Die deutsch-japanische Künstlerin Hito Steyerl bekommt von der Berliner Akademie der Künste den Käthe-Kollwitz-Preis 2019 verliehen. Wir stellen die Grenzgängerin, Filmemacherin und Autorin vor.
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In der Kunst dreht sich der Wind. Frauen übernehmen das Ruder - auch in Deutschland. Wir stellen elf deutsche und in Deutschland lebende Künstlerinnen vor.
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Hito Steyerl
Die diesjährige Käthe-Kollwitz-Preisträgerin Hito Steyerl vertrat Deutschland 2015 auf der Biennale von Venedig. Als erste Frau ist sie 2017 auf Platz eins der "Power 100" der Zeitschrift Art Review gelandet, einer Liste der mächtigsten Personen im Kunstbetrieb. Wie sie in ihren Videos das Thema Überwachung oder militärische Auseinandersetzungen verarbeitet, beeinflusst andere Künstler.
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Katharina Fritsch
Auf dem Londoner Trafalgar Square steht ein Denkmal zu Ehren des britischen Kriegshelden Admiral Nelson. Drei der Säulen an den Ecken werden von Reiterstandbildern geziert. Die vierte ist seit 1999 Kunstwerken vorbehalten. 2013 wurde der blaue Hahn der deutschen Künstlerin Katharina Fritsch installiert. Ihre Skulpturen sind meist lebens- oder überlebensgroß und in monochromen Farben gehalten.
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Isa Genzken
Den Ritterschlag erhielt Isa Genzken 2013 mit einer Retrospektive im Museum of Modern Art in New York. Doch auch zuvor nahm die Bildhauerin an verschiedenen documentas und den Skulptur Projekten Münster teil. Anfangs setzte sie sich mit den Utopien der Architektur der Moderne auseinander, seit den 2000er Jahren arbeitet sie mit apokalyptischen Installationen aus billigen Materialien.
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Katharina Grosse
Katharina Grosse, ehemalige Meisterschülerin von Gotthard Graubner, gilt als innovative Senkrechtstarterin, der es gelungen ist, der Malerei neue Dimensionen zu erschließen. Den Pinsel hat die Berlinerin gegen Spritzpistolen getauscht. Sie malt auf Wände, Decken, Fußböden in Museen, Privatsammlungen und Unternehmen. Dabei entstehen mitunter chaotische Farbräume, die den Betrachter mit einbeziehen.
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Rebecca Horn
Rebecca Horn, 1944 in Michelstadt geboren, hat Erfahrung damit, Erste zu sein: 1989 erhielt sie als erste Frau eine Professur an der Berliner Hochschule der Künste, 1992 als erste Frau den Kaiserring der Stadt Goslar, 1993 als erste Frau eine Retrospektive im New Yorker Guggenheim-Museum. Und 2017 als erste Frau den Lehmbruck-Preis.
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Anne Imhof
Anne Imhof veranstaltete 2017 im Deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig eine Mammut-Performance, für die sie mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde. Unter dem Titel "Faust" spielte sie mit den Themen Macht und Ohnmacht, Willkür und Gewalt, Widerstand und Freiheit. Im März wird sie in der Londoner Tate Modern das Performancefestival "Tate Live" bespielen.
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Alicja Kwade
Alicja Kwade wurde in Polen geboren, lebt aber schon lange in Berlin. Die Konzeptkünstlerin arbeitet oft mit Steinen, aber auch mit Glas, Ketten, Spiegeln und Uhren. Zuletzt installierte sie in ihrer Berliner Galerie eine riesige Uhr an einer Kette von der Decke, die sich in großen Bahnen durch den Raum schwang. Der Besucher konnte sich diesem Anblick nicht entziehen.
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Natascha Sadr Haghighian
Die Künstlerin Natascha Sadr Haghighian bespielt 2019 den deutschen Pavillon der Kunst-Biennale in Venedig. Sie trägt das Pseudonym Natascha Süder Happelmann - und zur Präsentation eine Steinmaske. Sie spielt mit Identitäten in ihrer Kunst und hat schon eine Tauschbörse für Lebensläufe gegründet. Auch ihre eigene Biographie ändert sie permanent. Sie war schon zwei Mal zur documenta eingeladen.
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Katharina Sieverding
Sie war eine der ersten, die Großformate benutzte, und eine der ersten, die die Manipulation von Bildern deutlich machte. In den 1960ern leitete sie das Zeitalter der großformatigen Fotokunst ein. Sie stellt Fragen zu den künstlerischen, politischen und gesellschaftlichen Bedingungen für Produktionsprozesse und die Rezeption von Kunst. Katharina Sieverding erhielt 2017 den Käthe-Kollwitz-Preis.
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Rosemarie Trockel
Rosemarie Trockel wurde durch zahlreiche internationale Ausstellungen bekannt. Zu ihrem Werk gehören neben Strick- auch Herdplatten-Bilder. Auf farbigen Flächen sind Elektrokochplatten wie schwarze Kreise platziert. Eine Anspielung auf das Klischee von der Frau am Herd, aber auch eine ironische Hommage an die Rasterpunkte, mit denen viele Künstler der sogenannten "Pop Art" arbeiteten.
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Haegue Yang
Sie kommt aus Seoul, lebt in Berlin und stellt ebenfalls in der ganzen Welt aus. In ihrer Kunst verwandelt sie Alltagsgegenstände in surreale Objekte, die viele, oft auch lustige Assoziationen wecken. Sie benutzt Material vom Baumarkt oder auch Einrichtungsgegenstände wie Jalousien (documenta 13), die sich wie von Geisterhand bewegen und seltsame Geräusche machen. Ein poetisches Werk voller Humor.
Bild: Imago/tagesspiegel/M. Wolff
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Hito Steyerl sei eine Künstlerin, deren besonderes Interesse den Medien, der Technologie und der Verbreitung von Bildern gelte, so die Akademie der Künste in ihrer Begründung zur Vergabe des Käthe-Kollwitz-Preises 2019. Wie kaum einer anderen gelinge es ihr, "auf provokante und scharfsinnige Weise physische, visuelle und intellektuelle Informationen in einem Werk zu bündeln". Mit ihren Bildmontagen aus Computeranimationen, Massenmedien und selbstgedrehten Szenen reagiere Steyerl auf die digitalen Einflüsse der Gegenwart und mache auf politische und gesellschaftliche Prozesse aufmerksam, so die Jury.
An der Schnittstelle zwischen Film und bildender Kunst
Steyerl ist eine Grenzgängerin zwischen Medien und Kunstformen, die ganz bewusst mit den Irritationen der verschiedenen Sichtweisen arbeitet. Ihre Werke bewegen sich an der Schnittstelle zwischen Film und bildender Kunst, zwischen Theorie und Praxis: Es sind Texte, Performances, Multimedia-Installationen und essayistische Dokumentarfilme. Steyerl setzt sich darin mit postkolonialer Kritik, feministischer Repräsentationslogik sowie den Einflüssen der Globalisierung auf den Finanz-, Arbeits- und Warenmarkt auseinander.
Hito Steyerl, 1966 in München geboren, ist Künstlerin, Filmemacherin und Autorin. An der Universität der Künste in Berlin ist sie seit 2011 Professorin für Experimentalfilm und Video sowie Mitbegründerin des "Research Centers for Proxy Politics", eines Langzeitprogramms für Studenten. Bekannt wurde Steyerl unter anderem durch ihre Arbeiten für den deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig, im Museum of Contemporary Art in Los Angeles und im Museum of Modern Art in New York.
Erfahrungen mit dem Film sammelte Steyerl bereits im Alter von 16 Jahren als Stuntfrau. Im selben Jahr flog sie auch von der Schule. Doch auch ohne Schulabschluss wurde sie an der Kunsthochschule in Tokio angenommen - dort studierte sie von 1987-1990 Kinematographie und Dokumentarfilmregie. Dann folgte ein Ausflug in die Praxis: Als Regieassistentin begleitete sie Wim Wenders für dessen Film "Until the End of the World" 1990/91 anderthalb Jahre lang nach Australien, Japan, Europa und in die USA.
Auch ohne Schulabschluss zur Professur
Mitte der 1990er Jahre setzte Steyerl dann ihr Dokumentarfilmregiestudium fort, diesmal an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. In ihren frühen Dokumentarfilmen ("Deutschland und das Ich", "Land des Lächelns" oder "Babenhausen" aus den Jahren 1994-1997) beschäftigte sich Steyerl mit Antisemitismus, Rassismus und Neonazismus. 1999 drehte sie mit "Normalität 1-10" einen Episodenfilm über antisemitische Gewalttaten in Deutschland und Österreich nach 1989.
2003 promovierte Steyerl mit einem philosophischen Dissertationsthema an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Danach arbeitete sie am Center for Cultural Studies des Goldsmith College in London sowie als Gastprofessorin an der Royal Academy of Copenhagen und der Academy of Fine Arts in Helsinki.
Feminismus, Dokumentation, Kapitalismuskritik
Für den essayistischen Film "November" (2004) verwendete Steyerl einen von ihr in den 1980er Jahren gedrehten, feministischen Martial-Arts-Film im Super-8-Format, in dem ihre beste Freundin Andrea Wolf die Kämpferin spielte. Wolf wandte sich in den 1990er Jahren der kurdischen PKK zu, wurde 1998 getötet und seither als Revolutionärin verehrt. "November" bekam so auch eine unmittelbare dokumentarische Bedeutung.
Für die Videoinstallation "Lovely Andrea" (2007, documenta Kassel) ging Steyerl in Tokio auf die Suche nach alten Aufnahmen von 1987, die sie als Bondage-Model zeigen. 2015 installierte sie im Deutschen Pavillon der Biennale von Venedig unter dem Titel "Factory of the Sun" ein kapitalismuskritisches Videospiel, das man nur betrachten, aber nicht spielen konnte. Für die Süddeutsche Zeitung war das "so böse, so wahnwitzig und radikal zeitgenössisch", wie niemand zuvor diesen Ort bespielt habe.
Der nach der Künstlerin Käthe Kollwitz benannte Kunstpreis wird seit 1960 jedes Jahr von der Berliner Akademie der Künste an eine bildende Künstlerin oder einen bildenden Künstler vergeben. Die Mitglieder der Jury werden jedes Jahr neu bestimmt. Mit dem Preis verbunden ist eine Ausstellung in der Akademie der Künste am Pariser Platz in Berlin: Vom 21. Februar bis zum 14. April wird dort unter anderem Steyerls Installation "Hell Yeah We Fuck Die" zu sehen sein, mit der die Künstlerin die Rolle der Computertechnologie in Kriegssituationen konkretisiert - anhand von Video-Audio-Sequenzen humanoider Roboter.
Noch bis zum 30. Juni 2019 präsentiert außerdem das Castello di Rivoli in Turin mit der Ausstellung "The City of Broken Windows" das neueste Werk der Videokünstlerin.