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KonflikteSyrien

Kämpfe im kurdischen Nordosten Syriens: Worum geht es?

Cathrin Schaer
16. Dezember 2024

Nach dem Fall des Assad-Regimes flammen die Kämpfe im Nordosten Syriens auf: Von der Türkei unterstützte Milizen dringen in kurdisch kontrollierte Gebiete ein. Der Konflikt könnte für ganz Syrien zum Problem werden.

Syrische Kurden auf der Flucht. Szene aus Tabaqah, nördlich von Aleppo
Syrische Kurden auf der Flucht. Szene aus Tabaqah, nördlich von AleppoBild: Delil Souleiman/AFP via Getty Images

Der friedliche Übergang in Syrien sieht sich vielen Herausforderungen gegenüber. Dazu zählen etwa die anhaltenden Einfälle Israels in das Land und der Schutz der syrischen Minderheiten. Das größte Risiko dürfte allerdings im Nordosten des Landes liegen. Dort sehen sich die syrischen Kurden einer existenziellen Krise gegenüber.

Die Gefechte zwischen kurdischen Milizen und von der Türkei unterstützten syrischen Kämpfern gäben Anlass zu großer Sorge, sagte der Sondergesandte der Vereinten Nationen für Syrien, Geir Pedersen, in der vergangenen Woche. 

Die Lage in Syriens Norden und Osten

Jahrelang waren die Kämpfe im syrischen Bürgerkrieg eingefroren. Die verschiedenen Oppositionsgruppen, die ihre jeweiligen Gebiete im Norden und Osten kontrollierten, gerieten lange Zeit kaum aneinander. Seit dem Sturz Baschar al-Assads aber versucht die "Syrische Nationalarmee" (SNA), in von Kurden kontrollierten Gebiete vorzudringen. Die SNA ist nicht die reguläre Armee des Landes (das sind die "Streitkräfte der Arabischen Republik Syriens"), sondern ein von der türkischen Regierung unterstützter Zusammenschluss mehrerer Milizen, die im Bürgerkrieg gegen das Assad-Regime kämpften.

Allein zwischen Oktober 2019 und Januar 2024 soll die Türkei über Luftschläge im syrischen Nordosten ausgeführt haben.Bild: Delil Douleiman/AFP via Getty Images

Die kurdisch geführten Verbände der "Syrischen Demokratischen Kräfte" (SDF) haben bereits einen Teil ihres Territoriums an die SNA verloren. Unterstützt wurde deren Vormarsch von der türkischen Armee mit Kampfjets und Drohnen. Allerdings dürfte der Versuch der SNA, im Nordosten so viel Territorium wie möglich zu erobern, selbst über die türkischen Ziele hinausgehen, sagen Experten. Ziel Ankaras sei es vor allem, die Kurden von der syrisch-türkischen Grenze zu vertreiben. Ihre Präsenz dort stellt aus Sicht Ankaras eine Bedrohung dar.

Am Dienstag vergangener Woche erklärten die beiden Parteien, sie hätten mit Hilfe der USA ein Waffenstillstandsabkommen ausgehandelt. Dieser beinhalte den Abzug der kurdischen Verbände aus einigen zuvor von ihnen kontrollierten Gebieten. Ende der Woche forderte dann aber der türkische Außenminister Hakan Fidan, dass die Kurdenmiliz YPG, die Teil der SDF ist, aufgelöst werden müsse.

Indes hat die Rebellengruppe "Hayat Tahrir al-Sham" (HTS), die auch die Großstädte Aleppo, Homs und Damaskus eingenommen hat, die Kontrolle über die mehrheitlich arabisch bewohnte Stadt Deir al-Sor, rund 125 Kilometer südöstlich von Raqqa, übernommen. Die kurdische SDF hatte sich nach lokalen Unruhen von dort zurückgezogen. Nun haben sie erklärt, sie seien offen für an einem neuen politischen Prozess in Syrien teilzunehmen.

Hintergründe der Spannungen

Die Kurden gelten als eine der größten ethnischen Gruppen der Welt ohne eigenen Staat. Würde man einen solchen Staat in jenen Gebieten gründen, in denen die meisten Kurden leben, befände er sich im Vierländereck zwischen Irak, Iran, Syrien und Türkei. In jedem dieser Länder gibt es eine kurdische Unabhängigkeitsbewegung, deren Mitglieder - mit unterschiedlichem Erfolg - für einen unabhängigen Staat oder eine kurdische Autonomie gekämpft oder lobbyiert haben. Ähnlich unterschiedlich erfolgreich sind auch die Bemühungen aller vier Staaten, kurdische Unabhängigkeitsbewegungen zu unterdrücken.

In Syrien zogen sich die Streitkräfte des inzwischen abgesetzten Diktators Assad nach den ersten Monaten des Bürgerkriegs ohne größeren Kampf aus den mehrheitlich kurdischen Gebieten im syrischen Nordosten zurück. Viele der arabischen Revolutionäre in Syrien sind gegen eine Unabhängigkeit der Kurden und wollen die Einheit des Landes wahren. Da die Kurden nie ernsthaft gegen Assads Streitkräfte gekämpft hatten, galten sie einigen Widerständlern sogar als "Verräter". Das schürte die ohnehin bestehende Antipathie zwischen syrischen Arabern und syrischen Kurden zusätzlich.

Stattdessen engagierten sich die Kurden während des Bürgerkriegs zusammen mit den USA im Kampf gegen die Dschihadisten-Gruppe "Islamischer Staat" (IS), die in Syrien ein "Kalifat" errichten wollte. Im Rahmen dieser Kämpfe erweiterten die syrischen Kurden auch das von ihnen kontrollierte Gebiet, unter anderem auf mehrheitlich arabisch besiedelte Gebiete wie Raqqa und Deir al-Sor. Darüber hinaus betreiben die kurdischen SDF große Gefangenenlager im Nordosten Syriens, in denen Tausende ehemalige IS-Extremisten untergebracht sind. Zuvor hatten SDF-Kämpfer erklärt, sie sähen sich im Falle eines Angriffs gezwungen, die Gefangenenlager unbewacht zurückzulassen.

Die im Nordosten des Landes lebenden arabischen Syrer protestierten gegen die kurdische Führung. Das taten sie auch in der vergangenen Woche, als sie darauf bestanden, dass die kurdischen Streitkräfte anderen Rebellengruppen den Zutritt gestatteten. 

Die Kurden selbst sehen sich nach dem Sturz Assads zwischen den arabischen Gruppen aus Syrien und der Türkei eingezwängt. Ihr einziger Verbündeter sind die USA. Umso drängender fragen sie sich, ob dieses Bündnis auch nach dem Einzug Donald Trumps ins Weiße Haus bestehen bleibt. Die künftige Trump-Regierung, so ihre Sorge, könnte die US-Truppen vollständig aus Syrien abziehen und die Kurden sich selbst überlassen. Derzeit befinden sich noch schätzungsweise 900 US-Soldaten im Land.

Frauen im kurdisch kontrollierten Gefangenenlager Al-Hol, in dem vor allem Angehörige der Terrororganisation "Islamischer Staat" sitzenBild: Delil Souleiman/AFP via Getty Images

Eine ökonomisch bedeutende Region

In der von Kurden kontrollierten "Autonomen Administration Nord- und Ostsyriens" (AANES) lebten bis vor kurzem rund 4,6 Millionen Menschen. Seit dem Beginn der auf den Sturz Assads folgenden Kämpfe sind UN-Schätzungen zufolge mehr als 100.000 Menschen aus dem Gebiet geflohen, die meisten von ihnen Kurden. Mehrere hundert Menschen wurden bei den Kämpfen getötet.

In dem von den Kurden gehaltenen Gebiet werden nicht nur erhebliche Mengen Weizen produziert. Dort liegt auch der Großteil der syrischen Ölfelder. Beides könnte der neuen Regierung Syriens helfen, die zerstörte Wirtschaft des Landes wieder auf die Beine zu bringen.

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

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