Schleppende Ermittlungen im Fall Breivik
11. November 2011Im Polizei-Hauptquartier im Zentrum von Oslo herrscht ein reges Treiben. 85 Fahnder arbeiten an der Aufklärung des Falles. Eine ganze Etage haben sie frei gemacht, um den Informationsfluss zu bündeln. Die Dokumente von Polizei, Kriminalpolizei und Sicherheitsdienst füllen bereits an die 40 Aktenordner, sagt der Jurist Christian Hatlo: "Wir haben Videos der Überwachungskameras aus dem Regierungsviertel, insgesamt 50.000 bis 60.000 Filmstunden. Sie werden auf das Bewegungsprofil des Täters hin analysiert."
Christian Hatlo ist einer von drei Juristen der Polizei, die die Ermittlungen begleiten. Wenn der Attentäter Anders Behring Breivik verhört wird, verfolgt er oder einer seiner Kollegen die Vernehmung durch eine Glasscheibe. Die Verhöre führen sechs erfahrene Ermittler. Bisher ging es dabei vor allem um die Frage, wie Behring Breivik an seine Waffen kam. Die Fahnder interessieren sich auch für seine Herkunft und die Motive für die Tat vom 22. Juli 2011, sagt Christian Hatlo: "Wir verfolgen zwei Spuren: Zum einen geht es um den Strafprozess, der im April beginnen soll. Da sind die meisten Zeugenvernehmungen abgeschlossen. Zum anderen geht es um die Frage, ob Breivik Mittäter hatte. Im Moment schließen wir das aus."
Strafmilderung wegen Überforderung der Polizei?
Anders Behring Breivik hat bereits gestanden, 77 Menschen getötet zu haben. Für schuldig hält er sich jedoch nicht. Unterdessen nimmt die Kritik am Einsatz von Polizei und Rettungsdiensten nicht ab. Warum konnte der Nachrichtendienst Breivik nicht stoppen, obwohl dieser auf einer Liste mit Personen stand, die zum Bombenbau geeignete Chemikalien kauften? Warum kam kein Hubschrauber zu Hilfe und warum konnte die Polizei den Täter erst so spät festnehmen?
John Roger Lund, der die Ermittlungen im Fall Breivik leitet, gibt zu Bedenken, dass eine solche Tat für die norwegische Polizei schwer vorherzusehen war: "Wir haben für den Ernstfall trainiert, für Bombenexplosionen mit vielen Toten. Aber eine derartige Jagd auf junge Menschen, wie wir sie am 22. Juli auf Utøya erlebt haben – auf so etwas waren wir nicht ordentlich vorbereitet." Geir Lippestad, der Verteidiger Breiviks, sieht in derlei Versäumnissen sogar mildernde Umstände für seinen Mandanten. Der Anwalt schließt einen Strafrabatt nicht aus.
Politisches Nachspiel
Die Frage, ob Polizei und Rettungskräfte Fehler gemacht haben, beschäftigte in der vergangenen Woche auch das norwegische Parlament. Justizminister Knut Storberget räumte ein, es seien Fehler gemacht worden. Die Arbeit der Polizisten und Sanitätern müsse jedoch auch realistisch beurteilt werden: "Alle Handlungen sollten im Kontext ihrer Zeit gesehen werden. Im Licht der Information, die die Mannschaften hatten, damals und dort. Im Nachhinein ist es natürlich einfacher, Handlungsalternativen zu sehen."
Einen Tag nach seiner Rede trat Storberget zurück. Er wolle mehr Zeit mit der Familie verbringen und habe seinen Entschluß schon länger angekündigt, erklärt Regierungschef Stoltenberg. Auch eine Vergewaltigungsserie in Oslo, die schwer in den Griff zu bekommen ist, machten dem Justizminister zuletzt zu schaffen, neben der nicht abreißenden Kritik am Einsatz von Polizei und Rettungskräften am 22. Juli. Jetzt übernimmt die bisherige Verteidigungsministerin sein Amt, der Prozess gegen Anders Behring Breivik soll im April 2012 beginnen.
Autorin: Agnes Bührig
Redaktion: Bernd Riegert