Er arbeitet mit Stroh, Blei und riesigen Formaten: Anselm Kiefer ist ein Künstler, der sich wie kein anderer mit den Mythen deutscher Geschichte auseinandersetzt. Zum Geburtstag gratulierte auch der Bundespräsident.
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Und immer wieder monumental - Anselm Kiefer wird 75
Anselm Kiefer gehört zu den erfolgreichsten Künstlern Deutschlands. Seine monumentalen Materialbilder und Installationen sind weltweit gefragt. Jetzt feiert er seinen 75. Geburtstag.
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Kriegsschuld und Sühne
Geboren wird Anselm Kiefer am 8. März 1945 in Donaueschingen. Er wächst in einer streng katholischen Lebenswelt auf. Schuld und Sühne sind in seiner Familie ständig Thema. Als Student versucht er sich erfolglos mit Rechtswissenschaften. Er bricht das Studium ab und geht an die Kunstakademie, wird Meisterschüler des Malers Horst Antes. Ab 1970 wird Joseph Beuys sein Mentor und großes Vorbild.
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Ballast der Geschichte
Zu Beginn seiner Karriere beschäftigt sich Anselm Kiefer mit der farbenfrohen Pop-Art und der reduktionistischen Minimal Art. Berühmt machten ihn aber erst "die Ablagerungen der Geschichte", wie er sie nennt, in seinen großen, düsteren Bildformaten. Das US-amerikanische "Time Magazine" feiert ihn Anfang der 1980er Jahre als "den besten Künstler seiner Generation auf beiden Seiten des Atlantiks".
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Lebenslang Nachkriegskünstler
Bilder aus seiner Kindheit im Nachkriegsdeutschland beschäftigen Anselm Kiefer bis heute. Waffen, Stahlhelme, Panzer und Kriegsgräber sind häufig von ihm verwendete Motive - oder dieser Kampfbomber, in Bleiplatten gehüllt, in einer Ausstellung im Hamburger Bahnhof Berlin (1996). Kiefer sammelt und hortet solche realen Kriegsgegenstände auf seinem riesigen Atelierareal in einem Vorort von Paris.
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Hang zum Beton
Grau, aschgrau, betongrau: Die trostlose Farbe deutscher Bunkeranlagen in Nazideutschland verwendet Kiefer sein Leben lang als Grundton für viele Arbeiten. Beton taucht auch als Werkstoff für monumentale Skulpturen auf, wie hier in einer Ausstellung der Bundeskunsthalle in Bonn (2012). Manchmal mischt der Meister auch Metallsplitter, Lehm und Stroh in die Oberfläche seiner Kunstobjekte.
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Monumentales Atelier
In den 1990er Jahren versucht Kiefer, im Odenwald den Kunstpark "Zweistromland" aufzubauen - mit riesigen Ateliers, Ausstellungshallen und Skulpturenpark. Aber er scheitert an der deutschen Kulturpolitik und zieht 1992 enttäuscht nach Frankreich. Kulturminister Jaques Lang bietet ihm ein attraktives Grundstück an. Kiefer bezieht ein großes Atelier in einer ehemaligen Seidenfabrik in Südfrankreich.
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Schaffenskrise
Nachdem Anselm Kiefer in sein neues Künstlerdomizil nach Frankreich übergesiedelt ist, verordnet sich der inzwischen weltberühmte Künstler eine dreijährige Malpause. Er reist viel, widmet sich dem Schreiben und Fotografieren und beschäftigte sich intensiv mit der Bilderwelt Ägyptens und Mesopotamiens. Neue Motive tauchen auf, wie hier in einer Ausstellung im Guggenheim-Museum in Bilbao.
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Neue Farbigkeit
Die poetische Sinnlichkeit der Materialien teilt Anselm Kiefer mit seinem Lehrmeister Joseph Beuys. Farbiger Lehm aus südfranzösischen Steinbrüchen, Ziegelbruchstücke und Holz lösen die bedrohliche Düsternis der frühen Bilder ab. Naturmotive, Pflanzen, der Wald, in dem er sich als Kind oft versteckt hat: Kiefer erschafft neue Bildwelten, die ganz andere Facetten seiner Kunst zeigen.
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Ausflug in die Welt der Oper
Der "Mythomane", wie ein Kunstkritiker Anselm Kiefer mal bezeichnet hat, beschäftigt sich auch in anderen Kunstformen mit den existenziellen Fragen des Lebens: 2003 unternimmt er einen Ausflug in die Welt der Oper. Im Teatro San Carlo in Neapel entwirft der Künstlerstar Bühnenbild und Kostüme für die Operninszenierung der "Elektra". 2009 führt er sogar Regie an der Pariser Opéra Bastille.
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Raumgreifende Kunst
Kiefers Arbeiten finden bald nur noch in Museen und riesigen Hallen ausreichend Platz. Sein Hang zum Monumentalen ist sein Markenzeichen auf dem internationalen Kunstmarkt. In den letzten Jahren tauchen auch wieder Motive aus der Nachkriegszeit in seinen Arbeiten auf. Hier die Installation "Morgenthau Plan", 2012 ausgestellt in der Gagosian Gallery für moderne Kunst in Le Bourget bei Paris.
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Der Fall China
Kiefers Arbeiten sind weltweit gefragt, auch in China. Ärger gab es, als 2018 erstmals Werke von Kiefer in einem chinesischen Museum ohne Wissen des Künstlers gezeigt wurden. Ein regelrechter China-Krimi folgte: Fast 250 Werke deutscher Künstler, darunter auch von Anselm Kiefer, waren in China verschollen. Sechs bekannte Werke wurden im Januar 2020 zwar gefunden, aber nicht zurückgegeben.
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Vielfach preisgekrönt
Anselm Kiefer wurde vielfach mit renommierten Kunstpreisen ausgezeichnet, darunter 1997 der Internationale Preis der Jury der 47. Kunst-Biennale Venedig, wo er die Bundesrepublik Deutschland vertrat, 1999 der Praemium Imperiale für sein Lebenswerk, 2008 der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels und 2011 kam die Leo-Baeck-Medaille für deutsch-jüdische Aussöhnung hinzu.
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Preis für Verständigung und Toleranz
Weil er sich auch mit der jüdischen Mythologie auseinandergesetzt hat, wurde Anselm Kiefer zusammen mit Außenminister Heiko Maas im November 2019 vom Jüdischen Museums in Berlin geehrt. Auf diese Weise habe er die jüdische Kultur als festen Bestandteil der deutschen Gesellschaft ins kollektive Gedächtnis zurückgeholt, so die Jury.
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Von Mythen und Schriften
In den letzten Jahren hat sich Anselm Kiefer viel mit mythologischen Themen befasst. Um nordische Schicksalsschwestern und germanische Schriftzeichen ging es in einer seiner letzten Ausstellungen in London. Hier sein Bild "The Veneziano Amplitude".
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Glückwünsche vom Bundespräsidenten
Frank Walter Steinmeier gratulierte Anselm Kiefer bereits schriftlich zu seinem Geburtstag. Kiefers Werke nähmen in der Kunstlandschaft einen singulären und auch unübersehbaren Platz ein, schrieb Steinmeier. Kiefer stelle sich den großen Themen der Geschichte wie etwa die Stellung des Menschen im Kosmos und in der Schöpfung.
(Dies ist eine erweiterte Fassung einer früheren Bildergalerie.)
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Seine Karriere begann er mit einer Irritation. Im Jahr 1969 reiste der 24-jährige Kunststudent durch Europa und machte Fotos. Darauf zu sehen: Anselm Kiefer, der den Arm zum Hitlergruß erhob. So posierte er in einer Badewanne in seinem Atelier, vor dem Kolosseum in Rom, vor einer Meeresbrandung in Spanien, vor einem Reiterdenkmal in Montpellier, auf dem Vesuv in Italien oder vor den Ruinen Pompejis. Über diese legendäre Fotoserie "Besetzungen", die er später in dem Kunstmagazin "Interfunktionen" veröffentlichte, schrieb er: "Zwischen Sommer und Herbst 1969 habe ich die Schweiz, Frankreich und Italien besetzt."
Anselm Kiefer besetzte Europa mit seiner Kunst
In diesen Aufnahmen inszeniert sich der junge Mann mit schütterem Haar und Nickelbrille in einer Fantasieuniform mit Reiterstiefeln. Hitlers Geste der Eroberung lächerlich zu machen, war 1969 noch ein Novum. Anselm Kiefer handelte sich prompt den Vorwurf ein, "Post-Faschist" zu sein.
Anselm Kiefer ist Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels und einer der gefragtesten Künstler der Welt. Er stellt in den bedeutendsten Museen zwischen Deutschland und Japan aus. Und er ist der Repräsentant einer Generation, die sich schon früh kritisch mit Nazi-Deutschland und der eigenen Herkunft auseinandersetzte. Er ist unbequem als Künstler. Einer, der tief bohrt - so tief, bis es wehtut.
Kiefer und die Nazi-Zeit
Kiefer, der am 8. März 1945, zwei Monate vor der offiziellen Kapitulation Deutschlands, im schwäbischen Donaueschingen zur Welt kam, trug immer schwer an der Last des Krieges. Als er nach seinem Studium an der Kunsthochschule in Karlsruhe und an der Kunstakademie Düsseldorf bei Joseph Beuys damit anfing, Kunstwerke der Öffentlichkeit zu präsentieren, ging es ihm auch darum, eine persönliche Schuldfrage zu klären: seine eigenen Verstrickungen in den Nationalsozialismus. Kiefer wollte für sich selbst herausfinden, welche Spuren die Nazi-Zeit bei ihm hinterlassen hatte. Vergangenheitsbewältigung, die germanische sowie antike Mythologie und später auch die jüdische Mystik sind bis heute seine Leitthemen. Seine Gemälde - meist große Formate - verwandelt er mit Feuer und Stroh in Landschaften der Verwüstung - Anspielungen auf die deutsche Geschichte.
Vergangenheitsbewältigung
Der Künstler ist vielleicht der erste seiner Generation, der die Nazivergangenheit in der Kunst so explizit zum Thema machte. Es ist sein persönliches Anliegen herauszufinden, was passiert ist. In den Schulen handele man das Thema in einem Halbjahr ab - das reiche nicht, hat Kiefer einmal in einem Interview gesagt. Er will wissen, wie er sich selbst verhalten hätte. In den 1970er Jahren schuf er eine Serie heroischer Sinnbilder: Landschaftsbilder aus verbrannter Erde oder verkohlten Büchern, die an die Schrecken und Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs erinnern sollten. In seinen Zeichnungen beruft er sich auf Mythen oder die jüdische Kabbala.
Destruktive Energie und heilende Kraft
Mit seiner Kunst stemmt sich Kiefer den Einflüssen des Abstrakten Expressionismus genauso entgegen wie denen der Pop Art oder des Minimalismus. Stattdessen entwickelte er früh eine eigene Bildsprache, die stark von seinem Lehrer Joseph Beuys beeinflusst war. Anders als Beuys, der auf die Kraft von Fett und Filz setzte, verwendet Anselm Kiefer Blei, Erde und archaische Materialien. Die Schwere dieser Materialien verleiht seinen Werken eine Aura von Melancholie und Destruktivität. Andererseits glaubt Kiefer an die heilende Kraft der Kunst. Wie ein Alchemist bringt er in seinen Vitrinen - die er auch immer in seinen zahlreichen Ausstellungen präsentiert - Steine, Metalle oder Pflanzen zusammen. Gesellschaftliches Engagement, wie es sein Lehrer Joseph Beuys für die Partei der Grünen zeigte, lehnt Kiefer allerdings ab.
Erfolg zunächst in den USA
Anselm Kiefers Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Doch gefeiert wurde der Künstler zunächst in den USA. Im Deutschland der 1970er Jahre war die Zeit für eine Konfrontation mit der Vergangenheit offensichtlich noch nicht reif. Lieber die Augen verschließen, anstatt das Verdrängte aufzuarbeiten, lautete das Diktum auch in der Kunst. 1980 vertrat Kiefer die Bundesrepublik dann aber im Deutschen Pavillon der Biennale von Venedig. Dreimal wurde er ab 1982 auf die Weltkunstschau Documenta in Kassel eingeladen.
Der Kölner Galerist Michael Werner entdeckte ihn schon in den 1970er Jahren für sich und unterstützte seine Karriere auf dem Kunstmarkt. Anselm Kiefer lebte in dieser Zeit lieber weitab vom Trubel des Betriebs. Er zog sich 1971 zum Arbeiten und Leben in den Odenwald zurück, seit 1993 lebt er in Südfrankreich. Das Herrenhaus in Barjac in Languedoc-Roussillon ist umgeben von einem 35 Hektar großen Anwesen, auf dem 51 Häuser stehen - dort bringt Kiefer seine Bilder und Skulpturen unter.
Franzosen verehrten Kiefer
Die Franzosen verehren den Deutschen, auch weil er sich in ihrem Land niedergelassen hat. Immer wieder schaffen sie Platz in ihren Museen, um seine großformatigen Installationen und Gemälde zu präsentieren. 2015 richtete ihm das Centre Pompidou eine derart umfangreiche Retrospektive seines Werks aus, wie es sie seit 30 Jahren nicht mehr gegeben hatte. In einer Ansprache anlässlich der Vorstellung seiner Werkserie "Europa" sagte er, er sei im Ausland besser angesehen als im Inland. Aber auch wenn ihm Kritiker vorwerfen, er sei zu monumental und mythologisch zu überfrachtet, so ist Kiefer ein Künstler, der mitgeholfen hat, Deutschland in der Nachkriegszeit wieder auf der internationalen Landkarte zu verorten.
Das sieht auch Bundespräsident Walter Steinmeier so, der Anselm Kiefer zum 75. Geburtstag einen Brief schrieb: Seine Werke nähmen "ohne Übertreibung einen singulären Platz" in der Kunst der Gegenwart ein, lobte Steinmeier den Künstler.