Juncker will geeinte Europäische Union
12. September 2018Angesichts des Handelskonflikts mit den USA rief EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Europäische Union zu Einigkeit auf. "Wir sollten unsere Kräfte im Handel bündeln", sagte Juncker in Straßburg vor dem Europäischen Parlament. Einige seien vielleicht überrascht gewesen, dass er mit US-Präsident Donald Trump im Juli eine Vereinbarung habe treffen können. Aber immer, wenn die EU mit einer Stimme spreche, sei es keine Überraschung, dass sie sich durchsetzen könne.
Juncker sprach auch über das Streitthema Migration. Die EU-Außengrenzen müssten stärker geschützt, die Zahl der europäisch finanzierten Grenzschützer deshalb bis zum Jahr 2020 auf 10.000 Beamte aufgestockt werden. Gleichzeitig betonte Juncker, die EU solle die Mitgliedstaaten bei der Bearbeitung von Asylanträgen und einer beschleunigten Abschiebung "irregulär eingereister Migranten" stärker unterstützen.
"Die EU braucht legale Einwanderungswege"
Der frühere Luxemburger Regierungschef forderte die Mitgliedstaaten auf, sich noch vor der Europawahl im Mai 2019 auf eine Reform des Asylsystems und die Verteilung eintreffender Flüchtlinge zu verständigen. "Wir können nicht bei der Ankunft eines jeden neuen Schiffes über Ad-hoc-Lösungen für die Menschen an Bord streiten." Ohne Solidarität der Mitgliedstaaten drohten dauerhaft Grenzkontrollen im Schengenraum, der in Europa normalerweise Reisefreiheit garantiert.
Der EU-Kommissionspräsident plädierte zudem für "legale Einwanderungswege" in die EU. Europa brauche "qualifizierte Migranten", sagte Juncker. Er verlangte von den Mitgliedstaaten, von der Kommission gemachte Vorschläge auch umzusetzen.
Mehr globales Engagement
Um die Europäische Union handlungsfähiger zu machen, sollen bestimmte Entscheidungen nach Junckers Willen künftig nicht mehr einstimmig getroffen werden müssen. Im Bereich der Außenpolitik und bei bestimmten Steuerfragen sollten die EU-Staaten künftig stattdessen mit qualifizierter Mehrheit entscheiden. Wegen der aktuellen Regelung kommt es immer wieder vor, dass die EU sich wegen der Blockade durch einzelne Staaten international nicht positionieren kann oder Gesetzesvorschläge Monate und Jahre nicht beschlossen werden.
Der Kommissionschef forderte in seiner Rede auch mehr globales Engagement von der Europäischen Union: "Europa muss eine aktive Rolle spielen, ein Architekt der Welt von morgen sein." Mit Blick auf den befürchteten großen Angriff der syrischen Armee auf die Rebellenhochburg Idlib sagte er, die EU müsse den Blick darauf richten, "was um uns herum geschieht". Die Situation in Idlib gebe Anlass zu größter Sorge. Auch in dieser Krise brauche die Welt "ein starkes und geeintes Europa", sagte Juncker.
Ja zu Strafverfahren gegen Mitgliedsländer
Im Bezug auf die Brexit-Verhandlungen sagte Juncker, die Europäische Union stehe dem Vorschlag der britischen Premierministerin Theresa May zur Errichtung einer Freihandelszone nach dem Brexit offen gegenüber. Die EU sei für einen geordneten Austritt des Vereinigten Königreichs. Dennoch könne ein Land außerhalb der EU nicht die gleichen Rechte haben wie ein Mitgliedsstaat. Zudem seien zur Vermeidung einer "harten" Grenze zwischen Nordirland und Irland kreative Lösungen nötig.
Der EU-Kommissionspräsident stellte sich zudem hinter die Eröffnung von Verfahren gegen Mitgliedsländer bei Verstößen gegen die Prinzipien des Rechtsstaats. "Artikel 7 muss dort, wo der Rechtsstaat in Gefahr ist, Anwendung finden", sagte Juncker. Gegen Polen läuft bereits ein solches Verfahren, an dessen Ende der Entzug der Stimmrechte für das betroffene Land im EU-Rat stehen kann. Auch auf Ungarn könnte ein Strafverfahren zukommen.
Juncker hielt seine jährliche Rede zur Lage der EU vor dem versammelten EU-Parlamentsplenum. Der Kommissionschef stellt darin traditionell seine Prioritäten für das kommende Jahr vor und zieht Bilanz zum Zustand der EU. Für den 63-Jährigen dürfte es eine seiner letzten großen Reden im Parlament gewesen sein. Junckers Amtszeit endet im Oktober kommenden Jahres. Er hat bereits erklärt, kein weiteres Mandat anzustreben.
ie/ww (dpa, afp)