Sezen Aksu
4. November 2011
"Öptüm" (Ich habe geküsst) heißt die immerhin 24. Scheibe der populären Sängerin und Songschreiberin, und sie macht ihrem Namen alle Ehre. Fetzige Tanzsongs sind diesmal nicht dabei, stattdessen erklingt der türkischen Blues von Liebe und Leben, versetzt mit poppige Arabesken und Ska-Rhythmen. Seichte Liedchen darf man von Sezen allerdings nicht erwarten, ihre Songs sind feministisch, politisch engagiert und im aktuellen Fall sehr poetisch.
"Ach Gott, so viel Leid, solche schlechten Nachrichten. Ich bin der Liebe dankbar, sie heilt mich", heißt es zum Beispiel in dem Lied "Aşka Şükrederim". Und in der Ode an die Freundschaft "Arkadaş Şarkinsini duyunca" lamentiert Sezen: "Das Leben ist zwischen uns gekommen; die Jahre sind bösartig geworden. Ich weine die ganze Nacht, wenn ich das Lied 'Freund' höre."
Ikone und Rebellin
Um Schicksal, Liebe und Trennungsschmerz dreht sich der musikalische Kosmos von "Öptum". In der zu Herzen gehenden Ballade "Sayim" hat sich die Sängerin von einem Gedicht des bekannten türkischen Poeten Cemal Süreya inspirieren lassen, in dem intime Küsse ausgetauscht werden: "In den Straßen küsste ich die Quelle; zuhause, im Bett, deine Lenden." Und genau diesen Küssen verdankt das Album auch seinen Titel "Öptüm".
Die in Deutschland heimischen Türken werden sich freuen, dass ihre Ikone, die immerhin schon auf eine 36-jährige Karriere zurückblicken kann, endlich auch hierzulande ein Album veröffentlicht. Denn Sezen Aksu ist nicht irgendeine x-beliebige Popsängerin: Sie war die erste Türkin, die in den 70er Jahren ihre eigenen Songs herausbrachte, und die Serie "50 Great Voices" des US-Senders National Public Radio wählte sie gar unter die weltbesten Sänger – neben Billie Holliday, Ella Fitzgerald, Nat King Cole und Placido Domingo.
Und noch auf einer anderen Liste nimmt Sezen Aksu einen Ehrenplatz ein; das englische Magazin "Songlines" führt sie neben Bob Marley und Manu Chao als Weltmusik-Rebellin auf - und das zu recht: Stets hat die Musikerin ihre Popularität genutzt, um sich für Themen einzusetzen, die ihr am Herzen liegen, darunter die Rechte von Frauen und Minderheiten. Zu einer Zeit, als die kurdische Sprache landesweit verboten war, sang sie allen Gesetzen zum Trotz auf Kurdisch und zeigte offen ihre Sympathien für das unterdrückte Volk.
Türkpop und Folkore
Sezen Aksu singt nicht nur gegen alle Tabus an, sie textet und komponiert auch, und ihre Melodien reflektieren die reiche Klanglandschaft der türkischen Kultur. Perfekt beherrscht die mittlerweile 57-jährige den Spagat zwischen Pop und Tradition. Klassik fließt ebenso in ihre Musik ein wie anatolische Folklore oder moderner Türkbeat.
Die Disconummer ist gleichwertig mit der wehmütigen Ballade; kurzum: Was das Ausnahmetalent aus Izmir abliefert, ist in der Regel von hochkarätigem Kaliber. Mehr als 500 Songs hat Sezen Aksu im Laufe ihrer Karriere geschrieben, weltweit über 20 Millionen Alben auf der ganzen Welt verkauft und mindestens 200 Auszeichnungen erhalten.
...und noch mehr Küsse
Darüber hinaus hat sie einige der größten Talente der Türkei gefördert - allen voran den Popstar Tarkan, für den Sezen das weltberühmtes Küsschenlied "Simarik" komponierte. Sie hat mit Panikrocker Udo Lindenberg und dem Balkan-Virtuosen Goran Bregovic auf der Bühne gestanden, und Filmregisseur Fatih Akin gab ihr eine Rolle in seinem Dokumentarfilm "Crossing the Bridges" über das Musikgeschehen in Istanbul.
Und jetzt hagelt es eben zehn wohldosierte Küsse: "Öptüm". Sezen Aksu überrascht zwar nicht unbedingt mit etwas Neuem, aber das hat sie auch gar nicht nötig, denn ihre altbekannten musikalischen Spielereien haben sich bewährt. Sie liefert diesmal zwar keinen richtigen Ohrwurm ab, aber wie immer solides Handwerk. Und so kann man sich bequem auf dem orientalischen Klangteppich zurücklehnen und jeden Kuss genießen. Mit diesem Album, so die Künstlerin, wolle sie vor allem eins: die gleichen warmen Gefühle vermitteln, die eine Person hat, wenn sie eine Postkarte oder Geburtstagskarte mit einem Kuss unterschreibt.
Autorin: Suzanne Cords
Redaktion: Matthias Klaus