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Politik

"Ärzte mit einem Bein in der Strafbarkeit"

22. Februar 2019

Der Bundestag lockert das Werbeverbot für Abtreibungen. Doch für die Ärzte bleiben eine Menge Probleme bestehen, sagt die Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes, Maria Wersig, im Gespräch mit der DW.

Symbolbild Schwangerschaftsabbruch
Bild: picture-alliance/Keystone/C. Beutler

Deutsche Welle: Frau Wersig, der Bundestag hat den Koalitions-Kompromiss zur Reform des Paragrafen 219a verabschiedet, dem sogenannten Werbeverbot für Abtreibungen. Begrüßen Sie das?

Maria Wersig: Nein. Wir als Deutscher Juristinnenbund haben uns für eine Abschaffung von Paragraf 219a eingesetzt, der nicht nur die Werbung für den Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellt, sondern auch sachliche Informationen darüber - jedenfalls dann, wenn Ärztinnen oder Ärzte oder Kliniken, die den Schwangerschaftsabbruch durchführen, diese Informationen öffentlich bereitstellen. Das ist einmalig, dass man mit dem Strafrecht, dem schärfsten Schwert des Staates, Informationen regulieren möchte. Dieser Kompromiss ändert daran nichts.

Die Reform bringt doch mehr Klarheit in der Schwangerenberatung. Ärzte wissen jetzt zumindest, dass sie über Eingriffe informieren dürfen.

Sie dürfen zum Beispiel auf ihren Webseiten schreiben, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Das wäre dann nicht strafbar. Sobald sie weitergehende Informationen geben, die sie selber formulieren, zum Beispiel welche unterschiedlichen medizinischen Methoden sie anbieten, dann ist es weiterhin strafbar. Wir befinden uns auf einem ganz schmalen Grat. Das kann man natürlich auch Rechtssicherheit nennen, wenn man weiß, was man nicht schreiben darf. Es bleibt aber im Grundsatz dabei, dass Ärztinnen und Ärzte weiterhin mit einem Bein in der Strafbarkeit stehen, sobald sie auf ihrer Webseite einen Satz mehr schreiben als das Wort "Schwangerschaftsabbruch".

Könnte man nicht auch von einer sinnvollen Aufgabenteilung sprechen. Die Ärzte sagen: Wir machen es. Und die weiteren Informationen, wie die Listen über die behandelnden Ärzte und ihre Methoden, werden von den zuständigen Behörden öffentlich angeboten? Was spricht dagegen?

Professorin Maria Wersig, Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes Bild: Deutscher Juristinnenbund e.V.

Dagegen spricht aus meiner Sicht, dass wir hier über eine völlig legale Dienstleistung reden, die Ärztinnen und Ärzte im Rahmen ihrer verfassungsrechtlich garantierten Berufsfreiheit anbieten. Es spricht nichts dagegen, dass auch andere Stellen wie die Bundesärztekammer oder die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung Informationen bereitstellen. Das muss man aber nicht mit einer Strafandrohung verknüpfen. Die gleiche Information auf der Webseite der Bundesärztekammer ist nach dem Vorschlag der Koalition völlig unproblematisch. Auf der Webseite einer Ärztin wäre sie dann vielleicht strafbar. Es gibt enorme Widersprüche, die zu praktischen Problemen führen.

Welche wären das?

Dass die Staatsanwaltschaften und die Gerichte sich weiterhin damit auseinandersetzen müssen: Was ist in Ordnung, was ein unproblematischer Link auf weitere Informationen, wo ist die Ärztin oder der Arzt mit der Gestaltung ihrer Website zu weit gegangen. Zudem haben wir in Deutschland ein angespanntes Klima, in dem gesellschaftliche Gruppen wie die sogenannten Lebensschützer Ärztinnen und Ärzte unter Druck setzen, indem sie zum Beispiel vor den Arztpraxen oder vor den Kliniken demonstrieren: mit Flyern, mit schockierenden Bildmaterial, mit Gebeten. Es wäre deshalb eine Illusion zu glauben, dass jeder Arzt, jede Ärztin sich auf eine Liste stellen lässt, die als Pranger benutzt werden kann - von politischen Gruppen, die Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland verbieten wollen.

Glauben Sie, dass der Reform-Entscheid den Schlussstrich unter eine lange und erbittert geführte Debatte zieht?

Davon gehe ich nicht aus. Dafür ist dieser Reform-Vorschlag ein zu kleiner Schritt. Wir haben in den letzten Monaten gesehen, dass eine Mehrheit in der Bevölkerung für die Abschaffung von Paragraf 219a ist. Ich gehe davon aus, dass das jetzt eine Etappe in einer längeren Reformdiskussion ist. Das Thema wird auf jeden Fall beim Bundesverfassungsgericht landen. Das haben die betroffenen Ärztinnen schon klar gemacht, deren Webseiten zum Teil auch nach neuer Rechtslage weiterhin strafbar sein werden. Außerdem werden sich Frauenverbände und Aktivistinnen mit diesem Kompromiss nicht zufrieden stellen geben.

Gibt es Länder, in denen die Beratung von Schwangerschaftsabbrüchen juristisch oder gesellschaftlich besser geregelt ist? Länder, an denen sich Deutschland ein Beispiel nehmen sollte?

Es gibt europaweit interessante Entwicklungen: Irland hat vor kurzem einen großen Schritt gemacht, indem sie den Schwangerschaftsabbruch legalisiert haben. In Kanada gibt es schon seit vielen Jahren keine Regelung im Strafgesetzbuch. Das Center for Reproductive Rights, eine ganz anerkannte internationale Menschenrechtsorganisation, kam in einer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass außer Deutschland nur noch wenige Länder in Europa im Strafgesetzbuch oder in anderen Rechtsvorschriften Bestimmung haben, die die Werbung oder die Informationsverbreitung über legale Schwangerschaftsabbrüche untersagen. Das sind Albanien, Griechenland, Ungarn sowie Liechtenstein und die Russische Föderation.

Maria Wersig ist seit September 2017 Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes mit Sitz in Berlin und Professorin an der Fachhochschule Dortmund.

Das Interview führte Ralf Bosen.

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