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Politik

Juristisches Stoppschild für Polen

Barbara Wesel
19. Oktober 2018

Der EuGH hat Polen vorläufig untersagt, die Zwangspensionierungen für Richter am Obersten Gerichtshof fortzusetzen. Damit wird ein Urteil nicht vorweggenommen. Aber alle betroffenen Richter dürfen ins Amt zurückkehren.

Polen | Proteste gegen Zwangsruhestand für Richter
Bild: Reuters/Agencja Gazeta/S. Kaminski

Nach monatelangem Streit mit der polnischen Regierung hatte die EU-Kommission Anfang Oktober beim EuGH Klage gegen das Gesetz zur Senkung des Pensionsalters der Richter am Obersten Gericht eingereicht. Mit diesem Gesetz hatte sich Warschau die Chance geschaffen, missliebige Juristen kurzfristig loszuwerden. Innerhalb kurzer Zeit wurden vom Staatspräsidenten 27 neue Richter eingesetzt, darunter die Präsidentin des Gerichtshofes und zwei Kammerpräsidenten. Darüber hinaus wurden 44 zusätzliche Stellen geschaffen, um die Zahl regimetreuer Richter weiter zu erhöhen.

EuGH stoppt Pensionierungswelle

Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg hat die politisch motivierte Pensionierungswelle jetzt mit einem Beschluss zum vorläufigen Rechtsschutz gestoppt. Er nimmt zwar nicht das spätere Urteil des EuGH vorweg, dient aber bis dahin dazu, "nicht wieder gut zu machenden Schaden" abzuwenden. Angesichts der Geschwindigkeit, in der die PiS-Regierung den Umbau der polnischen Justiz betrieben hat, war klar, dass bis zu einem endgültigen Richterspruch in Luxemburg ein weitgehender Personalwechsel hätte stattfinden können, der nicht rückgängig zu machen gewesen wäre.

Steht hinter der Justizreform in Polen: PiS-Chef Jaroslaw KaczynskiBild: picture-alliance/ZUMAPRESS/O. Marques

Die Begründung des EuGH für seinen Eilbeschluss gibt darüber hinaus einen Fingerzeig auf das spätere Verfahren und die Bedeutung, die Luxemburg ihm zumisst. "Richterliche  Unabhängigkeit gehört zum Wesensgehalt des Grundrechts auf ein faires Verfahren", das wiederum Garant ist für "sämtliche aus dem Unionsrecht erwachsenden Rechte" und für die Wahrung der Werte in den Mitgliedsstaaten, zu denen nach Art. 2 des EU-Vertrages auch der Wert der Rechtsstaatlichkeit gehört. 

Die Justizreform hat Methode

Seit dem Wahlsieg 2015 arbeitet Jaroslaw Kaczynskis PiS-Partei - PiS steht ironischerweise für "Recht und Gerechtigkeit" - an der Abschaffung der Gewaltenteilung in Polen. Der unabhängige Richterwahl-Ausschuss wurde der Kontrolle der Mehrheitsfraktion im Parlament unterstellt. Die Staatsanwälte kamen unter die Aufsicht des Justizministers, die Kompetenzen des Verfassungsgerichts wurden beschnitten, und mit dem Gesetz über das Pensionsalter wurde schließlich die Möglichkeit eröffnet, das Personal am Obersten Gericht auszutauschen. 

Das oberste Gericht in Warschau ist nicht nur letzte Instanz in Zivil- und Strafsachen, sondern führt auch Disziplinarverfahren gegen Richter und urteilt über Wahlrechtsverstöße. Seine Entscheidungen können also im Streitfall enorme politische Auswirkungen haben.

Ein Blick in den Kalender zeigt, warum der Regierungan einem schnellen Personalaustausch in diesem Gericht gelegen war: An diesem Sonntag finden Kommunalwahlen statt, im Mai dann die Europawahlen, voraussichtlich im Herbst 2019 Parlamentswahlen, und für 2020 steht die Direktwahl des Staatpräsidenten an. Über Unregelmäßigkeiten bei all diesen Wahlen hätte das Oberste Gericht zu urteilen.

Prominentes Opfer des Justizreform: Malgorzata Gersdorf, Präsidentin des Obersten GerichtshofesBild: Reuters/Agencja Gazeta/M. Jazwiecki

Als im August auch die Präsidentin des Gerichtshofes Malgorzata Gersdorf aus dem Amt gejagt wurde, berief sie sich auf die polnische Verfassung, wonach ihre Amtszeit sechs Jahre beträgt, und weigerte sich zu gehen. Tausende Demonstranten bestärkten sie damals in ihrem Widerstand gegen die Regierung. Auch der frühere Solidarnosc-Führer und Friedensnobelpreisträger Lech Walesa protestierte gegen die Justizreform und sprach von einem drohenden Bürgerkrieg.

Die Regierung wiederum begründet ihre Maßnahme damit, die Justizgesetze dienten dazu, Richter zu entfernen, die während des Kriegsrechts in den 80er Jahren Urteile über Menschen gesprochen hätten, die gegen das kommunistische Regime gekämpft hätten. Gersdorf hält  das für Unsinn; es gebe keine Überbleibsel des Kommunismus am obersten Gericht. Ihr Verbleib im Amt und der ihrer Kollegen ist durch den Eilbeschluß des EuGH in Luxemburg vorerst gesichert.

Streit mit der EU-Kommission

Der Streit um den Personalwechsel am Obersten Gericht ist nur die letzte Runde der Auseinandersetzungen zwischen Polen und der Europäischen Kommission. Ungezählte Male fuhr Frans Timmermans, Vizepräsident der Kommission und zuständig für die Rechtsstaatlichkeit in der EU, nach Warschau. Fristen verstrichen. Briefwechsel führten zu keinem Ergebnis - ebenso wenig wie zahlreiche Verhandlungsrunden. Im vergangenen Winter strengte die Kommission daher nach langem Vorlauf erstmals in der Geschichte der EU ein Verfahren nach Artikel 7 der europäischen Verträge ein, das mit einem Entzug des Stimmrechts in EU-Gremien enden kann. Darin wird Polen der Verstoß gegen das Gebot zur Rechtstaatlichkeit vorgeworfen und die Aushöhlung der Gewaltenteilung. 

Unzählige Reisen nach Warschau: Frans Timmermans, Vizepräsident der EU-Kommission (l.)Bild: DW/Monika Sieradzka

Um das Verfahren voran zu treiben, braucht es einen Beschluss von vier Fünftel der Mitgliedsländer, die allerdings bisher der polnischen Regierung immer neue Fristen zur Stellungnahme einräumten und lange die Hoffnung auf eine Einigung hegten. Sollte diese "nukleare Option" nun tatsächlich weiter betrieben werden, dürfte damit der offene politische Kampf gegen die populistischen Regierungen in Polen, Ungarn und neuerdings Italien eröffnet sein. Davor scheuten die übrigen EU-Regierungen bislang zurück. 

Und wenn Polen den EuGH-Beschluss missachtet?

Noch im Sommer kamen aus Warschau Töne, die darauf deuteten, dass die Regierung die Entscheidung aus Luxemburg einfach ignorieren könnte. Dazu forderte jedenfalls damals der stellvertretende Ministerpräsident Jaroslaw Gowin auf. Er erklärte die Justizreform in Polen zu einer Frage der nationalen Souveränität, wollte durch den Vorrang von Richtersprüchen aus Luxemburg die Demokratie in Gefahr sehen und erklärte sie zu einem Anschlag auf "die Rechtsordnung der Staaten (…) durch die Herrschaft der unkontrollierten Brüsseler Bürokratie".  

Jaroslaw Gowin: "Unkontrollierte Brüsseler Bürokratie"Bild: picture-alliance/PAP/P. Supernak

Das lässt wenig Gutes ahnen. Allerdings muss man abwarten, ob Regierungschef Mateusz Morawiecki  tatsächlich die totale Konfrontation mit der Europäischen Kommission und einer Mehrheit der übrigen Mitgliedstaaten will. Am Nachmittag sagte er am Rande des Asem-Gipfels in Brüssel lediglich, seine Regierung habe den Beschluss erhalten und "werde antworten, wenn man ihn analysiert hat". Die Opposition in Warschau sprach bereits von einem drohenden "Polexit", wenn die Regierung auf totale Konfrontation mit der EU in der Frage der Rechtsstaatlichkeit setze.

Sollte der Gerichtsbeschluss tatsächlich nicht umgesetzt und die zwangspensionierten Richter nicht  ins Amt zurückkehren können, dann drohen einerseits Zwangsgelder, die Luxemburg verhängen kann. In einem Fall, wo es um die verbotene Abholzung eines geschützten Waldes ging, betrugen sie 100.000 Euro pro Tag. Außerdem steigt dann der Druck auf die Mitgliedsstaaten, das Artikel 7 Verfahren voran zu treiben. Denn in diesem Fall geht es um den Kernbestand der gemeinsamen europäischen Werte. Nach dem EU-Vertrag sind freie Gerichte, unabhängige Medien und faire Wahlen die Basis der Europäischen Gemeinschaft.

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