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Wenn einen der Blitz trifft

Gudrun Heise
11. Juni 2018

Wer einen Blitzschlag überlebt, muss meist mit erheblichen Folgeschäden klarkommen. Das Naturereignis, bei dem bis zu 100 Millionen Volt auf den Menschen einwirken, brennt sich nicht nur ins Gedächtnis ein.

Deutschland Gewitter Blitze in Hessen
Bild: picture-alliance/dpa/J. Eifert

Nur wenige Millisekunden dauert es, wenn ein Mensch vom Blitz getroffen wird. Danach ist nichts mehr wie es einmal war. Immerhin kann es bei einem solchen Ereignis zu Temperaturen um 50.000 Grad Celsius kommen - eine Hitze wie auf der Sonnenoberfläche.

Es donnert, kracht und blitzt am Himmel – für viele ein faszinierendes Schauspiel, für andere eine Katastrophe und Grund zur Panik, vor allem für Blitzopfer. "Diese Personen leiden oft unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Ein Blitzschlag ist ein Ereignis, mit dem sie überhaupt nicht gerechnet haben und das sie vollkommen aus der Bahn wirft", so Professor Berthold Schalke von der Neurologischen Universitätsklinik Regensburg. Schon seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit Blitzopfern.

Der Blitz brennt sich ein

Es kann passieren, dass sich ein Blitzstrom an der Körperoberfläche entlang und über den Körper hinweg bewegt – alles in Bruchteilen von Sekunden. Dabei kann es zu erheblichen Verbrennungen kommen. "Es gibt Patienten, die beim Blitzschlag ein Goldkettchen um den Hals getragen haben. Das ist dann einfach verdampft. Man kann die Brandnarben sehen, die dadurch entstanden sind", sagt Schalke.

Dieser Mann erlitt eine Verletzung am Hinterkopf als ihn ein Blitz traf Bild: picture-alliance/dpa/S. Rapanis

Meist seien es Verbrennungen 2. Grades und vergleichbar mit einer Verbrühung durch Wasserdampf. Auch Schlüssel können gefährlich werden, etwa wenn sie in der Hosentasche stecken. Sie bekommen den Blitzschlag mit und brennen sich regelrecht in die Haut ein.

"Es hängt von verschiedenen Faktoren ab, ob der Strom hauptsächlich auf der Oberfläche der Haut fließt oder in die Person selber eindringt", erklärt Thomas Raphael vom Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik (VDE). 

Elektrisch geladen

Der Strom kann aber auch durch den Kopf in den Körper fließen: Er sucht sich seinen Weg beispielsweise durch das Ohr, die Nasenlöcher, durch den Mund und die Augenhöhlen und von dort ins Rückenmark.

Manche Blitzopfer aber fallen einfach um oder haben Probleme mit dem Herzen. "Es kann zu Herzrhythmus-Störungen kommen. In einem solchen Fall ist das Herz aber meist vorgeschädigt", erklärt Schalke. Manchmal setzt das Herz aber einfach aus, bleibt stehen. Das sei in etwa so, als drücke man kurzzeitig die Pausetaste. Dann muss schnell reanimiert werden.

Ist niemand da, der die Situation richtig einschätzt, stirbt das Blitzopfer in den meisten Fällen. Der Neurologe ist davon überzeugt, dass viele Menschen gerettet werden könnten, wenn sie schnell genug Hilfe bekämen.

Bei einem Blitz werden Kräfte von 200.000 bis 300.000 Ampere freigesetztBild: picture alliance/dpa/F. Gambarini

Muskeln außer Kontrolle

Vieles in unserem Körper funktioniert über Elektrizität, beispielsweise die Muskeln oder die Nerven im Gehirn. Ein Blitzschlag bringt all das kräftig durcheinander. Wenn die Muskeln betroffen sind, können sie nicht mehr angesteuert werden, sind schlaff. Das heißt: Die Personen fallen zu Boden, liegen da und können sich erst einmal nicht bewegen, sind gelähmt. "Das ist wie eine Querschnittlähmung", so Schalke, aber das gehe wieder weg.

Einige Blitzopfer erzählen, sie hätten sich an eine andere Stelle katapultiert und seien mehrere Meter weit durch die Luft geflogen. "'Ich bin einen Weg entlang gegangen und nach dem Blitzereignis lag ich plötzlich einige Meter weit weg, im Gras.' Es sind auch schon Todesfälle in den Bergen aufgetreten, wo sich Personen nach einem Blitzeinschlag selber in den Abgrund katapultiert haben", berichtet Schalke. Der Experte spricht von einer unwillkürlichen Muskelkontraktion, die der Mensch gar nicht beeinflussen könne.

Was war das denn bloß?

"Ein Blitzschlag ist ein Erlebnis, das viele bewusst wahrscheinlich gar nicht mitbekommen", so Blitzschutzexperte Raphael. Das Ganze geht wortwörtlich blitzschnell. Nach Millisekunden ist alles vorbei. Das gilt nicht für die Betroffenen.

Sie können unbewusst einen Schock erleiden, so Raphael weiter. "Was alle Blitzopfer gemein haben, ist ihre Angst vor Knall und lauten Geräuschen", sagt Professor Schalke. Bei Gewittern zögen sie sich oft aus Angst in die äußersten Winkel des Hauses zurück. 

Etwa 30 bis 50 Menschen werden jedes Jahr vom Blitz getroffen. Rund zehn Prozent überleben dieses traumatische Ereignis nicht. 

Vorbei und doch nicht vorbei

Besonders stark kann ein Blitz Nerven und Muskeln schädigen. Sie haben einen hohen Flüssigkeitsanteil. Elektrischen Ladungen haben sie nur wenig entgegenzusetzen. Ein Blitzschlag kann neurologische Schäden im Gehirn anrichten, die erst viel später hervortreten. "Die ganz feinen Nerven, die für die Temperaturempfindung zuständig sind oder die Erkennung von Schmerzen sind dann oft zerstört", sagt Schalke.

Nervenzellen reagieren besonders empfindlichBild: Imago/imagebroker/O. Maksymenko

"Solche Patienten spüren dann nicht mehr, dass das Wasser in der Badewanne kochend heiß ist. Sie müssen es mit einem Thermometer messen, damit sie sich nicht verbrühen", so Schalke weiter. "Diese Nerven sind nicht mit einer Hülle isoliert. Es sind einfach sehr dünne Fäden." Die meisten Ärzte messen bei Untersuchungen nur die dicken Nerven und erkennen oft nicht, dass es sich um eine sogenannte "Small Fibre Neuropathie" handelt, also um die filigranen Nervenstränge, die geschädigt sind.

Durch Schäden im Kopf wiederum können sich Persönlichkeitsstörungen entwickeln. Die Konzentrationsfähigkeit kann eingeschränkt sein und dadurch auch die Arbeitsfähigkeit. Menschen, die einen Blitzschlag überlebt haben, sind neuropsychologisch oft nicht mehr so leistungsfähig wie vorher.

Sie haben Erinnerungslücken und können schlecht kombinieren. "Wir hatten einmal eine Patientin, die berichtete, sie habe ein top Gedächtnis gehabt. Sie konnte sich alles merken. Sie brauchte nie einen Merkzettel. Nach dem Ereignis musste sie immer jemanden neben sich haben, der ihr Zettel gereicht hat, wo dann draufstand, was sie tun musste", erzählt Schalke. "Oder der junge Lehrling, der vom Blitz getroffen wurde und trotz intensiver neurologischer Reha seine Berufsausbildung nicht abschließen konnte." 

… Linden sollst du finden

Ein Blitz muss eine Person nicht unbedingt direkt treffen, um Schäden am und im Körper anzurichten. Auch ein sogenannter "Überschlag" passiert häufig. Das heißt, der Blitz trifft ein Objekt in der Nähe. Dieses Objekt leitet den Blitz nicht direkt in die Erde, sondern springt auf eine Person in der Nähe über und fließt dann über diese Person in den Boden. Das tritt besonders häufig in der Nähe von Bäumen auf.

"Eichen sollst du weichen" - Mythos oder wertvoller Tipp?Bild: picture-alliance/dpa/U. Zucchi

"Eichen sollst du weichen, Buchen sollst du suchen, Linden sollst du finden." Diese alte Volksweisheit führt bei Wissenschaftlern zu sorgenvollem Stirnrunzeln, auch bei Schalke: "All diese Mythen, die es gibt, sind Blödsinn. ‘Wenn man einen Holunderbusch pflanzt, schlägt der Blitz nicht ein. Wenn die Kirchenglocken läuten, passiert nichts.' Das können Sie alles vergessen." Baum ist also gleich Baum.

Was tun bei Gewitter? 

Es gibt viele Möglichkeiten, sich bei Gewitter vor einem Blitzschlag zu schützen. Die erste Regel, so Raphael: "Das Gewitter ernstnehmen und sich nicht im Freien aufhalten. Erst einmal alle Aktivitäten im Freien beenden - in einem Haus Schutz suchen, am besten in einem Gebäude mit Blitzschutzsystem. Die nächstbessere Lösung ist ein Gebäude ohne Blitzschutz, aber es sollte möglichst aus Stein sein.

Das Auto ist eine sichere Bleibe während eines Gewitters, denn es ist ein faradayscher Käfig. "Es ist eine abgeschlossene Hülle aus Blech, die entsprechend als Leiter dient und so eben auch als elektrische Abschirmung", erläutert Blitzschutzexperte Raphael.

Eine gefährliche Position ist die sogenannte Schrittspannung. "Ein Blitz will ja in den Boden. Aber er verschwindet dort nicht mit einem Schlag, er breitet sich großflächig in die Tiefe und in die Breite aus", so Raphael. "Wenn ich jetzt in der Nähe des Einschlagpunktes bin und einen Schritt mache, dann merke ich zwischen meinen Beinen, dass ein Teil dieses Blitzstromes über mich fließt." Diese Schrittspannung ist gefährlich. Es gilt, sich möglichst klein zu machen, in die Hocke zu gehen, Beine an den Körper ziehen."

Entfernung einschätzen

"Und schließlich: Wenn ich den Blitz sehe, dann sollte ich anfangen zu zählen, bis der Donner kommt. Diese Zahl muss ich dann durch drei teilen, dann habe ich in etwa die Entfernung des Einschlags in Kilometern", erklärt Raphael.

Wenn man 30 Sekunden zähle, dann betrüge der Abstand zehn Kilometer. Liegen zwischen Blitz und Donner weniger als zehn Sekunden besteht Lebensgefahr, sagt der VDE. Und selbst, wenn es etwas mehr ist, sollte man nicht unvorsichtig werden. "Wenn der letzte Blitzschlag oder der letzte Donner vorbei sind, sollte man nochmals 30 Minuten warten", bevor man wieder raus geht, rät Raphael. Zeit, die man sich nehmen sollte.

Kaum gesicherte Erkenntnisse

Blitzschäden beim Menschen sind noch nicht besonders gut erforscht, weil sie sehr selten auftreten. Es ist schwierig, genügend Teilnehmer für eine Studie zu finden. "Wir haben es hier in Deutschland mit etwa fünf Todesfällen pro Jahr zu tun", so Raphael. "Wir haben etwa hundert Personen, die direkt vom Blitz getroffen wurden und ins Krankenhaus kamen. Und wir haben weitere hundert, die noch nicht einmal einen Arzt aufsuchen mussten."

Es gibt nur wenige Spezialisten, die erforschen, wie sich ein Blitzschlag auf den Menschen auswirken kann. Die meisten Mediziner kennen sich mit dem Phänomen nur ungenügend oder gar nicht aus. "Der Patient klagt vielleicht darüber, dass irgendetwas mit ihm nicht stimmt. Aber keiner scheint ihm sagen zu können, was das genau ist", sagt Raphael.

Gewitter sind für viele ein spektakuläres EreignisBild: picture-alliance/dpa/J. Stähle

"Von Bekannten, Kollegen und Freunden kommen manchmal aber auch einfach nur dumme Bemerkungen", weiß Schalke. Da kämen dann so Sätze wie: 'Du bist vom Blitz getroffen worden? Du hättest lieber Lotto spielen sollen, dann wärst du jetzt Millionär. Das ist genauso selten wie vom Blitz getroffen zu werden." Auch wenn es vermutlich nicht böse gemeint ist - die meisten Blitzopfer können darüber wohl nicht lachen.

 

 

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