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Politik

Afrin: Jurist fürchtet Völkerrechtsbruch

22. März 2018

Ist die türkische Offensive in Nordsyrien ein Bruch mit dem Völkerrecht? Rechtsexperte Marcel Kau fürchtet, ja: Eine Belagerung von Städten und die "Ausnutzung einer Schwäche" seien völkerrechtlich inakzeptabel.

Syrien Türkei - Einnahme von Afrin durch türkisches Militär / FSA-Kämpfer
Bild: Imago/Depo Photos

Deutsche Welle: Herr Kau, ist der Angriff der Türkei auf Afrin völkerrechtswidrig?

Marcel Kau: Es gibt auf jeden Fall große Bedenken, ob das Völkerrecht eingehalten wird. Die heutigen Regeln des humanitären Völkerrechts richten sich darauf, dass streng zwischen Kombattanten und Nicht-Kombattanten, also zwischen Soldaten und Zivilbevölkerung, unterschieden wird. Und die Belagerung und Einschließung von Städten ist etwas, was dem tendenziell zuwiderläuft.

Nun sieht die Türkei in der YPG den syrischen Ableger der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und rechtfertigt die Offensive mit dem Kampf gegen den Terrorismus.

Das Völkerrecht ist bei grenzüberschreitenden militärischen Aktionen, bei sogenannten bewaffneten Konflikten, sehr zurückhaltend. Grundsätzlich besteht seit 1945, spätestens mit der UNO-Charta, ein Gewaltverbot. Und die wesentliche Ausnahme, die davon existiert, ist das Selbstverteidigungsrecht, auf das sich die Türkei beruft. Zwar mag es sein, dass es Kooperationen zwischen den Kurden in Nordsyrien und in der Osttürkei gibt. Das ist sogar relativ nahe liegend. Aber ob die es rechtfertigen, in dieser Form in Syrien einzugreifen, ist die erste Frage. Die zweite Frage ist: Syrien hat durch den Bürgerkrieg natürlich momentan ein Problem mit der Staatlichkeit und der Ausübung effektiver Staatsgewalt. In dieser Situation möchte das Völkerrecht nicht, dass angrenzende Mächte diese temporäre Schwäche ausnutzen und zum Beispiel dort intervenieren.

Macht es einen Unterschied, wie lange dann türkische Truppen in Syrien bleiben? Der deutsche Außenminister Heiko Maas sieht erst bei einem dauerhaften Einsatz dort das Völkerrecht gebrochen.

Heiko Maas zweifelt an der Rechtmäßigkeit des EinsatzesBild: picture-alliance/AP Photo/T. Camus

Die Dauer des Aufenthalts lässt zumindest Rückschlüsse auf die Motive zu. Wenn das Ganze tatsächlich unter dem Stempel der Selbstverteidigung abgelaufen ist, weil man Kooperationsstrukturen zwischen den Kurden in Syrien und der Osttürkei zerstören will, dann wäre das sicherlich auch mit einem kurzen "Polizeieinsatz" zu machen. Je länger die Türkei mit ihren Streitkräften aber in Nordsyrien bleibt, sich einrichtet und so eine Form der Besatzungsherrschaft etabliert, desto zweifelhafter ist natürlich, ob das Motiv tatsächlich nur die Selbstverteidigung ist.

Die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles hat sich schon eindeutig positioniert und das türkische Vorgehen als völkerrechtswidrig bezeichnet. Nahles hat gleichzeitig die Bundesregierung aufgefordert, entsprechende Maßnahmen einzuleiten. Welche Maßnahmen könnten das sein?

Für Gewaltverbot in internationalen Beziehungen: NahlesBild: Reuters/H. Hanschke

Die Bundesrepublik könnte bilateral mit der Türkei Kontakt aufnehmen und Gespräche beginnen. Aber das deutsch-türkische Verhältnis ist ausgesprochen komplex und in den vergangenen Jahren auch zunehmend problematisch geworden. Man darf bezweifeln, ob man auf diese Weise viel erreichen wird. Die Bundesrepublik könnte das Ganze auch im Rahmen der NATO ansprechen, Deutschland und die Türkei sind NATO-Partner. Die NATO ist ein Defensivbündnis, das könnte man zumindest mal erörtern. Aber davon würde ich mir auch nicht viel versprechen.

Dann bliebe noch der Rahmen der UNO. An sich ist für diese Fragen der Sicherheitsrat zuständig. Deutschland ist momentan nicht Mitglied im Sicherheitsrat, könnte deswegen also gar keine eigenen Initiativen ergreifen. Es wäre dann den europäischen Partnern, zum Beispiel Frankreich, oder auch den USA überlassen, die Intervention in Nordsyrien dort zur Sprache zu bringen. Nur solange die russische Regierung die Position der Türkei vor Beschlüssen des Sicherheitsrates schützt, wird auch da nicht viel zu machen sein.

Das heißt, mit Russland im Weltsicherheitsrat wird es keinerlei Sanktionen für die Türkei wegen eines völkerrechtswidrigen Angriffs geben?

Die übrigen Mitglieder des Sicherheitsrates können so etwas beantragen, es wird sicher auch darüber diskutiert. Ich habe aber nicht den Eindruck, dass Russland seine Möglichkeiten im Hinblick auf den Syrien-Konflikt, sowohl was das Assad-Regime als auch was die Türkei anbelangt, so vorschnell preisgeben wird. Von daher wird man sich wahrscheinlich eher noch mit Russland einigen müssen, ehe man mit der Türkei zu einer Vereinbarung kommt.

Bei dem Angriff setzt die Türkei auch deutsche Panzer ein. Was müsste die Bundesregierung konsequenterweise jetzt tun, wo sie so auf das Völkerrecht pocht?

Streitfall Leopard 2, die bei dem Angriff in Afrin eingesetzt werden: deutsche oder türkische Panzer?Bild: Reuters

Es sind keine deutschen Panzer. Es sind Panzer, die vielleicht in Deutschland größtenteils produziert worden sind. Es sind aber türkische Panzer. Das Land, in dem sie hergestellt worden sind, spielt für die Zuordnung keine entscheidende Rolle. Das andere Problem in diesem Zusammenhang, was man in Deutschland gerne ignoriert: die Türkei und Deutschland sind NATO-Partner. Und nach dem NATO-Vertrag unterstützen sich die NATO-Partner, auch etwa in Fragen der militärischen Rüstung. Das ist jetzt nicht so zu deuten, dass die Türkei einen Anspruch darauf hat, Waffen aus anderen NATO-Staaten zu beziehen. Aber dass man die Türkei bisher auch mit Kampfpanzern und anderen Militärgerät aus Deutschland versorgt hat, ist erst einmal im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen Deutschlands.

Man kann natürlich jetzt sagen: Das ist ein Einsatz, der im Hinblick auf das Völkerrecht problematisch ist und deshalb die Aufrüstung einschränken. Man hat die jüngsten Anträge der Türkei ja auch abgelehnt und das ist sicherlich im Moment auch ratsam und entspricht den dazu bestehenden Richtlinien der Bundesregierung. Aber grundsätzlich ist eine Kooperation von NATO-Partnern auch in rüstungstechnischen Fragen ausdrücklich im NATO-Vertrag vorgesehen.

Professor Marcel Kau ist am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europarecht und Völkerrecht an der Universität Konstanz tätig.

Die Fragen stellte Oliver Pieper.

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