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Politik

"Können keine neue Flüchtlingswelle absorbieren"

21. Juni 2018

Österreich übernimmt am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft. Das Land sieht sich als Brückenkopf zu den Visegràd-Staaten - und auch zu den Westbalkanländern, sagt der ÖVP-Abgeordnete Martin Engelberg im DW-Interview.

Österreich Auffanglager für Flüchtlinge
Bild: picture-alliance/epa/C. Bruna

DW: Herr Engelberg, welche Schwerpunkte setzt Österreich bei der Ratspräsidentschaft?

Martin Engelberg: Das Wichtigste ist zunächst einmal, dass es überhaupt keinen Zweifel daran geben darf, dass diese Regierung pro-europäisch ist. Die Überlegung, welche Politik in diesem Sinne die richtige ist, hat damit zu tun, dass Bundeskanzler Kurz in den letzten Jahren dafür stand, dass das wichtigste Thema für Europa momentan die innere und äußere Sicherheit ist. Das heißt, das Sichern der Grenzen einerseits und andererseits das Herstellen von Sicherheit innerhalb der EU. Und da geht es darum, dass es einerseits tatsächlich eine Verschlechterung der Situation gegeben hat oder aber auch nur eine von der Bevölkerung so empfundene. Daher der Auftrag an die EU, für die Sicherheit zu sorgen, für eine gemeinsame Außenpolitik und auch für eine gemeinsame Verteidigungspolitik. Alle anderen Themen sind jetzt erstens nicht so wichtig und sollten zweitens auf lokaler, regionaler Ebene gelöst werden.

Jean Asselborn, in der EU zuständig für Immigration und Asyl, sagt, "wir wollen kein Visegrád plus Österreich". In welchem Verhältnis steht Österreich zu den Visegrád-Staaten?

Ich halte jeden Verdacht, dass Österreich Teil der Visegrád-Staaten werden wollte oder sollte, für absolut unangebracht, eigentlich unfreundlich. Diese Regierung hat in jeder Hinsicht bewiesen, dass es darum gar nicht geht, es steht auch überhaupt nicht zur Diskussion. Es gibt unserer Meinung nach eine größer werdende Zahl von Ländern und Menschen in der Europäischen Union, die mit unserem Standpunkt und dieser Regierung und insbesondere dem Bundeskanzler durchaus sympathisieren, nicht zuletzt gerade in Deutschland. Ich wäre da sehr vorsichtig, und noch dazu von außen, solche Einschätzungen abzugeben.

Andererseits könnte Österreich einen positiven Einfluss ausüben in Bezug auf Toleranzgesellschaften, Medienfreiheit, Antisemitismus und so weiter. Sehen Sie da eine Rolle?

Unbedingt. Ich glaube, genau das ist die Funktion, die Österreich hier haben kann und haben wird: nämlich die einer Brückenfunktion. Ich glaube tatsächlich, dass in den ehemaligen Kronländern der Monarchie durchaus ein guter Zugang zu Österreich besteht und auch ein besseres Verständnis, vielleicht mitunter ein besseres als gegenüber deutschen Politikern, und tatsächlich könnte das auch zu einer Auflockerung der Positionen - zum Beispiel Ungarns - führen. Das ist auch das Potenzial dieser Regierung und das ist auch das, worauf wir hinarbeiten.

Der Politiker und Psychoanalytiker Martin Engelberg Bild: DW/Adelheid Feilcke

Die sogenannte "neue Balkanroute" schlägt Wellen und weckt Ängste vor neuen Flüchtlingsströmen. Welche Information haben Sie, ob es wirklich neue Migrationsströme gibt - und kann Österreich wirklich die Grenzen zumachen?

Offensichtlich hat die Regierung Informationen bekommen, dass sich da eine neue Balkanroute entwickelt. Ich glaube, da kann man angesichts dessen, wie das 2015 gelaufen ist, nicht einfach zusehen. Je früher man darauf reagiert, desto besser. Und ich denke, wir werden nicht darum herum kommen, so wie damals 2015 diese Routen zu schließen. Das ist schwierig. Auch damals haben viele gesagt, das ist unmöglich, aber tatsächlich hat es funktioniert und ich bin überzeugt, es wird auch diesmal funktionieren, weil wir in den europäischen Gesellschaften eine neue Flüchtlingswelle nicht werden absorbieren können.

Psychologisch gesehen ist der Balkan in einer Depression. Sollte den Balkanstaaten nicht eine schnellere EU-Perspektive gegeben werden, um sie - rein auf der psychologischen Ebene - in eine positive Wende zu führen?

Ja, genau das versucht ja die Regierung. Das wird auch sicher ein wichtiger Teil der EU-Ratspräsidentschaft sein: eine noch engere Einbindung der südosteuropäischen Staaten und eine weitere Verstärkung der Beitrittsperspektive. Auf der anderen Seite ist niemandem gedient, wenn das zu schnell geschieht. Vor allem, wenn das für die bisherigen und auch für die neuen EU-Staaten unverdaulich wird. Aber ich glaube, die Staaten auf dem Balkan können sich darauf verlassen, dass in der österreichischen EU-Präsidentschaft in diese Richtung der Integration oder Heranführung neuer EU-Mitglieder viel getan werden wird.

Martin Engelberg ist ÖVP-Abgeordneter im österreichischen Parlament und Mitglied der jüdischen Gemeinde Wien.

Das Interview führt Adelheid Feilcke am Rande der EU-Strategic Talks in Wien.

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