Junge Deutsche bleiben vorerst von der Wehrpflicht verschont
11. April 2025
Über eine Rückkehr zur Wehrpflicht ist in den letzten Wochen viel spekuliert worden: Der Bundeswehr fehlt Personal, und der Soldatenberuf ist bei jungen Menschen wenig populär. Vor allem die konservativen Schwesterparteien CDU und CSU hatten im Wahlkampf eine schrittweise Rückkehr zur Wehrpflicht gefordert. Viele andere europäische Länder haben die Wehrpflicht längst wieder eingeführt.
Doch die Sozialdemokraten sind gegen einen Zwangsdienst, sie setzen auf Freiwilligkeit. Allen voran der geschäftsführende Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), der sein Amt in der neuen Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD wahrscheinlich behalten wird. Und so verkündete der voraussichtliche künftige Bundeskanzler, CDU-Chef Friedrich Merz bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags, "dass wir nach dem schwedischen Modell zunächst auf der Basis der Freiwilligkeit den Wehrdienst in Deutschland stärken werden".
Ein Fragebogen, der ausgefüllt werden muss
Nach dem Modell, das in Schweden erfolgreich praktiziert wird, erhalten alle 18-Jährigen eines Jahrgangs einen Fragebogen. Die Beantwortung der Fragen, etwa zur Fitness und zur Bereitschaft zum Militärdienst, ist für Männer verpflichtend und für Frauen freiwillig. Die Antworten entscheiden, wer anschließend zur Musterung eingeladen wird. "Es sollen diejenigen für den Wehrdienst ausgewählt werden, die am fittesten, am geeignetsten und am motiviertesten sind", hatte Pistorius seinen Vorschlag im vergangenen Jahr erläutert.
Im Kern geht es darum, wieder eine "Wehrerfassung" zu schaffen, die mit dem Ausstieg aus der Wehrpflicht im Jahr 2011 aufgegeben wurde. Mit einer Wehrerfassung werden Informationen über alle wehrfähigen Bürger gesammelt. Dies umfasst Daten über Alter, Fähigkeiten und militärische Erfahrungen. Im Verteidigungsfall wisse der Staat sonst gar nicht, wer überhaupt eingezogen werden könnte, beklagt Pistorius. Der Dienst soll auch attraktiver werden. "Wertschätzung durch anspruchsvollen Dienst, verbunden mit Qualifikationsmöglichkeiten, werden die Bereitschaft zum Wehrdienst dauerhaft steigern", heißt es hoffnungsvoll im Koalitionsvertrag.
Bereits im vergangenen Jahr hatte Pistorius einen Anlauf genommen, dieses Wehrdienstmodell einzuführen. Der Zwist in der Ampel-Regierung kam dazwischen: Just an jenem 6. November, an dem sein Gesetzentwurf das Kabinett passierte, brach die Regierung aus SPD, FDP und Grünen auseinander. In den Bundestag kam dieser Gesetzentwurf dann nicht mehr.
Die Wehrpflicht gab es von 1957 bis 2011
Im Jahr 2011, so könnte man flapsig sagen, landete die Wehrpflicht in der Mottenkiste der deutschen Geschichte. Damals wurde sie abgeschafft, weil sie von der Wirklichkeit überholt worden war: Die Bundeswehr war seit dem Ende des Kalten Kriegs - damals war sie fast eine halbe Million Mann stark - erheblich geschrumpft. Statt auf die Landesverteidigung konzentrierte sie sich auf Auslandseinsätze.
Dafür brauchte sie keinen Haufen 18-Jähriger mehr, die für sechs Monate eingezogen wurden - so kurz dauerte der Wehrdienst am Ende nur noch. Die Bundeswehr konnte außerdem nur noch einen kleinen Teil der jungen Männer eines Jahrgangs aufnehmen. In der Praxis hieß das: Während einige junge Männer schon mit der Ausbildung oder dem Studium beginnen konnten, mussten andere zum Dienst bei der Bundeswehr antreten. Rechtlich gesehen war das eine problematische Ungleichbehandlung.
Heute hat sich die sicherheitspolitische Lage wieder grundlegend geändert. Russlands Krieg gegen die Ukraine, hybride Angriffe auf NATO-Mitglieder und die Abkehr der US-Regierung von Europa - das alles hat zu der Überzeugung geführt, dass Deutschland sich militärisch besser aufstellen muss. Mit mehr Waffen für die Bundeswehr, für die der künftigen Bundesregierung viel Geld zur Verfügung stehen wird. Aber auch mit mehr Personal. Seit geraumer Zeit stagniert die Zahl der aktiven Soldatinnen und Soldaten. Derzeit liegt sie bei gut 182.000.
Es fehlen unter anderem Piloten, IT-Spezialisten und Elektrotechniker. Zwar lockt die Bundeswehr mit einer Vielzahl von Ausbildungen, mit kostenlosen Bahnfahrten in Uniform und einer unentgeltlichen ärztlichen Versorgung. Dennoch ziehen nur wenige junge Menschen die Bundeswehr als Arbeitgeber in Betracht. Zu zahlreich sind die Alternativen auf dem deutschen Arbeitsmarkt, der ohnehin unter Fachkräftemangel leidet. CDU/CSU und SPD hoffen nun, dass sich mehr Bewerber für die Bundeswehr erwärmen, wenn sie sich durch den Fragebogen mit dem Thema Landesverteidigung auseinandersetzen müssen.
Wie viele Wehrdienstleistende kann die Bundeswehr integrieren?
Dass die künftige Bundesregierung weiterhin auf einen freiwilligen Wehrdienst setzt, hat auch einen praktischen Grund: Die Bundeswehr könnte gar nicht alle jungen Männer eines Jahrgangs als Wehrdienstleistende aufnehmen. Dazu fehlt ihr heutzutage die Infrastruktur, die bis 2011 noch vorhanden war, vor allem Unterkünfte und Ausbilder.
Derzeit stehen für den freiwilligen Wehrdienst maximal 15.000 Plätze zur Verfügung, von denen nur gut 10.000 besetzt sind. 5000 weitere Freiwillige könnten also sofort und ohne Anstrengung aufgenommen werden, betont der ranghöchste deutsche Soldat, Generalinspekteur Carsten Breuer. "Wir brauchen ein Aufwuchspotenzial."
Würden auf einen Schlag mehr Wehrdienstleistende aufgenommen, könnte die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr darunter leiden. Ein Panzerkommandant könne nicht gleichzeitig Wehrdienstleistende ausbilden und die "Einsatzbereitschaft für sein Gefecht an der NATO-Ostflanke aufrechterhalten", erklärte Breuer bei einer Diskussion in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).
Eine Rückkehr zur allgemeinen Wehrpflicht wäre möglich
Sollte der neue Wehrdienst, der laut Koalitionsvertrag "zunächst auf Freiwilligkeit basiert", kein Erfolg werden, könnte die neue Bundesregierung problemlos zur allgemeinen Wehrplicht zurückkehren. Sie wurde 2011 lediglich per Gesetz deaktiviert, nicht aber aus der Verfassung gestrichen. Allerdings gilt sie nur für Männer. Falls Frauen ebenfalls zum Dienst verpflichtet werden sollen, müsste das Grundgesetz entsprechend geändert werden. Das ginge nur mit einer Zweidrittelmehrheit im Bundestag.