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Brain Drain aus Spanien

Regina Mennig21. Mai 2013

Auf jeden zweiten Jugendlichen in Spanien wartet nach Ausbildung oder Uni die Arbeitslosigkeit. Viele junge Spanier kehren dem Land nun den Rücken. Vor allem bei ambitionierten Ingenieuren gilt Deutschland als El Dorado.

Álvaro Morales de Felipe und Alba Morell (Fotomantage DW)

Was der Spanier Álvaro Morales aus seiner Heimat erzählt, ist für seine Kollegen in Deutschland unvorstellbar: "Wenn man viel Glück hat, bekommt man als Ingenieursstudent nach der Universität einen Job mit 800 Euro Monatsgehalt." Bitter fügt der 26-Jährige hinzu: "Bestenfalls konstruiert man dann irgendwelche Bordsteinkanten." Mit einer Stelle als überqualifizierter Hilfsarbeiter will sich Álvaro nicht abfinden - und schon gar nicht mit der Arbeitslosigkeit, die junge Menschen in Spanien nach ihrer Ausbildung mit hoher Wahrscheinlichkeit trifft: 52,3 Prozent der Jugendlichen sind ohne Job, das ist derzeit trauriger Rekord unter den 27 EU-Ländern.

Und so ist Álvaro vor ein paar Monaten für einen Studentenjob bei einem Kerntechnik-Unternehmen nach Deutschland gekommen. In ein Land, dessen Bundeskanzlerin spanische Fachkräfte zum Arbeiten einlädt, wenn sie auf Staatsbesuch in Madrid ist. Ein Land, in dem Zehntausende Ingenieure fehlen, wie in den Nachrichten immer wieder vermeldet wird. Ein Land "wie ein Bonbon für einen Ingenieursstudenten wie mich", meint Álvaro, der junge Mann aus Las Palmas auf Gran Canaria.

Rückkehr nach Spanien ungewiss

Dort, wo viele südeuropäische Ingenieure auf Arbeitssuche gerne Fuß fassen würden, ist Alba Morell vor einem Jahr angekommen: Die 25-Jährige aus Gijón in Nordspanien ist Maschinenbau-Ingenieurin bei Daimler in Stuttgart. Für deutsche Ohren klingt es ungewöhnlich, wenn die quirlige Spanierin von ihrer Arbeit erzählt und dabei ganz selbstverständlich mit Begriffen wie "Zylinderbeschichtung" oder "Effizienz im Ölverbrauch" jongliert. Im Gegensatz zu Spanien ist der Ingenieursberuf in Deutschland bislang eine Männerdomäne - und Alba Morell die einzige Frau in ihrem Team. Auf die Frage, wie sie dorthin gekommen ist, antwortet sie mit Leichtigkeit: "Als ich studiert habe, dachte ich, Deutschland ist der Motor von Europa, die sind technisch viel weiter als wir - ich will das sehen."

Alba Morell ist Ingenieurin bei MercedesBild: Daimler AG

Sie ging für ein Austauschjahr von der Universität Oviedo nach Karlsruhe, bekam wenig später eine Praktikantenstelle in der Mercedes-Forschungsabteilung in Ulm und schließlich das Angebot, dort im Rahmen ihrer Diplomarbeit zu forschen. "Dann die Festanstellung in Stuttgart zu kriegen, das war ein Traumgefühl. Mercedes war für mich und meine Kommilitonen in Spanien immer etwas Unerreichbares", sagt Alba. Inzwischen muss sie sich in einem Arbeitsumfeld behaupten, in dem längst keine Rücksicht mehr darauf genommen wird, dass sie nicht in ihrer Muttersprache arbeitet. Der Blick zurück auf ihr Land stimmt Alba heute vor allem traurig. Sie erzählt von Freunden von der Universität, die es sich nicht leisten können, von zuhause auszuziehen. Die jetzt an der Supermarktkasse arbeiten - "obwohl sie früher an der Uni die gleichen Noten hatten wie ich", wie Alba betont. Sie weiß, dass sie der Krise in ihrem Land gerade noch rechtzeitig entkommen ist. Und trotzdem traf sie die Entscheidung für ihre Stelle in Stuttgart nicht völlig unbeschwert: "Vielleicht bedeutet es, dass ich nicht mehr nach Spanien zurückgehen werde. Denn so eine Arbeit ist dort momentan nicht zu finden", sagt sie nachdenklich.

Schwierig wird es eher für die, die zurückbleiben

Die Frage, wie viele gut ausgebildete Spanier ihrem krisengeschüttelten Land in den vergangenen Jahren den Rücken gekehrt haben, füllt inzwischen ganze Dossiers in spanischen Tageszeitungen. Von 2010 bis 2011 soll die Zahl der Abgewanderten um 70 Prozent gestiegen sein - über Beruf und Bildungsniveau dieser Menschen gibt die Statistik aber keine Auskunft. Deutlich feststellbar ist jedenfalls, dass in Deutschland immer mehr Arbeitnehmer aus Spanien, Griechenland, Portugal oder der Slowakei ankommen: aus jenen EU-Ländern, die von Krise und Arbeitslosigkeit besonders schwer betroffen sind. Der Arbeitsmarktforscher Herbert Brücker von der Universität Bamberg bewertet den "Brain Drain" für die Krisenländer nicht unbedingt negativ: "Länder, die viel Geld für Arbeitslosenhilfe ausgeben müssen, profitieren ein Stück weit davon, wenn die betroffenen Personen abwandern", erklärt er. Und wenn ein Teil dieser Menschen später mit erweiterter Qualifikation aus dem Ausland zurückkehre, könne das sogar ein Gewinn sein.

Arbeitsmarktforscher Professor Herbert BrückerBild: IAB

Besorgniserregend findet Brücker vielmehr die Situation derer, die in den Krisenländern lange arbeitslos bleiben und dabei Erfahrung und Antrieb verlieren. "Diese Menschen wieder in Arbeit zu bekommen, ist sehr schwierig. Wir wissen das aus eigener Erfahrung in Deutschland", sagt der Wirtschaftswissenschaftler und meint damit das Jahr 2005. Damals steckte Deutschland in der Krise. Die Arbeitslosenquote lag weit höher als in den südeuropäischen Ländern, und die OECD sah den Grund bei den deutschen Arbeitskräften: zu unflexibel, zu spezialisiert auf ihre Betriebe. Heute gilt gerade die Bindung der Arbeitnehmer zum Betrieb als Schlüssel des deutschen Erfolgs, vor allem in Sachen Ausbildung. Der Ingenieursstudent Álvaro Morales sieht dieses Prinzip auch in deutschen Studiengängen - und damit einen Gegensatz zu seinem Land, wo Absolventen in ihrer Ausweglosigkeit oft einen Studienabschluss auf den anderen setzen, ohne je Praxiserfahrung gesammelt zu haben.

Ihre ausweglose Situation bringt spanische Studenten immer wieder auf die StraßeBild: Reuters

Die Sprache ist die größte Hürde

"In Deutschland gehört es oft zum Studium, ein Praktikum in einem Unternehmen zu machen. Wenn man mit der Uni fertig ist, hat man schon Kontakte in die Arbeitswelt und wird manchmal sogar direkt eingestellt", hat er beobachtet. Er hofft, dass sein Einstieg ins deutsche Arbeitsleben ähnlich verlaufen könnte. Wenn seine Pläne aufgehen, folgt seinem derzeitigen Aushilfsjob in Erlangen bald ein Praktikum an der Nordsee; sein deutsches Unternehmen hat dort ein Projekt für erneuerbare Energie.

Unterdessen büffelt Álvaro jeden Tag nach Feierabend noch zwei Stunden Deutsch. "Um hier eine Stelle zu kriegen, muss man deutsch sprechen. Und das ist für Spanier eine ganz schön komplizierte Angelegenheit", sagt er lachend, "alles andere sind dagegen Kleinigkeiten. Zum Beispiel, dass die Deutschen schon vormittags um 11.30 Uhr zum Mittagessen gehen." Trotz allem gehört Álvaro vielleicht eines Tages zu den Spaniern, die wieder zurückkehren in ihr Land. "Wenn es Stellen gibt, möchte ich später dort arbeiten, wo ich geboren bin", sagt er. Denn eine Perspektive wird ihm Deutschland niemals bieten können: die Aussicht auf den Atlantik von seinem Zuhause in Gran Canaria.

Ausblick auf den Atlantik in Álvaros Heimat Gran CanariaBild: Privat
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