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Glaube

Kölner Gutachten belastet Hamburger Bischof

18. März 2021

Ein Gutachten zum Missbrauch im Erzbistum Köln hat etliche Pflichtverletzungen von Amtsträgern konstatiert. Beim Hamburger Bischof Stefan Heße sieht es elf Verstöße, beim Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki keine.

Deutschland Katholischer Erzbischof von Hamburg Stefan Heße
Schwere Vorwürfe: Der Erzbischof von Hamburg, Stefan HeßeBild: Axel Heimken/dpa/picture-alliance

Der Strafrechtler Björn Gercke hat dem heutigen Hamburger Erzbischof Stefan Heße elf Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Aufarbeitung von Missbrauchsvorwürfen im Erzbistum Köln vorgeworfen. Beim Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki sehen Gercke und sein Team dagegen keine Pflichtverletzungen. Das sagten Gercke und die Rechtsanwältin Kerstin Stirner in Köln bei der Vorstellung des 800 Seiten starken Gutachtens. 

Heße war vor seiner Berufung nach Hamburg Personalchef und Generalvikar im Erzbistum Köln. In dieser Funktion musste er sich mit Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs von Kindern durch Priester auseinandersetzen. Heße bestreitet bisher die bereits in anderem Zusammenhang gegen ihn erhobenen Vorwürfe. 

Kardinal Woelki beurlaubt zwei Mitarbeiter

Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki zog umgehend erste personelle Konsequenzen aus dem Gutachten. Er entband seinen Weihbischof Dominikus Schwaderlapp und den Leiter des Erzbischöflichen Gerichts, Offizial Günter Assenmacher, wegen Pflichtverletzungen mit sofortiger Wirkung vorläufig von ihren Ämtern. Woelki sprach von "Vertuschung" in seinem Bistum. Während Schwaderlapp in acht Fällen konkrete Pflichtverletzungen begangen haben soll, soll Assenmacher in zwei Fällen eine unzutreffende Rechtsauskunft abgegeben haben

Besonders belastet: Kardinal Meisner

Gercke und seine Mitstreiter sollten den Umgang des Erzbistums Köln mit Missbrauchsfällen im Zeitraum 1975 bis 2018 untersuchen, dies erfolgte auf Aktengrundlage. Insgesamt stellten die Gutachter 75 Pflichtverletzungen fest, die von acht lebenden oder verstorbenen Verantwortlichen begangen worden seien. Die mit Abstand schwersten Vorwürfe machten die Gutachter dem 2017 verstorbenen Kölner Kardinal Joachim Meisner. Diesem seien 24 Pflichtverletzungen und damit fast ein Drittel aller Fälle vorzuwerfen. Acht Pflichtverletzungen wurden beim 1987 verstorbenen Kardinal Joseph Höffner festgestellt.

Gercke stellte in seinem Gutachten Hinweise auf 202 Beschuldigte und 314 Opfer sexuellen Missbrauchs fest. Es gehe um das erste Gutachten dieser Art, in dem ungeschwärzt auch die Namen von Verantwortlichen genannt würden, sagte Gercke. Zusammen mit seinem Team hat er in den vergangenen Monaten die Kirchenakten von 1975 bis 2018 ausgewertet.

Der Kölner Strafrechtler Björn Gercke bei der Vorstellung des GutachtensBild: Ina Fassbender/REUTERS

Die Opfer waren demnach mehrheitlich Jungen. Bei 63 Prozent der Beschuldigten handele es sich um Kleriker, also Priester, in absoluten Zahlen 127 Priester. Mehr als die Hälfte der Opfer seien Kinder im Alter unter 14 Jahren gewesen, ein mit 57 Prozent größerer Anteil der Opfer seien Jungen gewesen. In knapp 32 Prozent der Fälle habe es sich um sexuellen Missbrauch gehandelt, in gut 15 Prozent um schweren sexuellen Missbrauch. Die anderen Fälle stuft Gercke unter anderem als Grenzverletzungen und sonstige sexuelle Verfehlungen ein.

Der Gutachter zeigte sich verwundert über die massive Kritik am Aufarbeitungsprozess im Erzbistum Köln. In Köln sei das erste Gutachten unter allen deutschen Bistümern in Auftrag gegeben worden, das konkrete Pflichtverletzungen von Geistlichen und Verantwortungsträgern aufarbeite und diese auch namentlich benenne, sagte Gercke. Insofern "wundert es ein wenig, dass man sich mit dem Vorwurf der Verschleppung gerade das Bistum Köln zur Zielscheibe macht".

Große Lücken in den Akten

Gercke und seine Mitgutachterin Kerstin Stirner kritisierten scharf die Dokumentation im Erzbistum. Es habe "erhebliche Mängel" bei der Dokumentation gegeben, sagte Gercke. Teilweise seien Akten vernichtet worden. Stirner sagte, es habe sich ein Bild ergeben, "dass über viele Jahre von Chaos, subjektiver Unzuständigkeit und Missverständnissen" geprägt gewesen sei. Dies habe sich erst im Jahr 2015 mit der von Kardinal Rainer Maria Woelki eingerichteten Interventionsstelle geändert. In den Jahren davor war der verstorbene Kardinal Joachim Meisner verantwortlich. Zudem ergab das Gutachten der Kölner Kanzlei, dass ein Großteil der Taten vor 1975 stattgefunden hat, aber erst nach 2010 angezeigt wurde. 

Kardinal Woelki hatte den Kölner Juristen mit dem Gutachten beauftragt. Es handelt sich um die zweite Untersuchung für das Erzbistum - die erste Untersuchung einer Münchner Anwaltskanzlei ließ der Kölner Kardinal nicht veröffentlichen, weil Experten sie für mangelhaft halten. In einer teils harten Auseinandersetzung warfen Kritiker dem Kardinal fehlenden Aufklärungswillen und schlechte Kommunikation vor.

Der Schwerpunkt des Gutachtens lag nicht auf den Tathergängen, sondern auf dem Agieren der Bistumsleitung. "Es geht uns nicht darum 'Was hat Priester X dem Kind Y angetan?', sondern 'Haben Kardinal, der Generalvikar, sonst ein Bistumsverantwortlicher richtig gehandelt?'", sagte Gercke dem "Kölner Stadt-Anzeiger". Dabei seien "Pflichtverletzungen noch lebender Akteure" auch auf höchster Ebene festgestellt worden. Zudem hätten einige Verantwortliche sowie ihre Anwälte bereits versucht, die Vorwürfe auszuräumen. Der Kardinal hat den Strafrechtler beauftragt, Verantwortliche namentlich zu benennen - gegebenenfalls auch ihn selbst.

Kardinal Rainer Maria Woelki Bild: Oliver Berg/dpa/picture alliance

Bekannt ist, dass das erste Gutachten das Verhalten des früheren Kölner Personalchefs Stefan Heße - heute Erzbischof von Hamburg - kritisch beurteilt. Heße bestreitet die Vorwürfe. Woelki hat gesagt, er wolle Führungskräfte des Erzbistums eventuell vorläufig von ihren Aufgaben entbinden, falls sie durch das neue Gutachten belastet werden sollten. "Sofern es mich betrifft, habe ich bereits erklärt, dass ich mich den Ergebnissen der Untersuchung stellen werde", versicherte er. "Dasselbe erwarte ich aber auch von anderen." Vertuschung oder Mauschelei dürfe es in Zukunft nicht mehr geben.

Woelki stand in einem Fall selbst im Visier. Er soll den mittlerweile verstorbenen Düsseldorfer Pfarrer Johannes O. geschont haben, dem der Missbrauch eines Kindergartenjungen Ende der 1970er Jahre zur Last gelegt wird. Nachdem Woelki 2014 Erzbischof von Köln geworden war, entschied er sich, nichts gegen O. zu unternehmen. Seine Begründung dafür: O. sei aufgrund einer fortgeschrittenen Demenz "nicht vernehmungsfähig" gewesen.

Konsequenzen am Dienstag?

Das komplette Gutachten soll an diesem Mittwoch gegen 13.00 Uhr MEZ auf der Internetseite des Erzbistums Köln veröffentlicht werden, nachdem zunächst der Betroffenenbeirat Einsicht erhalten hat. Erste Konsequenzen sollen in einer weiteren Pressekonferenz am Dienstag nächster Woche bekannt gegeben werden. Zwei Tage später ist geplant auch das erste Gutachten nun doch zur Einsicht auszulegen. Dies gelte für "Betroffene, Medienvertreter und die interessierte Öffentlichkeit".

Deutschland: Sexueller Missbrauch - Kardinal unter Druck

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Das Zurückhalten des ersten Gutachtens löste im größten deutschen Bistum eine Vertrauenskrise aus. Schon seit Monaten ist es äußerst schwierig, einen Termin für einen Kirchenaustritt zu bekommen. Sogar der ehemalige Missbrauchsbeauftragte des Erzbistums, Oliver Vogt, trat aus Enttäuschung über den Umgang mit Missbrauch aus der Kirche aus.

Rüge von Bischof Ackermann

Der Beauftragte der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) für Fragen des sexuellen Missbrauchs, Bischof Stephan Ackermann, kritisierte Woelki im Vorfeld. Der "Bild"-Zeitung sagte er: Woelkis Umgang mit den Vorwürfen erzeuge "eine große Enttäuschung und Irritation bei Betroffenen und der Öffentlichkeit. Aber es ist auch misslich für die anderen Bistümer in Deutschland."

Der Kölner Staatsanwaltschaft liegt das erste Gutachten schon länger vor. Die Auswertung ist noch nicht abgeschlossen, doch bisher wurden keine Anhaltspunkte für strafrechtliche Ermittlungen gefunden: Dafür seien die Taten schon zu lange her, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Auch bei Kardinal Woelki persönlich sieht die Staatsanwaltschaft kein strafrechtlich relevantes Verhalten. Nach Angaben von Gercke liegt auch das neue Gutachten bereits bei der Staatsanwaltschaft vor.

kle/gri (kna, dpa, epd, afp, Phoenix)

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