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Künstler nach der Flucht: Antonio Skármeta

Susanne Spröer
18. Dezember 2017

Auch der Autor des Welt-Bestsellers "Mit brennender Geduld" war Flüchtling. Nach dem Militärputsch 1973 von General Pinochet gegen Präsident Allende in Chile emigrierte er nach West-Berlin.

Schriftsteller Antonio Skármeta
Bild: DW/Walter Ramirez

Im Hintergrund leuchten die Neon-Reklamen des nächtlichen Berlin, als sich der schnauzbärtige, verschmitzt lächelnde Mittdreißiger einem deutschen Fernsehpublikum vorstellt: "Mein Name ist Antonio Skármeta. Ich bin Schriftsteller. Ich habe Chile im Jahre 1973 verlassen, weil ein Putsch gegen den demokratischen Präsidenten Salvador Allende stattgefunden hat. Seitdem herrscht in meinem Land eine militärische Diktatur."

Seit acht Jahren lebt Antonio Skármeta da schon in West-Berlin, zusammen mit seiner Frau und den beiden Söhnen, die den größten Teil ihres Lebens hier verbracht haben und nun 13 und 15 Jahre alt sind. Ihr neues Zuhause ist das West-Berliner Viertel Charlottenburg, in den 80er Jahren ein Treffpunkt der chilenischen Community.

Der junge Antonio Skármeta im Film "Wenn wir zusammen lebten“, 1983Bild: WDR

In seinem Fernsehfilm "Wenn wir zusammen lebten", erzählt Skármeta dem deutschen TV-Publikum 1983 vom Alltag, den Träumen und Sehnsüchten der Exilchilenen: Von den Schwierigkeiten, Wohnung und Arbeit zu finden, aber auch davon, wie im Park mit chilenischer Musik und Empanadas gemeinsam gefeiert wird – fröhliche Feste, aber voller Nostalgie nach der fernen Heimat. Rund 5000 Chilenen sind wie Skármeta nach dem Militärputsch in die Bundesrepublik Deutschland geflüchtet, mehrere Tausend auch in die damals noch existierende DDR.

Aus Antofagasta in die Hauptstadt Santiago 

Geboren wird Antonio Skármeta am 7. November 1940 in Antofagasta, einer Stadt im warmen Norden Chiles, genannt die "Perle des Pazifiks". Nach der Grundschule besucht er das "Instituto Nacional“ in der Hauptstadt Santiago, eine der berühmtesten Jungenschulen des Landes. Eine Schule fürs Leben: "Diese Schule hat mich Demokratie gelehrt", erzählt Skármeta im DW-Interview  bei den Dreharbeiten für das Special "Nach der Flucht". "Denn hierher kamen Schüler aus allen möglichen Schichten: aus Armenvierteln, der Mittelklasse und auch aus reichen Gegenden. Das hat mich gelehrt, mit Menschen unterschiedlichster Hintergründe klar zu kommen."  

Dreharbeiten für "Nach der Flucht": Antonio Skármeta (Mitte) zu Besuch in seiner alten Schule in Santiago de ChileBild: DW/S. Spröer

Nach dem Abschluss studiert Antonio Skármeta in Santiago Philosophie. Mitte der 60er Jahre bekommt er eines der renommierten Fulbright-Stipendien und zieht  mit seiner Frau, der Künstlerin Cecilia Boisier, in die USA. Das Paar bekommt zwei Söhne. Er veröffentlicht erste Erzählungen.

Eine Erfolgsgeschichte für den jungen Mann, dessen Eltern Einwanderer aus Europa waren: Sie hatten am Vorabend des Ersten Weltkriegs ihre Heimat auf der kleinen kroatischen Insel Brač verlassen – eine Welt, wie sie Antonio Skármeta in seinem Roman "Die Hochzeit des Dichters" lebendig beschreibt. 

 "Regen über Santiago": Chiles 11. September 1973

Die Sonne scheint, als am 11. September 1973 im Radio "Regen über Santiago" gemeldet wird. Antonio Skármeta sitzt da gerade in seinem Arbeitszimmer in der "Universidad de Chile", wo er mittlerweile als Dozent arbeitet. Er ist alarmiert: Denn "Regen über Santiago" ist das Codewort für einen Militärputsch, den die Demokraten schon eine Weile befürchten. Es wäre nicht der erste: Schon im Juni hatten die Militärs gegen den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende geputscht, erfolglos. Diesmal ist es anders. Soldaten besetzen das Parlament, bombardieren den Radiosender, der das Codewort gesendet hat. Noch am selben Tag nimmt sich Präsident Allende im Regierungspalast "La Moneda" das Leben.

Sportstätten werden Konzentrationslager

In den nächsten Tagen werden Tausende Chilenen verhaftet. Manche werden vollkommen willkürlich von der Straße geholt – weil sie lange Haare haben oder wie Hippies gekleidet sind.Auch Walter Ramirez, ein Kameramann der Dokumentation "Nach der Flucht" wird im "Estadio Nacional", dem größten Fußballstadion Santiagos, interniert. Viele Schulen und Sportstätten werden zu Konzentrationslagern von General Augusto Pinochet, dem Mann hinter dem Putsch, der Chile bis 1990 als Diktator regieren wird. Über 2000 Menschen sterben, mehr als 35.000 werden Opfer von Gefangenschaft und Folter, über tausend sind bis heute verschwunden.

Flucht ins Exil

Als engagierter Unterstützer von Präsident Allende ist auch Antonio Skármeta in Gefahr. Ein deutscher Freund, der Regisseur Peter Lilienthal, rät ihm, das Land so schnell wie möglich zu verlassen. Nach ein paar Monaten in Argentinien kommt er 1974 mit einem Stipendium des DAAD, des Deutschen Akademischen Austausch-Dienstes, nach Berlin  und holt seine Familie nach. "Ich habe das Land freiwillig verlassen", sagt Skármeta, "ich bin nicht gefoltert worden, ich habe nur meinen Job verloren. Und das war ja wenig im Vergleich zu dem, was anderen widerfahren ist".

Was macht ein Schriftsteller ohne seine Sprache?

Deutsch spricht Antonio Skármeta kaum, als er in Berlin ankommt. Seine beiden Söhne, bei der Ankunft in Europa sieben und fünf Jahre alt, saugen die neue Sprache schnell auf: "In Gesprächen hat der Ältere für mich übersetzt", erzählt Antonio Skármeta. "Wenn die Leute am Telefon sehr schnell sprachen, da reichte ich den Hörer an meinen Sohn weiter und er antwortete für mich."

In einer kleinen Umkleidekabine müssen sich hundert Gefangene zwei Toiletten teilenBild: DW/S. Spröer

Doch Skármeta ist Schriftsteller. Mit dem Exil hat er seine Sprache und seine Leser verloren: "Ich merkte, dass es keinen Sinn ergab, weiter so zu kommunizieren wie mit den chilenischen Lesern, mit all den Anspielungen auf chilenische Fußballer oder Filmstars, mit Bezügen zu den Straßen und Vierteln chilenischer Städte – auf das, was ich mit den Chilenen gemeinsam hatte." 

Menschen im Exil: ein Lebensthema von Antonio Skármeta

1978 erscheint sein Roman "No pasó nada" – "Nixpassiert", in dem er die Geschichte eines chilenischen Jungen erzählt, der mit seiner Familie nach Berlin geflüchtet ist- ein jugendliches Alter Ego des Schriftstellers. Das Buch wird ein Erfolg, der deutsche Sender ZDF verfilmt die Geschichte. Das Thema Exil wird eines von Antonio Skármetas Lebensthemen. Im Berliner Exil schreibt Antonio Skármeta auch sein berühmtestes Werk, den gleich zweifach verfilmten Roman "Mit brennender Geduld": die Geschichte eines Postboten, der dem chilenischen Nationaldichter und Nobelpreisträger Pablo Neruda die Post bringt und vom ihm lernt, wie er seine Angebetete mit Gedichten verzaubert. 
In Chile war Antonio Skármeta mit Pablo Neruda befreundet, beide hatten den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende unterstützt. Neruda starb zwölf Tage nach dem Putsch im September 1973, angeblich an einer Krebserkrankung. Doch vor kurzem hat eine internationale Untersuchungskommission herausgefunden, dass das nicht stimmen kann. Wurde Neruda vergiftet,​​​​​​ wie seine Familie glaubt? Eine der vielen offenen Fragen, die aus der Zeit der Diktatur geblieben sind.

Bild: Piper Verlag

Pinochet wird abgewählt – das Ende der Diktatur in Chile

1988 wird Augusto Pinochet in einer spektakulären Volksabstimmung abgewählt – der Film "NO", der auf einem Theaterstück Antonio Skármetas basiert, erzählt, wie eine fröhliche Werbekampagne den Diktator Augusto Pinochet entmachtet. 1989 gibt es die ersten freien Wahlen nach der Diktatur und Antonio Skármeta kehrt nach 16 Jahren des Exils in seine Heimat zurück.Von 2000 bis 2003 kommt er noch einmal nach Berlin, diesmal als Botschafter der Republik Chile. 

Antonio Skármeta zurück in Berlin: als chilenischer Botschafter von 2000 bis 2003Bild: picture-alliance/dpa

Eine Familie in zwei Welten

Heute lebt Antonio Skármeta wieder in Santiago de Chile, mit seiner zweiten Frau Nora Preperski, die er in Deutschland kennen gelernt hat, und dem jüngsten Sohn. Die beiden älteren Söhne sind in Deutschland geblieben. Flucht und Exil haben seine Familie in weit entfernte Welten versprengt – Europa und Südamerika. Ist es nicht schwer, wenn man mit Kindern und Enkeln nur selten zusammen sein kann? "Überhaupt nicht", findet Antonio Skármeta. "Schwer war es, in einer Diktatur zu leben, wie früher in Chile. Wenn man in einem demokratischen Land lebt und weiß, dass auch die Kinder in einer Demokratie leben, kann man sehr beruhigt sein."   

 

Sie möchten hören, wie Antonio Skármeta über die Zerrissenheit zwischen zwei Welten als Flüchtling spricht?Entdecken Sie unser multimediales Online-Special "Nach der Flucht"!

 

Hier finden Sie die TV-Dokumentation "Nach der Flucht" bei YouTube.

 

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