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Parfüms von Künstlicher Intelligenz kreiert

Brigitte Osterath
1. Juni 2019

Nasen sind offensichtlich überbewertet: Im Juni kommt in Brasilien erstmals ein Parfüm auf den Markt, das ein Computersystem zusammenstellte. Es kombinierte Zutaten in einer Art, an die ein Mensch nicht gedacht hatte.

Künstliche Intelligenz Philyra
Bild: IBM Research

Die Künstliche Intelligenz heißt 'Philyra' – und in einem sind sich ihre Entwickler und ihre Anwender einig: Sie ist weiblich. "Ich hab viel Zeit mit ihr verbracht und sehe sie als eine 'sie' an, das macht es einfacher", versichert Parfümier David Apel scherzhaft. 

Aber natürlich hat eine Künstliche Intelligenz weder ein Bewusstsein noch ein Geschlecht. Sie ist nur ein Computersystem, ein Netzwerk aus künstlichen Neuronen, erschaffen, um große Datenmengen zu speichern, zu verarbeiten und neu zu kombinieren. Auch riechen oder Duftstoffe in der Luft analysieren kann sie nicht. Trotzdem ist sie die neue Mitarbeiterin beim Duftstoffhersteller Symrise in New York.

"Ich habe sie trainiert und jetzt trainiert sie mich", sagt Apel, seit 39 Jahren Parfümier. Die Künstliche Intelligenz entstand in einer Kooperation zwischen Symrise und IBM Research.

Zum Dia dos Namorados, dem brasilianischen Valentinstag am 12. Juni, kommt Philyras erste Kreation auf den Markt. Das Parfüm richtet sich an Millennials, also Menschen, die in den 1980er oder 1990er Jahren geboren sind. 

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Parfümer David Apel hat keine Angst, dass künstliche Intelligenz ihn einmal arbeitslos macht. Bild: IBM Research

Die Bibliothek der Düfte

Ein Parfüm zusammenzustellen, funktioniert so ähnlich wie das Kochen eines Gerichts. Etwa 1300 Ausgangsstoffe, auch Duftbausteine genannt, stehen einem Parfümier laut Apel zur Verfügung.

Das sind teils synthetische Duftstoffe, teils Extrakte zum Beispiel aus Blüten, Früchten, Moosen und Gewürzen. Ein Parfümier kombiniert mehrere Inhaltsstoffe miteinander und passt die Formel so lange an, bis ein neuer und gefälliger Duft herauskommt. 

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Die Künstliche Intelligenz Philyra basiert ihr Wissen auf eine Datenbank, welche die Zusammensetzung von knapp 1,7 Millionen Parfüms umfasst.

Sie weiß zudem, in welchem Land, bei welcher Altersgruppe und bei welchem Geschlecht sich ein Duft besonders gut verkauft hat. "Zwischen all diesen Kreationen findet sie Leerraum – Möglichkeiten, die bisher niemand ausgeschöpft hat", erklärt Apel.

Auf Knopfdruck spuckt das Computersystem neue Parfümformeln für eine bestimmte Zielgruppe aus. Ein Parfümier wie Apel kann diese Formeln danach weiter verfeinern.

Angst, dass Philyra ihn arbeitslos macht, hat Apel nicht. Er sieht es eher als eine Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine an. "Ich bekomme die Möglichkeit, Parfümformeln zu sehen, auf die ich selbst nie gekommen wäre”, sagt Apel. Denn Wissen und Erfahrung schränke oft ein: "Ich tendiere dazu, bestimmte Inhaltsstoffe zu bevorzugen und eine ganz bestimmte Art von Duft machen zu wollen."

Philyra geht unvoreingenommener ans Werk. "Sie ist universell", erklärt Achim Daub, Vorstand für Scent & Care bei Symrise. "Dave hingegen ist Amerikaner, männlich, weiß, hat in Frankreich gelebt, wohnt jetzt in New York - und kulturelle Vorlieben stören eben oft."

Auf den Geruchssinn komme es im Parfümgeschäft zudem gar nicht an, fügt Daub hinzu. "Der Parfümier, der mich damals anlernte, sagte mir: 'Ich weiß, wie ein Parfüm riecht, wenn ich die Zusammensetzung kenne.' Genau das macht Philyra auch." 

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Mensch gegen Maschine

"Ohne maschinelles Lernen wäre so etwas nicht möglich", sagt Katharina Morik, Professorin am Lehrstuhl für Künstliche Intelligenz der TU Dortmund. Bis vor einigen Jahren waren Computer nur so schlau wie das Wissen, mit dem man sie fütterte.

Ein Mensch musste sie programmieren, Regeln für sie aufstellen, ihnen im Grunde sagen, was sie zu tun hatten. Mit dem maschinellen Lernen, speziell dem Deep Learning kann ein Computersystem jetzt plötzlich selbst Wissen aus Erfahrung generieren, erkennt in Beispielen Gesetzmäßigkeiten und verallgemeinert diese Beispiele.

Basierend auf ihrer Datenbank hat Philyra dank maschinellen Lernens herausgefunden, wie sich die vielen Inhaltsstoffe von Parfüms miteinander kombinieren lassen, sagt Joana Maria, Wissenschaftlerin bei IBM Research und an Philyras Entwicklung beteiligt. "Sie hat gelernt, was sich gut mit was verträgt, welcher Stoff sich durch welchen ersetzen lässt und welche Kombinationen besser in den USA oder in Asien ankommen."

Die Kosmetikfirma O Boticário hatte bei Symrise drei verschiedene Versionen des Parfüms zum Tag der Verliebten in Auftrag gegeben: eine Version, die komplett von der KI kreiert war, eine zweite, bei der der Parfümier geringe Anpassungen vorgenommen hatte, und eine dritte, bei der der Vorschlag der KI nur als Anregung diente; ein Parfümier kreierte darauf aufbauend seine eigene Formel.

Eine Jury bei O Boticário wählte den Duft aus, der am besten gefiel, ohne zu wissen, welche Version welche war. "Die überwältigende Mehrheit entschied sich dabei für das 100%-KI-gemachte Parfüm", berichtet Achim Daub. 

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Auch für Wurst und Beton

Eine Künstliche Intelligenz, die basierend auf einer Datenbank neue Kombinationen vorschlägt, hilft nicht nur im Parfümgeschäft. Der US-Gewürzhersteller McCormick beispielsweise entwickelt mit einer ähnlichen KI-Software Aromen und Geschmacksrichtungen.

Auf diesen Arbeiten basiert McCormicks neue Produktfamilie namens "One" zum Würzen von Hähnchen, Schweinefilet und Wurst. "Es gibt auch automatische chemische Labore, die neue chemische Verbindungen herstellen und bewerten", sagt Morik.

Künstliche Intelligenz ist auch dabei, die Materialwissenschaften völlig umzukrempeln. Egal ob Supraleiter, Halbleiter für Solarzellen oder Verbindungen für Akkus - statt per Glückstreffer auf neue Materialien zu stoßen und dann ihre Eigenschaften im Labor zu messen, können Forscher mit Methoden des maschinellen Lernen ganze Kandidatenbibliotheken entwerfen lassen.

Praktischerweise sagt das System die Eigenschaften der hypothetischen Verbindungen gleich mit voraus. Aus den tausenden von Vorschlägen für neue Materialien, die eine KI ausspuckt, wählen Wissenschaftler dann die aus, die realistisch sind und für die Anwendung angemessen.

Forscher der University of Illinois, vom Massachussetts Institute of Technology (MIT) und von IBM Research entwerfen mit diesem Konzept beispielsweise Vorschläge für neue Betonarten, die umweltverträglicher sind als die derzeitig gebräuchlichen Varianten. Bei ihrer Herstellung entstehen beispielsweise weniger Treibhausgase oder weniger Wasser ist nötig. Auf dem Markt angekommen sind diese Materialien allerdings noch nicht. Hier war die Parfümbranche einfach einen Schritt schneller. 

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