1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

NATO berät Abzug aus Afghanistan

Bernd Riegert18. April 2012

28 Außen- und 28 Verteidigungs-minister der NATO-Staaten haben sich viel vorgenommen: sie bereiten den NATO-Gipfel im Mai vor. In der großen Runde geht es nicht nur um den Truppenabzug aus Afghanistan.

Der Nato-Stern und wehende Flaggen der Mitgliedsstaaten vor dem Gebäude des Nato-Hauptquartiers im belgischen Brüssel (Archivbild vom 5.9.1995)
Nato-Hauptquartier in BrüsselBild: picture-alliance/dpa

Die jüngsten Anschläge und Angriffe von Taliban und Aufständischen am Wochenende haben die NATO-Offiziellen in öffentlichen Erklärungen schnell beiseite geschoben. Für die Pressearbeit gilt der Satz, den US-General John Allen, Oberkommandierender der Internationalen Schutztruppe in Afghanistan, prägte: "Ich bin unheimlich stolz darauf, wie schnell die afghanischen Sicherheitskräfte auf die Angriffe in Kabul reagiert haben." Die Reaktion auf die Angriffe habe gezeigt, dass die afghanischen Truppen professionell und sehr engagiert seien, so auch die NATO-Sprecherin Oana Lungescu. So wird aus den schwersten Angriffen der Taliban in Kabul seit zehn Jahren noch ein Erfolg aus NATO-Sicht. NATO-Diplomaten sagten, allerdings ohne genannt werden zu wollen, sie teilten den Optimismus nicht, was die Fähigkeiten der afghanischen Sicherheitskräfte angeht. Schließlich seien die Kämpfe nur mit Hilfe us-amerikanischer Kampfhubschrauber beendet worden.

"Sicherlich gibt es noch Herausforderungen bei der Sicherheit", räumte Oana Lungescu in Brüssel ein. Der Zeitplan zum Abzug der NATO-geführten ISAF-Truppe, über den der "Jumbo-Rat" an diesem Mittwoch und Donnerstag (18./19.04.2012) beraten soll, wird aber nicht verändert. Bundesaußenminister Guido Westerwelle, der an der Sitzung in Brüssel teilnimmt, sagte: "Es bleibt dabei." Der Abzug der 130.000 Soldaten aus Afghanistan werde planmäßig fortgesetzt.

NATO-Sprecherin Lungescu sieht "Herausforderungen"Bild: AP

Übergabe läuft

Die NATO ist dabei, die Verantwortung für die Sicherheit in den einzelnen Provinzen Afghanistans an die Kommandeure der afghanischen Truppen zu übergeben. Die Hälfte des Territoriums steht bereits unter afghanischem Kommando. Bis Mitte 2013 soll die Übergabe komplett vollzogen sein. Bis Ende 2014 sollen die allermeisten Truppen der ISAF, die aus 49 Nationen kommen, das Land am Hindukusch verlassen. Das war bereits beim letzten NATO-Gipfel im November 2010 in Lissabon so beschlossen worden.

Jetzt wird überprüft, ob der Zeitplan einzuhalten ist. Beim kommenden NATO-Gipfel im Mai in Chicago will der im Wahlkampf stehende US-Präsident Obama dann bekannt geben, wann wie viele amerikanische Einheiten nach Hause kommen.

Trotz Attacken der Taliban: Abzug der NATO aus Afghanistan soll nicht nach Flucht aussehenBild: Reuters

Wer zahlt für afghanische Truppen?

Die NATO bildet bis zu 350.000 afghanische Soldaten und Polizisten aus. Ihre Zahl soll nach 2014 wieder sinken, wahrscheinlich auf die Stärke von rund 235.000 Mann. Beim Jumbo-Rat der Außen- und Verteidigungsminister diese Woche in Brüssel wird nun darum gerungen, wer diese große Sicherheitstruppe künftig bezahlen soll. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, der vergangene Woche beim afghanischen Präsidenten Karzai zu Gast war, geht davon aus, dass die Truppensteller-Staaten der ISAF die Kosten übernehmen. "Wir werden auch nach 2014 Afghanistan verpflichtet bleiben", sagte Rasmussen. Nach Schätzungen werden jährlich vier Milliarden US-Dollar fällig, um Soldaten und Polizisten in Afghanistan zu entlohnen.

Außerdem müssen die Minister festlegen, wie der logistisch aufwändige Rückzug von 130.000 Männern und Frauen mit 70.000 Fahrzeugen über Pakistan und Zentralasien organisiert und koordiniert werden kann. "Vermutlich ist dazu eine eigene Operation mit eigenem Mandat notwendig", sagte der ehemalige NATO-General Egon Ramms der Deutschen Welle. "Deutschland ist die Regionalmacht im Norden und führt das Regional Command North. Das heißt, wir sind für bestimmte logistische Abläufe, Unterstützung und Versorgung verantwortlich. Das bedeutet, dass die Deutschen sich auch um den Abzug der Norweger, der Schweden und anderer Länder kümmern müssen." Da die Bundeswehr Verantwortung für den Abzug über eine der Hauptrouten trage, könne es sein, dass die 4.400 deutschen Soldaten sehr lange vor Ort im Einsatz bleiben müssen. Eventuell müsse die Truppenstärke sogar kurzzeitig steigen, weil man logistische Fachleute zusätzlich nach Afghanistan schicken müsse, so Ramms.

US-Außenministerin Clinton will ihre Truppen heimholenBild: picture-alliance/dpa

Russischer Gast lehnt Raketenabwehr ab

Die 56 Außen- und Verteidigungsminister werden in Brüssel auch Gäste aus den Partnerländern der NATO empfangen, der wichtigste von ihnen ist der russische Außenminister Sergej Lawrow. Auch im NATO-Russland-Rat werden die Allianz und der russische Außenminister über den Abzug aus Afghanistan sprechen. Russlands Kooperation ist dringend notwendig, da viele Transporte über russisches Gebiet laufen. Thema wird auch die umstrittene Raketenabwehr sein, die die NATO in Europa aufbauen will. Russland lehnt die Pläne weitgehend ab, während die NATO beim Gipfel in Chicago die vorläufige Einsatzbereitschaft von Teilen der Abwehr feststellen will. Nach Angaben aus NATO-Kreisen sieht Russland in der Raketenabwehr eine Verminderung seiner Fähigkeit mit Atomwaffen, einen Angriff abzuwehren. Die sogenannte "Zweitschlagsfähigkeit" werde durch die Raketenabwehr aber gar nicht berührt, heißt es von Seiten der NATO. Angeblich aus Protest gegen die Raketenabwehr hat der künftige russische Präsident Wladimir Putin seine Teilnahme am Gipfeltreffen in Chicago abgesagt. Offiziell hieß aus dem Kreml, Putin sei zum Zeitpunkt des Treffens Mitte Mai erst wenige Tage im Amt und habe Terminschwierigkeiten.

Trotz dieses Rückschlags sei das Verhältnis auf der Arbeitsebene zu den Russen gut, sagen NATO-Diplomaten in Brüssel. Russland unterhält eine eigene Botschaft im Hauptquartier der Militärallianz. Bei einer Übung zur Raketenabwehr haben NATO-Offiziere und russische Offiziere vor wenigen Wochen am Simulations-Computer gut zusammengearbeitet und verschiedene Szenarien von Raketenangriffen auf Europa durchgespielt. 22 Jahre nach dem Kalten Krieg kommt die Bedrohung von Risiko-Staaten wie dem Iran oder Nordkorea, die nur schwer einzuschätzen sind. Wenigstens in dieser Analyse sind sich NATO-Vertreter und Russen weitgehend einig.

Russlands Außenminister Lawrow lehnt Raketenpläne abBild: picture-alliance/dpa
Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen
Den nächsten Abschnitt Top-Thema überspringen

Top-Thema

Den nächsten Abschnitt Weitere Themen überspringen