Zerstören Touristen auf Libanons Rabbit Island die Natur?
Olivia Cuthbert
1. September 2019
Die Strände im Libanon sind stark verschmutzt. Eine unberührte Inselgruppe im Mittelmeer, nahe Tripolis, zieht Wildtiere und Tagesausflügler gleichermaßen an. Werden die Touristenströme zur Gefahr für Schildkröten?
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Schon morgens um 6 Uhr legen die ersten Boote mit Tagesausflüglern auf Rabbit Island an, was auf Deutsch Kaninchen-Insel bedeutet. Die Touristen hoffen, einen der besten Plätze am Strand zu ergattern.
An einem klaren Tag ist die rund 8000 Quadratkilometer große Insel von der libanesischen Stadt Tripolis aus mit bloßem Auge erkennbar. 30 Minuten benötigen die Boote vom Festland. Doch nur an drei Monaten im Jahr dürfen Besucher die Insel betreten, deshalb versuchen die Einwohner von Tripolis in dieser Zeit jede Gelegenheit zu nutzen, für einen Ausflug auf die Mittelmeerinsel.
"Es ist eine Flucht vor der Verschmutzung in der Stadt und dem dreckigen Wasser an der Küste. Aber dort gibt es keine Abgase, kein Lärm, nur den Klang der Wellen", schwärmt der Umweltschützer Aziz Zok.
In den letzten Jahren ist die Umweltverschmutzung an libanesischen Stränden besonders deutlich geworden.
Ungeklärte Abwässer und Mülldeponien an der Küste verschmutzen das Meer, auch mit giftigen Chemikalien. Im vergangenen Sommer warnten libanesische Zeitungen vor dem Baden im Mittelmeer, nachdem mehrere Berichte belegten, wie sehr sich die Wasserqualität der Küstengewässer verschlechtert hatte.
Das macht die kristallklaren, flachen Wasserstellen, die sich rund um Rabbit Island finden, noch attraktiver für die Schwimmer und Sonnenanbeter, die nur auf den einen Tag im Jahr warten, an dem das Besuchsverbot aufgehoben wird. Jetzt, wo die Sommersaison in vollem Gange ist und die Temperaturen steigen, kommen einige Städter sogar mit ihren Laptops zum Arbeiten an den Strand.
Aber auch die Umweltverschmutzung bringen die Städter mit.
"Im Sommer beseitigen wir jeden Tag mindestens 400 Kilogramm Müll. Hinzukommt, dass die Besucher ein Störfaktor für die Tier- und Pflanzenwelt sind, von denen einige nur hier auf der Insel zu finden sind", so Zok.
Der Tourismus soll sich auszahlen
Die Verwaltung des sogenannten Palm Island Nature Reserve, zu dem auch Rabbit Island und die kleineren Inseln Sanani and Ramkine gehören, muss einen Mittelweg finden. Sie müssen sehen, dass die Menschen zu ihrem Recht kommen, die Insel zu betreten und gleichzeitig dafür sorgen, das bedrohte Ökosystem zu schützen. Ein von der Europäischen Union gefördertes Ökotourismus-Projekt geht das Problem an, indem es von den Besuchern ein Eintrittsgeld von knapp 2 Euro erhebt. Mit den Einnahmen werden die Gehälter der Aufseher, die Müllbeseitigung und die Pflege der Anlagen und Strände bezahlt.
Abdelkarim Abdulkhader, der in Tripolis wohnt, besucht Rabbit Island jeden Sommer vier- bis fünfmal. Er ist gerne bereit, die neue Gebühr zu bezahlen, wenn es dem Naturschutz auf der Insel dient. "Das ist ein wirklich wunderschöner Ort. Doch oft genug sieht man Scherben von zerbrochenen Flaschen am Strand herumliegen oder Leute, die ihren Müll ins Meer werfen."
Er sagt, dass das Projekt bereits etwas bewirkt hat und dass der Strand sauberer ist als sonst. "In diesem Jahr ist es besser als im Jahr zuvor."
Schildkröten und Strandlilien
Offiziell trägt die Insel, die den Tagesausflüglern so gefällt, den Namen Palm Island. Der Spitzname Rabbit Island stammt noch aus der Zeit des französischen Protektorats. Damals, in den 1920er Jahren, wurden Kaninchen zu Jagdzwecken auf die Insel gebracht. Die Nisthöhlen und der Kot der Nager sind noch immer überall auf der Insel zu finden, auch wenn sich die Tiere den Besuchern nur selten zeigen.
Einige heimische Arten hingegen sind rar geworden. Die Unterwasserhöhlen sind ein idealer Brutplatz für Meerestiere wie Meerbrassen (Sparidae), Zackenbarsche (Epinephelidae) oder Papageifische (Scarinae). Umweltschützer bereitet außerdem Sorgen, dass die Menschenmassen, die die Inseln jährlich heimsuchen, Schildkrötenarten wie die Unechte Karettschildkröte (Caretta caretta) und die Grüne Meeresschildkröte (Chelonia mydas) fernhalten könnten. Normalerweise kommen sie an Land, um ihre Eier im weißen Sand abzulegen.
"Selbstverständlich wird die Ankunft der Schildkröten in dem Naturreservat gestört durch die Besucher, die den ganzen Strand für sich nutzen. Bisher konnten wir noch keine Anzeichen dafür entdecken, dass der Nistvorgang in diesem Jahr abgeschlossen wurde", sagt Ahmad Halawani, Programmmanager des Promapir-Projekts.
Um das fragile Ökosystem nicht weiter zu stören und damit Rabbit Island nicht jeden Sommer im Müll versinkt, wurden im Rahmen des Promapir-Projekts Abfalleimer aufgestellt sowie Wege eingezäunt. So soll verhindert werden, dass Müll in die Nistgebiete der Tiere geworfen wird. Außerdem wurden lokale Reiseveranstalter geschult, damit sie ihren Kunden größeres Umweltbewusstsein vermitteln.
Die größten Veränderungen finden jedoch unter Wasser statt. So wurden ausgeklügelte Sensoren installiert, die Daten über das Ausmaß der Verschmutzung sammeln, die vom Festland zu den Inseln herüberschwappt. Auch wurden künstliche Höhlen gebaut, die den Fischen einen sicheren Rückzugsort zum Laichen und zur Brutpflege bieten.
Auch die Besucheranlagen sollen erweitert werden. So soll ein umweltfreundlicher, schwimmender Steg entstehen und Toilettenanlagen gebaut werden.
Außerhalb der drei Monate andauernden Besuchszeit ist es schwer vorstellbar, dass die unberührte Insel voller picknickender Besucher ist.
Möwen rauschen durch die Lüfte. Ihre Schreie werden vom Krachen brechender Wellen und dem Rascheln der Palmwedel im Wind begleitet. Im dichten Unterholz schrecken Grillen in alle Richtungen auf, alarmiert durch das Geräusch menschlicher Schritte. Strandlilien und andere seltene Pflanzen blühen am Ufer.
Verborgene Schätze
Es gibt auch verborgene Schätze zu entdecken. Ismail Delaty organisiert Expeditionen für erfahrene Taucher in die Gewässer rund um Ramkine Island, der kleinsten Insel des Naturreservats.
"Dort unten gibt es einen Geheimtunnel, der ist gerade breit genug, dass ein Mensch hindurchpasst. Sobald man drin ist, sieht man einen Schwarm von Soldatenfischen", erzählt er begeistert. "Zunächst ist alles schwarz, dann erscheint plötzlich ein bläuliches Licht und man taucht in einem wunderschönen, natürlichen Felsenbecken mitten auf der Insel wieder auf. Das ist Natur pur."
Delaty begrüßt das Projekt, äußert aber auch Zweifel, ob es gelingen kann, die laxe libanesische Wegwerfmentalität zu verändern. Seit das Promapir-Projekt im Mai 2018 begann, hat er zwar schon eine deutliche Verbesserung bemerkt, doch er glaubt, dass Shisha-Pfeifen und Einwegplastik komplett verboten werden müssten, um sicherzugehen, dass die Regeln eingehalten werden.
Dass noch viel mehr getan werden muss, bestätigt auch Zok. "Wir arbeiten mit dem Budget, das uns zur Verfügung steht, aber wir müssen noch mehr tun."
Geht das Projekt in die Verlängerung, dann könnten noch mehr Wege eingezäunt werden, um die Besucher davon abzuhalten, in Sperrgebiete einzudringen.
Der Kampf gegen den Massentourismus
Touristen bringen Leben und Geld in die Stadt. Zu viele Touristen bringen zu viel Leben in eine Stadt - und das Geld wiegt die Nachteile des Massentourismus oft nicht auf. Jetzt schlagen Touristen-Ziele in Europa zurück.
Bild: AFP/M. Medina
Einmal sitzen: 400 Euro
Einmal Rom besuchen und sich auf die Spanische Treppe setzen. Das kann man machen, wenn man 400 Euro dabei hat. Denn der Stadtrat hat vor kurzem beschlossen, dass es verboten ist, sich auf die berühmte Treppe im historischen Stadtzentrum zu setzen. Seit dieser Woche überwachen Polizisten das Verbot. Wer trotz Aufforderung sitzen bleibt, riskiert ein Bußgeld von bis zu 400 Euro.
Bild: Reuters/R. Casilli
Meisterwerke sind nicht zum Sitzen da
Der Grund: Zum einen hinterlassen die Touristen auf der Treppe deutliche Spuren wie Kaugummi-Reste, Kaffee- und Rotweinflecken, zum anderen verdecken sie mit ihrem Herumsitzen auch das Meisterwerk. Rom ist mit gut sieben Millionen Übernachtungsgästen pro Jahr eine der meistbesuchten Städte Europas - und nicht die einzige, die unter der Touristenlast ächzt und daher Maßnahmen ergreift.
Bild: picture-alliance/H.-C.Dittrich
In Ruhe flanieren? Fehlanzeige!
Touristenmassen schieben sich durch Barcelona, wie hier durch die Promenade "Las Ramblas". Um den Touristenansturm zu bremsen, hat die zweitgrößte Stadt Spaniens den Bau neuer Hotels verboten und strengere Regeln für das Vermieten von Ferienwohnungen erlassen. Denn die Einwohner der 1,6-Millionen-Stadt leiden unter dem Gedränge und den extrem hohen Mieten.
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Was passt nicht ins Stadtbild?
Die Mitmachfrage dürfte nicht allzu schwer zu beantworten sein, denn so ganz klein ist das Schiff nicht, das Touristen nach Venedig bringt. Venedig wiederum ist recht klein. Die italienische Küstenstadt, die zu großen Teilen auf Pfählen im Meer errichtet wurde, hat nur rund 260.000 Einwohner, aber ähnlich viele Übernachtungsgäste wie Berlin - das rund 3,5 Millionen Einwohner hat.
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Ahoi!
Zählt man noch die Tagestouristen hinzu, lässt Venedig Berlin weit hinter sich. Nach Schätzungen sollen bis zu 30 Millionen Menschen pro Jahr das Städtchen besuchen. Dabei sind Tagestouristen für Städte oft undankbare Gäste: Sie bleiben nur kurz und geben daher nur wenig Geld aus, überschwemmen aber die Straßen und Plätze. Kreuzfahrtschiffe spucken in kurzer Zeit mehrere Tausend Touristen aus.
Bild: AFP/M. Medina
Welches Schiff wirkt hier überdimensioniert?
Venedig möchte daher die Kreuzfahrtriesen aus dem historischen Stadtkern verbannen und an einen anderen Hafen verweisen. Da dafür aber noch ein Terminal gebaut werden muss, kann das noch dauern. Schneller umsetzen ließ sich das "Eintrittsgeld", das Tagestouristen bezahlen müssen. Es soll in den nächsten Jahren noch steigen und zu Stoßzeiten bis zu zehn Euro für Tagestouristen betragen.
Bild: AFP/M. Medina
Kamera läuft
Die US-Serie "Game of Thrones" ist eine der erfolgreichsten Serien der Welt. Gedreht wurde sie zum großen Teil in Dubrovnik im Süden Kroatiens. Die Serie hat weltweit viele Fans. Zählt man diese Informationen zusammen, lässt sich leicht erahnen, was die Serie für den 40.000-Einwohner-Ort bedeutet: Touristenmassen!
Bild: Imago Images/Pixsell
"Game of Tourists"
Viele Serien-Fans wollen die Orte, die sie bisher nur aus dem Fernsehen kannten, in echt sehen. Ergebnis: Mehr als ein halbes Dutzend Kreuzfahrtschiffe und 10.000 Touristen - pro Tag. Zu viel für die Altstadt mit ihren schmalen Gassen und ihren 2000 Einwohnern. Die UNESCO hatte sogar damit gedroht, der Stadt an der Adria den Titel Weltkulturerbe zu entziehen. Soweit soll es nicht kommen.
Bild: Imago Images/Pixsell
Touristen-Obergrenze
Darum hat die Stadt hat entschieden: Pro Tag dürfen nur noch zwei Kreuzfahrtschiffe anlegen und die dürfen auch nur maximal 5000 Touristen an Land lassen. Reich geworden ist Dubrovnik durch den Touristenansturm angeblich nicht. Denn die meisten Touristen sollen nur weniger Stunden in der Stadt verbracht und im Schnitt weniger als zehn Euro ausgegeben haben - und reiche Touristen vertrieben haben.
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Viele Anwohner sehen rot
Die meisten überfüllten Touristen-Hotspots befinden sich in Südeuropa. Aber es gibt natürlich auch Orte in Westeuropa, die Probleme mit dem Touristenansturm haben: Amsterdam zum Beispiel. Besonders beliebt: das Rotlichtviertel. Aber auch die Kneipen, Bars und Coffeeshops ziehen die Touristen an. Ergebnis: Viele betrunkene, grölende und sich übergebende Touristen.
Bild: Imago Images/Pro Shots
Maßnahmenpaket gegen Massentourismus
Zählt man die Tagestouristen dazu, sollen im vergangenen Jahr rund 19 Millionen Menschen die niederländische Stadt besucht haben - die selbst gerade einmal 820.000 Einwohner hat. Vielen Einwohnern reicht es. Darum steuert Amsterdam jetzt stark gegen. So dürfen im Stadtzentrum keine neuen Hotels und Souvenirläden mehr eröffnet werden. Das Kreuzfahrtterminal soll an den Stadtrand verlegt werden.
Bild: DW/D. Dedović
Huch, wo ist er denn?
Wohnungseigentümer dürfen ihre Wohnungen nur noch maximal 30 Tage pro Jahr an Urlauber vermieten. Für einige Straßen ist sogar ein komplettes Verbot der Vermietung an Touristen im Gespräch. Ja, und dann hat Amsterdam auch noch den weltbekannten Schriftzug "I amsterdam" vor dem Reichsmuseum abgebaut. Es wollten einfach zu viele Touristen dort ein Foto machen.
Bild: picture-alliance/dpa/E. Leanza
Übertourismus
Wie lebt es sich wohl in einem Dorf mit 770 Einwohnern an einem ruhigen See in malerischer Landschaft? Vermutlich ganz gut. Schwierig wird es nur dann, wenn die 770 Einwohner jedes Jahr Besuch bekommen von rund 1.000.000 Touristen, die mit 20.000 Bussen anreisen. Ganz schwierig wird es, wenn die das ganze Dorf als Disneyland ansehen, Privathäuser und -gärten fotografieren und dann wieder abhauen.
Bild: Reuters/L. Niesner
Heuschrecken?
Diesen Ort gibt es: Er heißt Hallstatt und liegt in Österreich. Ein wenig erinnern die Touristenmassen hier an Heuschreckenschwärme, die in einer Gegend einfallen, Schaden anrichten und dann weiterziehen. An manchen Tagen quetschen sich 10.000 Touristen durch die kleinen Straßen des 770-Seelen-Nests.
Bild: Reuters/L. Niesner
Mindestens 150 Minuten
Der kleinen vor allem bei asiatischen Touristen beliebten Gemeinde reicht es. Ab 2020 dürfen nur noch Busse mit Zufahrtsticket Hallstatt anfahren. Damit soll die Zahl der Busse von 20.000 auf 8000 reduziert werden. Außerdem müssen die Touristen dann mindestens 150 Minuten im Ort bleiben. Dann lassen sie vielleicht auch mehr Geld in Hallstatt..
Bild: Imago Imagse/J. Tack
Copy and Paste mit Orten
Angeblich soll den meisten Chinesen Hallstatt ein Begriff sein. Der Ort in Österreich ist so beliebt, dass er in der Provinz Guandong originalgetreu für fast 800 Millionen Euro nachgebaut wurde - rund 7000 Kilometer entfernt vom echten Hallstatt. Vielleicht wäre das ja eine Lösung für alle überlaufenen Touristen-Ziele: einfach den Ort nochmal woanders bauen und die Touristen dann dahin schicken.