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Mit KI Munition im Meer aufspüren

29. November 2021

Weltweit liegen gefährliche Munitionsaltlasten auf dem Meeresgrund. Mit der Hilfe von Künstlicher Intelligenz sollen sie künftig gefunden werden. Die so entstehende Datenbank bietet aber noch viel mehr.

Deutschland | Taucher mit Altmunition in der Ostsee, in der Kolberger Heide, wo knapp 18.000 Munition liegen. Ein Viertel der Plattfische aus dem Gebiet haben Lebertumore - im Vergleichsgebiet nur fünf Prozent.
Bild: Jana Ulrich/Forschungstauchzentrum CAU Kiel/dpa//picture alliance

Daten rund um das Meer werden von vielen gesammelt. Forschungseinrichtungen, internationale Institutionen, Unternehmen, Nichtregierungs-Organisationen erforschen den Zustand von Fischbeständen, untersuchen die Beschaffenheit des Meeresbodens, erkunden Meeresströmungen oder kartografieren den Meeresboden. All diese Daten werden bislang meist nur für einen bestimmten Zweck erhoben. Andere, die diese Daten vielleicht gut verwenden könnten, wissen oft gar nichts von ihrer Existenz oder haben keinen Zugriff.

Mit Marispace X soll das anders werden. In diesem Projekt, das ein Teil der entstehenden europäischen Dateninfrastruktur Gaia-X ist, sollen in nicht allzu ferner Zukunft alle Daten zusammenfließen. Es soll eine Plattform geschaffen werden, über die der Zugriff auf maritime Daten koordiniert werden kann und ein unkomplizierter Austausch und Verarbeitung möglich wird.

Einer, der von Anfang an mit dabei war, ist Jann Wendt. Seine Vision: ein Meer ohne Munition. Allein in Nord- und Ostsee liegen nämlich rund 1,6 Millionen Tonnen Munition. "Der Großteil ist insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg in die Meere gekommen," erzählt Wendt. "Es gab einfach so viel Munition und damals beschloss man, sie auf Schiffe zu verladen und zu versenken," erzählt Jann Wendt.

Jann Wendt (im Foto), Gründer von north.io, hat die Konferenz Munition Clearance Week in Kiele 2021 initiiert. Hier diskutieren Experten wie Munitionsaltlasten im Meer gefunden und beseitigt werden können.Bild: Kiel Munition Clearance Week

Gefahr durch Giftstoffe und Explosion der Munition

Granaten, Minen und Bomben dort einfach weiter liegen zu lassen, ist nicht ratsam. "Die Zeit drängt", meint Jens Greinert vom Geomar-Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel, der seit acht Jahren über Kampfmittel in der Ostsee forscht. Die 75 Jahre alte Munition roste und werde damit immer durchlässiger und fragiler. Das mache die Bergung zunehmend schwieriger. Gleichzeitig belasteten die austretenden Chemikalien die Umwelt. Über Fische gelangten die oft krebserregenden Substanzen der Munition in die Nahrungskette. In Wasserproben aus der Ostsee hat sein Team bereits Sprengstoff nachgewiesen.

Außerdem passiert es immer wieder, dass die militärischen Altlasten Fischern ins Netz gehen und explodieren. Auch beim Bau von Offshore-Windanlangen, Brücken oder Tunneln, bei Arbeiten zur Vertiefung von Fahrwassern oder der Verlegung von Pipelines, See- oder Stromkabeln möchte niemand auf diesen explosiven Müll stoßen.

Auf dem Meeresgrund unter der geplanten Kabeltrasse zum Windpark Riffgat vor Borkum wurde diese Altmunition gefundenBild: Heinrich Hirdes GmbH/dpa/picture alliance

Das Problem ist nur: Wo liegt die Munition heute? Zwar wurden nach dem Zweiten Weltkrieg 18 sogenannte Munitionsversenkungsgebiete in der Nord- und Ostsee eingerichtet, in denen die nun unerwünschte Munition verklappt werden sollte, heißt es vom Bundesumweltamt. Allerdings ist die Munition nicht immer in ihrem vorherbestimmten Grab gelandet. Da die Fischer, die damals mit der "Entsorgung" beauftragt wurden, pro Fahrt bezahlt wurden, öffneten sie ihre Luken zum Teil schon vorab, um die gefährliche Last möglichst schnell loszuwerden.

Mit Künstlicher Intelligenz der Munition auf der Spur

Nicht nur aufgrund der schieren Größe der Wasserflächen ist die Suche per Detektoren und Sensoren sehr aufwendig und teuer. Nur ein etwa zehn Meter breiter Streifen kann von einem Schiff abgefahren werden. Eine Sisyphusarbeit. Das Ganze würde natürlich erheblich einfacher, wenn schon einigermaßen bekannt ist, wo die Suche Erfolg verspricht. Und genau da setzt die Arbeit von Jann Wendt an. 

Er und die Mitarbeiter seiner Firma north.io begeben sich für die Suche nach Munition nicht auf Hohe See, sondern beispielsweise in den Süden Deutschlands, nach Freiburg. Hier befinden sich Archive, in denen militärische Dokumente aufbewahrt werden. "Wir sammeln zahlreiche Daten aus verschiedensten Quellen ein", erzählt Wendt. "Das sind zum einen historische Daten, beispielsweise aus dem Militär-Archiv in Freiburg. Da liegen 50 Kilometer Akten allein in Papierform."

Solche historischen Dokumenten geben Informationen über Munitionsaltlasten im MeerBild: Bundesarchiv

Aus den Schiffsrouten und in den Berichten von Seeschlachten oder Luftangriffen auf Kriegsschiffe lassen sich Positionsdaten, Munitionsarten und Wetterdaten herauslesen. Die händisch zu sichten, würde aber viel zu lange dauern. Also werden die teils handschriftlich verfassten Dokumente im ersten Schritt gescannt, danach kommt Künstliche Intelligenz (KI) ins Spiel.

"Sie können sich vorstellen, dass ein Dokument, das aus dem Jahr 1944 oder 1945 stammt, nicht so schön ist wie ein heutiges Dokument", umschreibt Wendt die Problematik. Verschmutzungen, verschlissenes Papier oder undeutliche Schrift machen es oft schwer, die Inhalte auszulesen. "Die von uns entwickelte Künstliche Intelligenz kann so ein Dokument bereinigen, damit die Texterkennung es im nächsten Schritt besser bearbeiten kann", sagt Wendt.

Forschung und Wirtschaft müssen Hand in Hand arbeiten

Soweit so gut. Ganz allein damit ginge es aber nicht, sagt Wendt. "Wir verschmelzen unsere Daten mit Daten von ganz vielen anderen Akteuren." Geodaten über Meeresströmungen, bestehende Kartografierungen der Meere, Informationen anderer Forschungseinrichtungen, beispielsweise über auffällige Funde von Giftstoffe in Fischen und Muscheln in bestimmten Regionen oder in Sedimenten vervollständigen das Bild.

"In dieser Kombination der Daten steckt der eigentliche Wert", so Wendt. "Natürlich haben wir schon einen großen Datenbestand, aber wir haben sicherlich noch die nächsten 20 bis 40 Jahre zu tun, diesen Datenbestand so zu ergänzen, dass wir wirklich eine Gesamtinformation über die Belastungen der Meere erhalten. Und da sind wir einfach nicht allein dazu in der Lage."

Am Ende entsteht so eine immer genauere Datenbank mit wahrscheinlichen Munitionsfundorten, die in dem von Wendt gegründeten internationale Munitionskataster Ammunition Cadastr Sea (AmuCad.org) festgehalten werden.

Marinespezialisten sprengen auf der Ostsee vor Eckernförde eine MineBild: Carsten Rehder/dpa/picture alliance

Marispace X soll Infrastruktur für maritime Daten schaffen

Jann Wendt hofft, mit seiner Firma die Grundlage zu schaffen, dass die Munitionsaltlasten in den Weltmeeren bis 2100 beseitigt werden können. In der Ostsee könne das schon 2050 erreicht werden, glaubt er. Allerdings ist die Bergung mit erheblichen Kosten verbunden. "Es ist einfach eine Frage des politischen Willens: Wollen wir dieses Thema angehen oder nicht."

Der maritimen Datenpool von Marispace X könnte noch weitere Nutzungsmöglichkeiten eröffnen. Mit den Daten lassen sich beispielsweise geeignete Anbauflächen für Seegras finden. Solche Seegraswiesen gelten als gute CO2-Speicher. Reeder könnten mit Hilfe der Daten ihre Schiffsrouten optimieren, indem Mikroströmungen im Meer so genutzt werden, dass Schiffe energie- und kostensparender fahren. Noch aber ist alles Zukunftsmusik. Das Projekt Maricspace X soll im Januar 2022 starten. Geht alles nach Plan, steht drei Jahre später maritime Datenraum allen Interessierten offen.

Insa Wrede Redakteurin in der Wirtschaftsredaktion
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