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Politik

"Kämpfe in Libyen verschlimmern die Lage"

Notker Oberhäuser
10. April 2019

Das Rettungsschiff "Alan Kurdi" der Organisation Sea-Eye liegt mit über 60 Flüchtlingen vor Malta fest. Die Einfahrt in den Hafen bleibt verwehrt. Sea-Eye-Sprecherin Carlotta Weibl spricht über die aktuelle Situation.

Rettungsschiff «Alan Kurdi»
Bild: picture-alliance/dpa/Sea-eye.org/F. Heinz

Deutsche Welle: Wo liegt die "Alan Kurdi" zurzeit, und wie geht es den Migranten an Bord?

Carlotta Weibl: Die "Alan Kurdi" harrt immer noch in internationalen Gewässern aus - in der Zwölf-Meilen Zone vor Malta. Eine Frau an Bord hat sich gestern übergeben, ist bewusstlos geworden und wurde von maltesischen Behörden abgeholt und in das Krankenhaus gebracht. Hier hat Malta schnell und professionell reagiert. Seit einer Woche sind die verbliebenen 63 Menschen jetzt an Bord der "Alan Kurdi". Gut geht es ihnen nicht: Sie haben eine wochen-, teilweise monatelange Flucht hinter sich, haben die libyschen Lager überlebt und kämpfen jetzt an Bord gegen die Seekrankheit.

Es wird eine europäische Lösung geben

Ist die Lebensmittel- und Wasserversorgung an Bord gewährleistet?

Wir haben heute die Genehmigung der maltesischen Behörden erhalten, eine Versorgungsfahrt mit einem kleinen Boot zu machen, um unsere Wasser- und Lebensmittelvorräte aufzufüllen.

Migranten vor der libyschen Küste Bild: picture-alliance/AP Photo/F. Heinz

Wie geht es jetzt weiter? Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass die deutsche Bundesregierung vergangene Woche Unterstützung bei der Aufnahme von Geretteten der "Alan Kurdi" zugesagt hat, wenn dies auch andere Staaten täten.

Wir stehen im engen Kontakt mit dem deutschen Auswärtigen Amt - da haben sich wirklich gute Beziehungen entwickelt. Allerdings kann das Auswärtige Amt nicht zusagen, alle Flüchtlinge zu übernehmen. Sie verhandeln aktuell mit der Europäischen Kommission - wir gehen davon aus, dass es wieder auf eine europäische Lösung hinauslaufen wird.

Länder wie Italien und auch Malta haben nicht zum ersten Mal die Einfahrt von Rettungsschiffen in ihre Häfen verboten. Hätte Sea-Eye nicht mit einer solcher Reaktion rechnen können? Wie stellt sich Sea-Eye auf solche Situationen ein?

Das ist eine schwierige Frage, weil wir uns nur begrenzt darauf einstellen können. Wir wissen, dass wir immer wieder in solche Situationen geraten werden. Wir können unser Schiff lediglich so gut ausstatten, dass wir längere Zeit auf See bleiben können.

Migranten an Deck der "Alan Kurdi"Bild: sea-eye.org/Fabian Heinz

Gleichzeitig haben wir keine Alternative: Wir können nicht sagen, die politische Situation ist gerade schwierig - wir fahren nicht mehr raus. Das steht völlig außer Frage und löst das Problem nicht. Wir verstehen allerdings auch, dass Malta und Italien sagen, wir können nicht alle Flüchtlinge alleine aufnehmen. Aus diesem Grund fordern wir eine nachhaltige europäische Lösung mit einem festen Schlüssel, der vorgibt, in welche Länder die Menschen verteilt werden können. Hinzu kommt, dass wir vor der Europawahl stehen und kein EU-Land sich als flüchtlingsfreundlich darstellen will.

Auch Libyer flüchten jetzt auf das Mittelmeer

In Libyen marschiert General Haftar auf Tripolis - Regierungstruppen treten ihm entgegen. Haben die Kämpfe Auswirkungen auf die Anzahl der Menschen, die aus Libyen flüchten?

Wir wissen, dass durch die Kämpfe Menschen in den Flüchtlingslagern direkt betroffen sind - so ist die Wasser- und Lebensmittelversorgung teilweise unterbrochen, und die Elektrizität fällt aus. Die Menschen leiden, und ihnen bleibt lediglich die Flucht nach vorne, die über das Mittelmeer führt. Hinzu kommt, dass immer mehr Menschen aus Libyen in den Booten auf dem Mittelmeer sitzen. Das sind nicht nur Nigerianer oder Menschen aus Burundi, die auf der Durchreise sind.

Libyen ist aktuell kein sicherer Ort. Da wird gekämpft, da kommen Menschen ums Leben. Im UN-Menschenrechtsbericht ist zu lesen, dass Menschenhändler in Libyen Flüchtlinge vergewaltigen, verstümmeln und misshandeln. Was berichten die jetzt geretteten Menschen auf der "Alan Kurdi"?

Eine Migrantin berichtete, dass sie in einem Bordell arbeiten musste, verkauft wurde und sich dann wieder freikaufen musste. Wir hören auch immer öfter von systematischen Folterungen: Während die Menschen gefoltert werden, werden sie gezwungen ihre Familien anzurufen, um mit ihren Schmerzensschreien noch mehr Geld zu erpressen. Deshalb ist für uns auch völlig klar, dass man die Menschen dorthin nicht zurückschicken darf.

Ein Geretteter auf dem Seenotrettungsschiff "Alan Kurdi"Bild: sea-eye.org/Fabian Heinz

Das einzige verbliebene Rettungsschiff

Im März hatte die EU ihre Rettungsmission "Sophia" gestoppt, mit der Hunderttausende Menschen seit 2015 gerettet werden konnten. Doch die Mitgliedstaaten konnten sich nicht auf ein System zur Verteilung der aus Seenot geretteten Menschen einigen, die italienische Regierung stellte sich quer. Was bedeutet das generell für Sea-Eye, für das Rettungsschiff "Alan Kurdi"?

Man muss wissen, dass die Mission "Sophia" den Grenzschutz als Mandat hatte. Natürlich haben die Schiffe der Mission auch Menschen gerettet, weil sie dazu verpflichtet sind. Nach dem Ende der Mission ist auch die zivile Seenotrettung blockiert - von zwölf Schiffen in 2015 sind wir das einzige Schiff, das noch auf dem Mittelmeer unterwegs ist. Hinzu kommt, dass die kommerzielle Schifffahrt die Rettungsgebiete weiträumig umfahren, um nicht in die Situation zu kommen, Menschen retten zu müssen.

Was machen Ihre Partnerorganisationen in Spanien, Italien oder Holland? Weshalb ist die "Alan Kurdi" aktuell das einzige Schiff, das noch vor Libyen kreuzt?

Wir sind eng vernetzt mit allen Seenotrettungsorganisationen, die im Mittelmeer verkehren, auch weil wir zusammenhalten müssen, in dieser schwierigen Zeit. Die Organisationen haben ihre Arbeit nicht eingestellt - vielmehr sind deren Schiffe blockiert. So darf die "Seawatch 3", die unter holländischer Flagge läuft, aus Sicherheitsgründen nicht ins Rettungsgebiet fahren. Die "Juventa" von Jugend Rettet liegt seit 2017 an der Leine. Die spanische NGO Open Arms darf mit ihren Schiffen spanische Gewässer nicht verlassen. Lediglich die "Mare Jonio" von der zivilen italienischen Seenotrettungsgesellschafft Mediterranea will demnächst wieder ausfahren.

Carlotta Weibl ist Pressesprecherin der gemeinnützigen Organisation Sea-Eye e.V. mit Sitz in Regensburg. Der Verein hat das Ziel, schiffbrüchige Flüchtlinge auf ihrer gefährlichen Flucht nach Europa zu retten. 

Die Fragen stellte Notker Oberhäuser.