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Kunst

Anselm Kiefer zum 75.

7. März 2020

Er arbeitet mit Stroh, Blei und riesigen Formaten: Anselm Kiefer ist ein Künstler, der sich wie kein anderer mit den Mythen deutscher Geschichte auseinandersetzt. Zum Geburtstag gratulierte auch der Bundespräsident.

Anselm Kiefer vor einem seiner Werke
Bild: picture-alliance/Captital Pictures

Seine Karriere begann er mit einer Irritation. Im Jahr 1969 reiste der 24-jährige Kunststudent durch Europa und machte Fotos. Darauf zu sehen: Anselm Kiefer, der den Arm zum Hitlergruß erhob. So posierte er in einer Badewanne in seinem Atelier, vor dem Kolosseum in Rom, vor einer Meeresbrandung in Spanien, vor einem Reiterdenkmal in Montpellier, auf dem Vesuv in Italien oder vor den Ruinen Pompejis. Über diese legendäre Fotoserie "Besetzungen", die er später in dem Kunstmagazin "Interfunktionen" veröffentlichte, schrieb er: "Zwischen Sommer und Herbst 1969 habe ich die Schweiz, Frankreich und Italien besetzt."

Anselm Kiefer besetzte Europa mit seiner Kunst

In diesen Aufnahmen inszeniert sich der junge Mann mit schütterem Haar und Nickelbrille in einer Fantasieuniform mit Reiterstiefeln. Hitlers Geste der Eroberung lächerlich zu machen, war 1969 noch ein Novum. Anselm Kiefer handelte sich prompt den Vorwurf ein, "Post-Faschist" zu sein.

Kiefers Kunstinszenierung kam nicht überall gut an Bild: Anselm Kiefer

Anselm Kiefer ist Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels und einer der gefragtesten Künstler der Welt. Er stellt in den bedeutendsten Museen zwischen Deutschland und Japan aus. Und er ist der Repräsentant einer Generation, die sich schon früh kritisch mit Nazi-Deutschland und der eigenen Herkunft auseinandersetzte. Er ist unbequem als Künstler. Einer, der tief bohrt - so tief, bis es wehtut.

Kiefer und die Nazi-Zeit

Kiefer, der am 8. März 1945, zwei Monate vor der offiziellen Kapitulation Deutschlands, im schwäbischen Donaueschingen zur Welt kam, trug immer schwer an der Last des Krieges. Als er nach seinem Studium an der Kunsthochschule in Karlsruhe und an der Kunstakademie Düsseldorf bei Joseph Beuys damit anfing, Kunstwerke der Öffentlichkeit zu präsentieren, ging es ihm auch darum, eine persönliche Schuldfrage zu klären: seine eigenen Verstrickungen in den Nationalsozialismus. Kiefer wollte für sich selbst herausfinden, welche Spuren die Nazi-Zeit bei ihm hinterlassen hatte. Vergangenheitsbewältigung, die germanische sowie antike Mythologie und später auch die jüdische Mystik sind bis heute seine Leitthemen. Seine Gemälde - meist große Formate - verwandelt er mit Feuer und Stroh in Landschaften der Verwüstung - Anspielungen auf die deutsche Geschichte.

Anselm Kiefer bei der Arbeit Bild: Renate Graf

Vergangenheitsbewältigung

Der Künstler ist vielleicht der erste seiner Generation, der die Nazivergangenheit in der Kunst so explizit zum Thema machte. Es ist sein persönliches Anliegen herauszufinden, was passiert ist. In den Schulen handele man das Thema in einem Halbjahr ab - das reiche nicht, hat Kiefer einmal in einem Interview gesagt. Er will wissen, wie er sich selbst verhalten hätte. In den 1970er Jahren schuf er eine Serie heroischer Sinnbilder: Landschaftsbilder aus verbrannter Erde oder verkohlten Büchern, die an die Schrecken und Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs erinnern sollten. In seinen Zeichnungen beruft er sich auf Mythen oder die jüdische Kabbala.

Destruktive Energie und heilende Kraft

Mit seiner Kunst stemmt sich Kiefer den Einflüssen des Abstrakten Expressionismus genauso entgegen wie denen der Pop Art oder des Minimalismus. Stattdessen entwickelte er früh eine eigene Bildsprache, die stark von seinem Lehrer Joseph Beuys beeinflusst war. Anders als Beuys, der auf die Kraft von Fett und Filz setzte, verwendet Anselm Kiefer Blei, Erde und archaische Materialien. Die Schwere dieser Materialien verleiht seinen Werken eine Aura von Melancholie und Destruktivität. Andererseits glaubt Kiefer an die heilende Kraft der Kunst. Wie ein Alchemist bringt er in seinen Vitrinen - die er auch immer in seinen zahlreichen Ausstellungen präsentiert - Steine, Metalle oder Pflanzen zusammen. Gesellschaftliches Engagement, wie es sein Lehrer Joseph Beuys für die Partei der Grünen zeigte, lehnt Kiefer allerdings ab.

Kiefers Skulptur "Book with Wings" ist ein Symbol der Hoffnung Bild: picture-alliance/dpa

Erfolg zunächst in den USA

Anselm Kiefers Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Doch gefeiert wurde der Künstler zunächst in den USA. Im Deutschland der 1970er Jahre war die Zeit für eine Konfrontation mit der Vergangenheit offensichtlich noch nicht reif. Lieber die Augen verschließen, anstatt das Verdrängte aufzuarbeiten, lautete das Diktum auch in der Kunst. 1980 vertrat Kiefer die Bundesrepublik dann aber im Deutschen Pavillon der Biennale von Venedig. Dreimal wurde er ab 1982 auf die Weltkunstschau Documenta in Kassel eingeladen. 

Der Kölner Galerist Michael Werner entdeckte ihn schon in den 1970er Jahren für sich und unterstützte seine Karriere auf dem Kunstmarkt. Anselm Kiefer lebte in dieser Zeit lieber weitab vom Trubel des Betriebs. Er zog sich 1971 zum Arbeiten und Leben in den Odenwald zurück, seit 1993 lebt er in Südfrankreich. Das Herrenhaus in Barjac in Languedoc-Roussillon ist umgeben von einem 35 Hektar großen Anwesen, auf dem 51 Häuser stehen  -  dort bringt Kiefer seine Bilder und Skulpturen unter.

Für seien Werke braucht Anselm Kiefer viel Platz Bild: picture-alliance/dpa/J. Alvarez/Editions du Regard

Franzosen verehrten Kiefer

Die Franzosen verehren den Deutschen, auch weil er sich in ihrem Land niedergelassen hat. Immer wieder schaffen sie Platz in ihren Museen, um seine großformatigen Installationen und Gemälde zu präsentieren. 2015 richtete ihm das Centre Pompidou eine derart umfangreiche Retrospektive seines Werks aus, wie es sie seit 30 Jahren nicht mehr gegeben hatte. In einer Ansprache anlässlich der Vorstellung seiner Werkserie "Europa" sagte er, er sei im Ausland besser angesehen als im Inland. Aber auch wenn ihm Kritiker vorwerfen, er sei zu monumental und mythologisch zu überfrachtet, so ist Kiefer ein Künstler, der mitgeholfen hat, Deutschland in der Nachkriegszeit wieder auf der internationalen Landkarte zu verorten.  

Das sieht auch Bundespräsident Walter Steinmeier so, der Anselm Kiefer zum 75. Geburtstag einen Brief schrieb: Seine Werke nähmen "ohne Übertreibung einen singulären Platz" in der Kunst der Gegenwart ein, lobte Steinmeier den Künstler.

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