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KlimaGlobal

Können künstliche Gletscher gegen Wassermangel helfen?

Alistair Walsh
26. August 2024

Weltweit schrumpfen Gletscher, weil die Temperaturen steigen. In einigen Ländern sollen nun künstliche Gletscher die lokale Wasserversorgung sichern. Funktioniert das?

Inmitten einer braunen, kahlen Gebirgslandschaft steht ein spitz zulaufender Eishaufen,  dessen Inneres beleuchtet ist
Ein Café in einem künstlichen Gletscher in Indien Bild: Ciril Jazbec for National Geographic/AP Photo/picture alliance

Etwa 1,9 Milliarden Menschen auf der Welt sind auf Gletscher und Schneedecken als Trinkwasserquelle angewiesen.

Wenn das Eis der Gletscher in den wärmeren Monaten des Jahres schmilzt, fließen dabei große Mengen Wasser in die Flüsse - und versorgen damit Menschen, Industrie und Ökosysteme. Das funktioniert aber nur dauerhaft, wenn es im Winter genug Schnee gibt, damit die Gletscher sich wieder auffüllen können.

Doch mit dem globalen Temperaturanstieg und den veränderten Niederschlagsmustern ist dieses System aus den Fugen geraten. Aktuell schrumpfen die Gletscher der Erde um 1,2 Billionen Tonnen Eis pro Jahr. Selbst wenn es der Menschheit gelingt, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius (im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter) zu begrenzen, könnten bis zum Jahr 2100 die Hälfte aller Gebirgsgletscher verschwunden sein.

Eines der Gebiete, das am stärksten von der Gletscherschmelze gefährdetet ist, ist das Indus-Becken. Und damit ist auch die Wasserversorgung von mehr als 250 Millionen Menschen in Afghanistan, China, Indien und Pakistan in Gefahr, die auf das Wasser aus dem Fluss Indus angewiesen sind.

Eine Organisation im Himalaya, die Students' Educational and Cultural Movement of Ladakh (SECMOL), will nun die drohende Wasserknappheit mit künstlich angelegten Gletschern bekämpfen. 

Was sind künstliche Gletscher?

Die Idee ist nicht neu. Laut einer Legende sollen schon im 13. Jahrhundert Bewohner des heutigen Pakistans künstliche Barrikaden aus Eis und Schnee an wichtigen Bergpässen gebaut haben, um die Armee des Mongolen-Königs Dschingis Khan fernzuhalten.

Und in den Gebirgszügen des Hindukusch und des Karakorum werden schon seit Jahrhunderten kleinere Mini-Gletscher angelegt, um die Wasserversorgung zu verbessern.

In den 1990er Jahren waren die Gletscher in der nordindischen Bergregion Ladakh schon so stark zurückgegangen, dass das wichtige Schmelzwasser im Frühling immer später in die Täler floss. Dort fehlte es für die Bewässerung der Felder, die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln wurde problematisch. Als Reaktion darauf begannen lokale Ingenieure, künstliche Gletscher zu schaffen, um den Wassermangel zu bekämpfen. Denn sie schmelzen früher und zuverlässiger als die natürlichen Gebirgsgletscher.

Künstliche Eisspeicher versorgen die Landwirtschaft während der kritischen Aussaatzeit mit WasserBild: Ciril Jazbec for National Geographic/AP Photo/picture alliance

Eine der dabei verwendeten Methoden: Wasserfälle an Flüssen anzulegen, damit sich auf freiliegenden Flächen Eis ansammeln kann. Bei einem anderen Verfahren werden große Flüsse in kleinere Bäche geteilt und so umgeleitet, dass sie durch Berge beschattet werden und dann zufrieren. Eine weitere Möglichkeit ist der Bau großer Wasserbecken, die im Herbst gefüllt werden, damit sie langsam zufrieren. Die Himalaya-Stadt Leh beispielsweise nutzt ein solches Becken.

Allen Methoden ist gemeinsam: Wenn das gespeicherte Eis im Frühling schmilzt, steht das Schmelzwasser der Landwirtschaft schon in den Saatmonaten April und Mai als wichtige Wasserquelle zur Verfügung, bevor die Flüsse im Juni wieder vollständig fließen.

Solche künstlichen "Eiskammern" können allerdings durch Sturzfluten, Erdrutsche, Erosion und Verschlammung zerstört werden und daher recht unzuverlässig sein. Der Wiederaufbau bedeutet für die ansässigen Dorfgemeinschaften eine große Anstrengung und fällt zudem oft ausgerechnet in die Zeit, in der es auch in der Landwirtschaft viel zu tun gibt.

Wie Eis-Stupas das Wasser für den Sommer speichern

Um solchen Problemen vorzubeugen, wurde eine neue Technik entwickelt - der Eis-Stupa: ein großer Kegel aus Eis, der ein wenig an buddhistische Grabhügel erinnert, die Stupas genannt werden. 

Während der Regenzeit wird Wasser über eine unterirdische Leitung aus hoch gelegenen Bächen ins Tal geleitet. Dort wird es bei kalten Temperaturen nachts durch eine vertikale Fontäne auf eine kegelförmige Basis gespritzt, wo das Wasser wieder gefriert und sich immer höher auftürmt. Solche Eis-Stupas werden in der Nähe von Dörfern errichtet, sie schmelzen wegen ihrer geringen Oberfläche nur sehr langsam.

Ein Eis-Stupa in einem Gebirge in IndienBild: DW

Wenn es wärmer wird, bestehen solche großen Eishügel noch lange, nachdem Eis und Schnee in ihrer Umgebung bereits geschmolzen sind. So geben sie in den Frühlings- und Sommermonaten langsam ihr Wasser ab.

Diese Technik wird inzwischen weltweit zur lokalen Wasserversorgung verwendet. Eisstupas gibt es etwa in Kirgisistan, Chile, der Mongolei und vielen anderen Ländern.

Können künstliche Gletscher Wasserknappheit verhindern?

Da der vom Menschen verursachte Klimawandel die Schneefälle in den Bergen verringert, ist die Gesamtmenge des verfügbaren Wassers in diesen Gebieten nicht mehr so groß wie früher. Daran können auch Eisstupas nichts ändern. Und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler geben zu bedenken, dass die Erderwärmung letztlich dazu führt, dass künstliche Gletscher letztlich dasselbe Schicksal teilen werden wie natürliche Gletscher.

Eine 2018 durchgeführte Überprüfung verschiedener Projekte zur Eisspeicherung ergab, dass sie in bestimmten Regionen zwar hilfreich sein könnten. Eine echte Lösung für das Grundproblem der weltweiten Gletscherschmelze, die durch Klimaveränderungen, Umweltschäden und sozioökonomische Faktoren verursacht wird, sind sie aber nicht.

Gletscherschmelze in den Bergen

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Die Projekte der SECMOL-Bewegung in Ladakh wurden zudem von der lokalen Bevölkerung kritisiert. Dabei geht es um die Frage, ob die Organisation überhaupt das Recht hat, Wasser aus den Flüssen zu entnehmen und wer von den Vorteilen der künstlichen Eisspeicher profitieren darf.

Die Befürworter argumentieren, das abgeleitete Schmelzwasser würde andernfalls verschwendet und einfach abfließen. Die Kritiker betonen jedoch, dass das diese Wasser die Quellen auffüllt, die für die Trinkwasserversorgung der Dörfer nötig sind.

Schutzdecken oder Kunstschnee: Können Gletscher vor dem Schmelzen bewahrt werden?

Länder wie die Schweiz und Italien experimentieren mit riesigen Abdeckungen, die ihre Gletscher im Sommer vor Eisverlust schützten sollen. Ein anderer Ansatz besteht darin, die Gletscher mit enormen Mengen Kunstschnee zu besprühen, um sie zu vergrößern und so die Schmelze zu verringern.

Können Planen Gletscher retten?

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Beides hilft, doch es verlangsamt nur das Unvermeidliche. Gleichzeitig sind die Methoden teuer und mit erheblichen Umweltbelastungen verbunden, unter anderem Plastikverschmutzung und Treibhausgas-Emissionen aufgrund des hohen Energieverbrauchs.

Die Wissenschaft ist sich einig: Der wirksamste Weg, Eis und Schnee auf unserer Welt zu schützen, besteht darin, den Klimawandel zu begrenzen. Und der beste Weg dazu ist, die Nutzung fossiler Brennstoffe einzustellen.

Redaktion: Tamsin Walker

Adaption aus dem Englischen: Jeannette Cwienk

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