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Künstler des Monats: Krystian Zimerman

6. Mai 2004

Lange musste die Musikwelt auf eine neue CD von Krystian Zimerman warten. Vier Jahre nach der Neueinspielung der beiden Chopin-Konzerte veröffentlicht er nun das erste und zweite Konzert von Rachmaninoff.

Krystian ZimermanBild: Kasskara/Deutsche Grammophon

Krystian Zimerman wurde am 5. Dez. 1956 als Sohn eines Pianisten in Zabrze bei Katowice geboren. Unter der Anleitung seines Vaters begann er bereits mit fünf Jahren mit dem Klavierspiel. Mit sieben Jahren wurde er Schüler von Andrzeij Jasinski, der ihn heute noch pianistisch betreut. Zimerman besuchte außerdem die Musikklasse der Mittelschule in Katowice und absolvierte später die Musikhochschule in Warschau. Nach verschiedenen früheren öffentlichen Auftritten und erfolgreicher Beteiligung an Klavier-Wettspielen, machte er beim Prager Beethoven-Wettbewerb 1975 bereits international auf sich aufmerksam. Den eigentlichen Durchbruch schaffte er jedoch im Oktober des gleichen Jahres beim 9. Internationalen Frédéric-Chopin-Wettbewerb in Warschau, als ihm die internationale Jury spontan den ersten Preis zuerkannte - nach zwanzig Jahren erstmals wieder einem Polen. Zimerman, der als jüngster von 118 Teilnehmern aus 30 Ländern zu dem Wettbewerb angetreten war, erhielt außerdem von der Chopin-Gesellschaft und vom Polnischen Rundfunk je einen Sonderpreis für die beste Polonaisen- bzw. Mazurka-Interpretation.

Der als äußerst skrupulös bekannte Pianist gibt seit 1989 Konzerte ausschließlich auf seinen eigenen Flügeln.

Krystian Zimerman:

Manchmal ist es nicht mein eigener im physischen Sinne: Es sind Flügel, die für die jeweilige Tournee gemietet werden. Die passe ich vor der Tour an oder baue sogar meine eigene Klaviatur ein. Ich habe die Jahre zwischen 1975 und ’89 sehr gelitten. Ich habe meinem Publikum immer nur 60 Prozent der Interpretation abliefern können. Manchmal auch weniger. Eine Klaviatur einzubauen ist eine Sache von mehreren Tagen. Das kann man für ein einzelnes Konzert gar nicht machen. In den USA habe ich mir jetzt übrigens auch einen Flügel ausgesucht, in den ich eine Klaviatur aus Europa einsetze. Nach dem 11. September hat sich dort eine derartige Panik ausgeprägt, dass ich es nicht mehr riskieren möchte, einen Flügel über den Atlantik zu schicken.Mein Publikum ist mir das wert. Ich muss nicht sagen, dass es ein sechsstelliger Betrag ist, den ich im Jahr dafür aufbringen muss. Das begrenzt dann auch die Zahl der Konzerte.

(Interviewauszüge aus Fono Forum, 5/2004)

Durch den Warschauer Erfolg als Chopinspezialist ausgewiesen, schaffte sich Zimerman in der Folge auch als Interpret des klassischen Repertoires Respekt und Anerkennung - Bach, Beethoven, Mozart - zumal Chopin, wie er sagt, nicht Kern seiner Ausbildung war.

Zimerman, der längst zu den wichtigsten und interessantesten Pianisten des der Gegenwart gezählt wird, hat sich dabei nie dem oberflächlichen Karrierismus hingegeben, sich den gnadenlosen Vermarktungsgesetzen seiner Branche immer ein Stück weit verweigert, indem er wesentlich weniger Konzerte als seine Kollegen gibt und laufend längere Auftrittspausen zur Erweiterung und Vertiefung seines Repertoires einlegt.

Kritiker schreiben nach dem ersten Anhören, dass Zimerman das zweite Klavierkonzert von Sergei Rachmaninow ganz anders spielt als Rachmaninoff selbst, von dessen pianistischer und intepretatorischer Kunst ja viele historische Aufnahmen Zeugnis ablegen.

Krystian Zimerman:

Es ist nicht so, dass ich unbedingt ganz anders spielen wollte. Ich habe mich schon darum bemüht, Gewinn daraus zu schöpfen, dass man den Komponisten mit dem Stück noch hören kann. Ich habe mir auch in Philadelphia die Partitur des zweiten Konzerts mit seinen Bleistifteintragungen angesehen. Aber am Ende steht die Glaubwürdigkeit des Künstlers! Er spielt aus seiner eigenen Seele. Als ich einmal Strauss’ "Heldenleben" mit Karajan gehört habe, war ich total schockiert. Denn ich hatte das Gefühl, dass er das Werk gerade schreiben würde. Genauso erging es mir mit Bernstein. Er hat jedes Werk im Konzert praktisch neu komponiert. Das gehört zu unserem Beruf dazu. Wir spielen nicht! Ich unterbreche sehr oft meine Studenten und sage: "Du spielst Klavier! Ich möchte nicht, dass Pianisten bloß Klavier spielen. Benutze den Flügel, um das Werk und dich selbst auszudrücken, um das Publikum mit diesem Stück zu berühren. Aber bitte spiele nicht Klavier!"

Er erweist sich als äußerst kompromißlos, was den Klang und die sehr eigene Ausdeutung der von ihm gespielten Stücke, auch bei CD-Einspielungen, anbelangt. Das Thema spielt inzwischen auch bei seinen Unterrichtsstunden mit Studenten eine wichtige Rolle.

Krystian Zimerman:

Die erste Aufnahme überwache ich selbst. Das heißt, wir wählen gemeinsam die Mikrofone aus, wählen die Elektronik, lernen zu schneiden und das System zu begreifen. Ein Jahr später muss der Student alles selbst machen: Er bereitet den Flügel vor, die Mikrofone, bestellt den Stimmer und den Tonmeister für den Schnitt. Ich mache nichts, bis er mir die CD auf meinen Tisch legt. Wieder ein Jahr später gibt es die dritte Aufnahme, bei der man von den Erfahrungen und Analysen der ersten beiden profitiert. Man arbeitet sich also auf dem Stapel der Platten immer höher. Und wenn der Student das Gefühl hat, er sei ganz oben angelangt, bietet er das einer Firma an. Dann machen wir die Aufnahme wirklich sauber zu Ende.

Die geringe Zahl an Aufnahmen in den letzten Jahren, darunter verschiedene Chopin-Balladen (1990) und Préludes von Debussy (1994), zeugen von Zimermans Selbstkritik gegenüber den Ergebnissen seiner künstlerischen Arbeit.

Bestes Beispiel hierfür: Die jüngeste CD-Veröffentlichung von Rachmaninoffs Konzerten Nummer eins und zwei mit dem Boston Symphony Orchestra und Seiji Ozawa, die 1997 und 2000 aufgezeichnet wurden. Warum erscheinen die Aufnahmen erst jetzt?

Krystian Zimerman: "Ich hatte zu wenig Zeit für den Schnitt und die Freigabe. Wir haben zwischenzeitlich auch Brahms’ d-Moll-Konzert mit Rattle und den Berliner Philharmonikern neu aufgenommen, außerdem noch Bartóks erstes Klavierkonzert mit Chicago Symphony und Pierre Boulez. Und ich finde oft nicht die Zeit zum Editieren. So gibt es noch weitere Aufnahmen, beispielsweise mit Werken von Karol Szymanowski von 1991 oder den letzten Schubert-Sonaten aus der Mitte der 1990er Jahre, die noch ungeschnitten sind.

Wechselbad der Gefühle

Eine Einschätzung von Gregor Willmes, Chefredakteur Fono Forum

Krystian Zimerman ist bekannt dafür, dass er an sich und seine Arbeit stets die höchsten Ansprüche stellt. Daher ist auch sein "Output" an Aufnahmen nicht sehr hoch. Was der polnische Pianist jedoch freigibt, hat in der Regel Hand und Fuß.

Das belegen auch diese beiden Aufnahmen von 1997 und 2000 mit den ersten beiden Rachmaninoff-Konzerten. Das Erste habe ich noch nie so eindrücklich erlebt wie hier und das Zweite nicht mehr seit der Richter-Aufnahme von 1959 (DG).

In einem Begleittext zu den Aufnahmen bezeichnet Zimerman Rachmaninoffs eigene Einspielung des ersten Konzertes als "absolut genial". Seine eigene Version ist allerdings keinen Deut schlechter. Wie ein Wilder stürzt er sich in den rauschenden Klaviereinsatz. Mitreißende Virtuosität wechselt anschließend mit wunderbarer musikalischer Lyrik. Und im pianistischen Feuerwerk der Ecksätze lässt Zimerman im direkten Vergleich bedeutend jüngere Kollegen – etwa den hervorragenden Techniker Nikolai Lugansky – recht alt aussehen.

Beim zweiten Konzert versteht sich Zimerman im ersten Satz als Primus inter Pares. Das Tempo ist zu Beginn – im Vergleich mit Rachmaninoff, Rubinstein und Richter – betont langsam. Aber Zimerman und Ozawa handhaben es sehr frei. So wechseln gewaltige Accellerandi mit großen Ritardandi. Der Orchesterklang ist dicht, dunkel, gewichtig, wirkt sehr kompakt. Andererseits ist das Orchester an den ersten Pulten exquisit besetzt, was man besonders bei den vielen Soli der Holzbläser zu schätzen weiß. Den Klavierpart hat Zimerman bis ins letzte Detail ausgearbeitet. Betörend schön sein Klang. Alles wirkt prägnant – und mit höchster emotionaler Dringlichkeit vorgetragen. Den langsamen Satz zelebriert er dabei als unendlichen Gesang. Auch die vielen Tempowechsel im Finale wirken organisch. Da fällt es kaum noch ins Gewicht, dass mir hier der Flügel aufnahmetechnisch etwas zu weit nach vorn gezogen zu sein scheint.

Biographie

1956 Geboren am 5. Dezember in Zabrze, Polen. Der Fünfjährige erhält den ersten Klavierunterricht vom Vater.

1963-77 Er wird Schüler von Andrzej Jasinski, bei dem er später auch am Konservatorium von Katowice studiert.

1975 Er gewinnt als jüngster von 118 Teilnehmern den ersten Preis beim Internationalen Chopin-Wettbewerb in Warschau.

1976 Arthur Rubinstein lädt ihn nach Paris ein. Er unterschreibt einen Exklusivvertrag mit der Deutschen Grammophon. Zimerman debütiert in den folgenden Jahren in zahlreichen europäischen Städten, in Deutschland u. a. in Stuttgart, München und Berlin.

1978 Er spielt mit dem Los Angeles Philharmonic und Carlo Maria Giulini die beiden Chopin-Konzerte. Erste Japan-Tournee.

1988 Er bringt in Salzburg das ihm gewidmete Klavierkonzert von Witold Lutoslawski zur Uraufführung.

1996-2004 Er lehrt an der Musikhochschule in Basel.

1999 Aus Anlass von Chopins 150. Todestag gründet er das Polnische Festival-Orchester, mit dem er die beiden Chopin-Konzerte aufnimmt und auch auf einer Tour in Europa und Amerika spielt.

Die CD

Rachmaninoff, Klavierkonzerte Nr. 1 und 2; Krystian Zimerman (Klavier), Boston Symphony Orchestra, Seiji Ozawa (1997/2000)

DG/Universal CD 459 643-2 (62‘)