich Pasha Lubarsky, der 44-jährige Maschinenbau-Ingenieur ist ehrenamtlicher Vorstand der KAJ-Gemeinde. Am Anfang sei es ein "Schockzustand" gewesen. Bei Bedrohungen komme immer wieder die Frage: "Sind wir noch richtig in Deutschland? Aber wir lassen uns nicht einschüchtern. Auch wenn man Angst hat, muss man weiter handeln."  

Doron Rubin, Mitglied der traditionellen jüdischen Gemeinde: "Es ist alles anders."Bild: Christoph Strack/DW

An diesem Sonntag (17.12.2023) geht in Berlin der Jüdische Gemeindetag zu Ende. Für vier Tage haben sich rund 1400 Jüdinnen und Juden aus ganz Deutschland getroffen - zu Diskussionen und Fortbildungen, zum Austausch und zum Feiern. Auch Rubin und Lubarsky nehmen teil. Der Tagungsort, ein Hotel im Westen der Stadt, gleicht einem Hochsicherheitstrakt mit Polizisten selbst in den Wandelgängen.

Stunden vor Beginn hatten Sicherheitsbehörden die Verhaftung von mutmaßlichen Hamas-Anhängern in Berlin und Rotterdam vermeldet, die offenbar Anschläge auf jüdische Einrichtungen in Europa planten. Seit langem gilt die Hamas in der Europäischen Union, seinen Mitgliedstaaten sowie einer Reihe anderer Länder als Terrororganisation. Verboten ist sie in Deutschland erst seit Anfang November.

Kampf gegen Antisemitismus ein Scherbenhaufen?

Auf dem Gemeindetag spricht Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, mehrfach von den israelfeindlichen und antisemitischen Demonstrationen in deutschen Städten, an denen viele migrantische Jugendliche beteiligt seien. Judenhass habe es auch vor dem 7. Oktober gegeben, so Schuster, "aber die Qualität und die Bedrohung sind jetzt eine andere".

Bei pro-palästinensischen Demonstrationen in Deutschland werden immer wieder auch antisemitische Parolen lautBild: Michael Kuenne/PRESSCOV/ZUMA/picture alliance

Immer wieder taucht das "Alles anders" auf. Eltern berichten reihenweise von den antisemitischen Erfahrungen ihrer Kinder. Im Grunde kann jeder Rabbiner, jede Rabbinerin hier Ähnliches berichten wie Jasmin Andriani von der liberalen jüdischen Gemeinde in Göttingen: Viele Gemeindemitglieder nähmen lieber online an Gottesdiensten teil als in der Synagoge.  

"Der 7. Oktober ist in jeglicher Hinsicht ein tiefer Einschnitt, auch für unsere Bildungsarbeit", sagt Doron Kiesel. Als Direktor der Bildungsabteilung des Zentralrats ist er auch für die in Frankfurt am Main entstehende "Jüdische Akademie" zuständig. Seit langem lehre er gegen Antisemitismus, sensibilisiere für das Thema, nur um nun zu merken, dass es nicht verstanden wurde. Es sei schwer, sagt er, "vor den Scherben der eigenen Arbeit zu stehen".

Politische Gäste - und Kritik

Die politische Spitze des Landes gibt sich beim Jüdischen Gemeindetag die Klinke in die Hand. Normalerweise kommen solche Gäste mit vorbereiteten Reden, man lobt einander und würdigt die Arbeit, jeder hat etwas davon. Doch beim Gemeindetag 2023 ist das nicht so einfach.

Schon beim Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zum Auftakt ist das zu spüren. Als er den Saal betritt, gibt es wenig Applaus. "Wir alle sind im Innersten getroffen von den grausamen Ereignissen in Israel", sagt Steinmeier und spricht von einem Staat, "der sich wehrt und wehren muss". Als der Bundespräsident, der wenige Tage zuvor in Israel ein zerstörtes Kibbuzim nahe dem Gazastreifen besucht hat, auch von den "schrecklichen Zerstörungen in Gaza" und den "vielen tausend Todesopfern" spricht, bleibt es ruhig im Saal. Seine Rede quittiert das Publikum mit gerade ausreichend höflichem Beifall.

Deutlicher wird es bei der Rede der Außenministerin. Annalena Baerbock (Die Grünen) spricht von ihrem Erlebnis einer Chanukka-Feier in Dubai. Auch dort seien Juden in Angst. Als sie vorträgt, dass Israels Sicherheit deutsche Staatsräson sei, kommen Zwischenrufe aus dem Saal, erst einer, dann mehrere. Es ist laute Kritik, Empörung darüber, dass sich Deutschland bei UN-Abstimmungen zu Israels Krieg gegen die Hamas enthalten habe.

Baerbock hebt zu Erklärungen an, betont die Notwendigkeit des Dialogs. "Israel wird nur in Sicherheit leben können, wenn Palästinenser irgendwann frei von Terrorismus leben können. Und genauso gilt: Palästinenser werden nur in Sicherheit leben können, wenn Israel in Sicherheit lebt." Die Stimmung im Saal bleibt kühl.

"Deutschland zwischen den Stühlen"

Schon bei Baerbock hatte Zentralratspräsident Josef Schuster diesen Kurs der Bundesregierung in diplomatischen Worten bemängelt. Vor dem Auftritt von Kanzler Olaf Scholz (SPD) wird er deutlicher und greift die von deutschen Politikern seit dem Terrortag oft beschworene Formel "Nie wieder ist jetzt" auf: "Nie wieder ist leider doch zuweilen irgendwann", sagt Schuster in seiner Begrüßungsrede an Scholz. Natürlich dürfe man Israels Regierung und das Auftreten militanter Siedler deutlich kritisieren. Das taten auch Schuster und andere Repräsentanten während des Gemeindetages. Aber Schuster fehlt eine eindeutige Solidarität mit den Israelis im Krieg.

Im vorbereiteten Teil seiner Rede beschwört der Kanzler dann eine "offene Gesellschaft", mahnt Empathie und Solidarität mit Juden an, erwähnt Israel jedoch kaum. Aber gegen Ende, als erinnere er sich Schusters leiser Wut, fügt er spontan fünf Sätze an: Deutschland stehe "selbstverständlich" auch immer wieder an der Seite Israels, "wenn in der öffentlichen Debatte das Recht Israels, sich selbst zu verteidigen, infrage gestellt wird. Das werden wir nicht zulassen. Alle können sich auf Deutschland verlassen."

Erreicht die Politik die Teilnehmenden des Gemeindetags?

Pasha Lubarsky sieht es wie Zentralratspräsident Schuster: Wenn man stets das "Nie wieder" beschwöre, müsse man auch entsprechend handeln. Er dankt den Berliner Polizeibehörden für die Zusammenarbeit. Aber das Ausmaß der Demonstrationen auf deutschen Straßen besorge ihn. 

Pasha Lubarsky, Vorstand der jüdischen Gemeinde an der BrunnenstraßeBild: Christoph Strack/DW

Auch Doron Rubin hat all die Solidaritätsbekundungen und die Beschwörungen im Stil des "Nie wieder" gehört. "Die Politik bestärkt sich ein bisschen auch selbst. Vielleicht verbergen sie auch eine gewisse Ohnmacht: Was kann man gegen den Antisemitismus der Straße machen?" Rubin und Lubarsky werden auch weiterhin über die Straße mit der Kippa zur Synagoge gehen. "Diese Unsicherheit kann uns auch kein Politiker nehmen."

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