Körber-Preis geht an Zellbiologen
1. September 2022Die meisten von uns schauen vermutlich nicht zweimal und sehr neugierig auf Fadenwürmer. Für Anthony Hyman aber, den Gewinner des diesjährigen Körber-Preises, geben die obskuren Würmer mit dem Namen C. elegans Antworten auf die Frage, wie unsere Zellen funktionieren.
"Niemand interessiert sich wirklich für C. elegans, aber unsere Untersuchungen an diesen Würmern haben sich auf fast die gesamte biomedizinische Forschung ausgewirkt", so Hyman gegenüber der DW.
Der Körber-Preis ist mit einer Million Euro dotiert und wird am 2. September an Hyman verliehen.
Der Zellforscher erhält die Auszeichnung für die Entdeckung, dass sich Proteine in der Zelle als winzige Tropfen in sehr hohen Konzentrationen anreichern und die Zellaktivität verändern können. Die Ergebnisse wurden erstmals 2009 in der Zeitschrift Science veröffentlicht.
Normalerweise sind Proteine wie Flüssigkeiten, die innerhalb der Zelle fließen. Während seiner Studien an einzelligen Embryonen des Fadenwurms C. elegans, fand Hyman jedoch heraus, dass Proteine sich sehr schnell zu Kondensaten zusammenballen können, die winzigen Tröpfchen ähneln.
Während dieses Prozesses, der als "Phasentrennung" bezeichnet wird, ist jeder Tropfen ein wildes Gewusel von chemischen Reaktionen. Sobald diese Reaktionen jedoch beendet sind - oft innerhalb von Sekunden - verschwindet der Tropfen.
"Phasentrennung ist wie ein Flashmob - jemand macht die Musik an und alle Proteine versammeln sich. Schaltet man die Musik aus, verschwinden sie wieder", erklärt der Preisträger.
Ein neuer Weg zum Verständnis degenerativer Krankheiten
Das Konzept ist sehr abstrakt und nur schwer zu fassen. Wenn Phasentrennung wie ein Flashmob ist, was ist dann die Musik, die die Reaktion antreibt, und wer sind die Tänzer?
Hyman erklärt, dass die Entdeckung der Phasentrennung für fast alle Aspekte biomolekularer Vorgänge gilt. So hilft die Forschung den Wissenschaftlern beispielsweise, degenerative Krankheiten wie Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) und Alzheimer besser zu verstehen.
Experten wissen seit Jahrzehnten, dass ALS und Alzheimer durch die Ansammlung von sogenannten Proteinaggregaten in Zellen verursacht werden. In den Gehirnen von Menschen, die an diesen Krankheiten gestorben sind, fanden Pathologen solche Proteinaggregate, also stabile Anordnungen unbeweglicher Proteine.
Bei Alzheimer-Patienten etwa sammeln sich Proteinkondensate, sogenannte Tau-Proteine, in den Neuronen und werden zu Aggregaten.
Dadurch, dass sie ihre dynamischen Eigenschaften verlieren, werden sie toxisch und führen zum Absterben von Neuronen im Gehirn. Mit der Zeit führt dies dann zu Symptomen wie Demenz.
In diesem Beispiel wären die Tänzer, auf die Hyman anspielt, die Tau-Proteine. Diese sammelten sich in der Zelle zu Aggregaten, wo dann allerdings irgendetwas schief läuft, das die Aggregate veranlasst, in dieser Formation stecken zu bleiben.
Aber was veranlasst die Tau-Proteine, überhaupt zu aggregieren? Was verursacht neurodegenerative Krankheiten? Was ist also die Musik? Es besteht die Hoffnung, dass Hymans Entdeckung dazu beitragen wird diese Fragen zu beantworten und mehr über die Ursachen von Krankheiten wie Alzheimer zu erfahren. Und vor allem auch darüber, wie man sie behandeln kann.
Grundlagenforschung muss gefördert werden
Das Ziel der Biowissenschaften bestehe darin, Krankheiten zu heilen, so Hyman. Aber um dahin zu gelangen, müsse man die Grundlagenforschung finanziell fördern. Die Finanzierung obskur anmutender Forschung sei wie das Pflanzen kleiner Eicheln, so der Zellbiologe weiter. Man wisse nie, welche davon zu großen Eiche heranwachsen.
"Wir können nur dann bessere Entscheidungen im Gesundheitswesen treffen und neue Behandlungen entwickeln, wenn wir die genauen Probleme bei Krankheiten verstehen. Wenn ein Mechaniker nicht weiß, wie ein Auto funktioniert, ist es fast unmöglich für ihn, es zu reparieren. Wissenschaftler haben eine noch schwierigere Aufgabe. Wir versuchen, ein System zu verstehen, das wir nicht selbst entworfen oder gebaut haben", so Hyman.
Die Auswirkungen, die Hymans Entdeckung hat, gehen weit über die Erforschung neurodegenerativer Krankheiten hinaus. Sie helfen, grundsätzliche Funktionsweisen von Zellen zu verstehen.
"Jede Zelle in unserem Körper enthält etwa fünf Milliarden Proteine. Das sind fast so viele wie es Menschen auf der Erde. Es ist ein unglaublich kompliziertes System, das sich über drei Milliarden Jahre entwickelt hat", so Preisträger Hyman.
"Wir sind in der Lage eine riesige Schüssel Spaghetti zu essen und dann mit dem Anstieg des Zuckerspiegels klarzukommen. Komplexe molekulare Anordnungen in den Zellen machen das möglich - und wie genau das funktioniert, möchte ich mit dem Preisgeld herausfinden."