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Politik

Kabul: Endstation Hoffnungslosigkeit?

Esther Felden
18. Januar 2018

Vor gut einem Jahr wurde Amir aus Deutschland abgeschoben. Zurück nach Afghanistan. In eine Heimat, die für ihn längst keine mehr ist. In ein Leben, das er nur schwer erträgt. In einen Alltag voller Angst.

Abgeschobene Asylbewerber nach ihrer Ankunft in Kabul
Bild: picture-alliance/dpa/M. Jawad

Eigentlich ist jedes Wort ein Hilfeschrei. Heraus klingen Frust, Mutlosigkeit und Verzweiflung. "Ich bin hier müde und verrückt geworden", erzählt Amir. Amir ist einer von über 30 Männern, die bei der ersten Sammelabschiebung Ende 2016 von Frankfurt nach Kabul geflogen wurden. Seitdem schlägt er sich durch, von Tag zu Tag. Er hat fast nichts. Keinen Job, keine Perspektive, keine Papiere, kaum Kontakte.

Nur Zeit hat er. Viel zu viel Zeit. Und wenn er vor die Tür geht, dann hat er einen ständigen Begleiter: die Angst ist immer dabei, sagt er. "Ich kann nicht durch die Straßen gehen, ohne daran zu denken, dass irgendwo eine Bombe hochgeht. Sie können ja im Fernsehen sehen, was in den vergangenen Monaten in Kabul alles passiert ist. Jede Woche gibt es Anschläge." Besonders schlimm ist die Angst seit dem Anschlag auf die Deutsche Botschaft vom 31. Mai 2017. Damals steuerte ein Selbstmordattentäter einen mit 1000 Kilogramm Sprengstoff beladenen LKW ins Diplomatenviertel und jagte sich dann in die Luft. 160 Menschen starben, mehr als 450 wurden verletzt.  Amir war acht oder neun Kilometer weit entfernt, als es passierte. Er spürte die Detonation.

Bei dem verheerenden Anschlag Ende Mai wurde auch die Deutsche Botschaft schwer beschädigtBild: Reuters/M. Ismail

Zerstörte Jugend

Amirs Lebensgeschichte liest sich traurig: Er stammt aus einem Ort ca. 100 Kilometer nordöstlich von Kabul. Seine nächsten Angehörigen hat er verloren, als er ein Teenager war. Der Vater - ein höherer Offizier der Armee - wurde ermordet, die Mutter verschwand kurz danach spurlos. Er vermutet, dass die Taliban hinter beidem stecken, Beweise dafür hat er aber nicht.

Wenige Wochen später geht auch Amir. Er flieht aus seinem Land. Mit dem Geld des Vaters kann er Schleuser bezahlen. Über den Iran, die Türkei, Griechenland, Italien und Frankreich kommt er im Frühjahr 2011 nach Deutschland, 16 Jahre alt ist er damals nach eigenen Angaben. Beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge wird sein Geburtsjahr später allerdings mit 1993 angegeben.

Die ersten Heimkehrer landeten am 15. Dezember 2016 in Kabul - in dieser Maschine saß auch AmirBild: Reuters/O. Sobhani

Nirgendwo zuhause, überall einsam

Die nächsten Jahre lebt Amir in einem Ort in Baden-Württemberg. Er hat weder einen Schulabschluss noch eine Ausbildung. Und auch keinen Pass. Er würde gern arbeiten und etwas lernen, am liebsten im handwerklichen Bereich. Aber er darf nicht. Sein Asylantrag wird abgelehnt, seit 2012 ist das Verfahren abgeschlossen, seitdem ist er eigentlich ausreisepflichtig. Aber er hat Menschen gefunden, die für ihn kämpfen. Allen voran seine Anwältin und die ehrenamtliche Flüchtlingshelferin Ute Schlipf. Sie setzen alles daran, dass er doch bleiben darf.

Doch Amir ist kein leichter Fall. Mit jedem Rückschlag stirbt seine Lebensfreude ein bisschen mehr. Er kapselt sich ab, ist selbst für die Menschen, die versuchen, ihm zu helfen, manchmal wochen- oder sogar monatelang nicht zu erreichen. "Amir ist ein sehr zurückhaltender und extrem misstrauischer Mensch. Es fällt ihm nicht leicht, Vertrauen zu fassen. Ich denke, dass er an einer tiefen Depression leidet", erzählt Ute Schlipf einen Tag nach der Abschiebung im Gespräch mit der DW. Sogar in psychologischer Behandlung sei er gewesen, habe die Therapie aber abgebrochen.  "Er sagte, es würde ihn zu sehr belasten, über das, was er erlebt hat, zu reden." Nach jeder Sitzung habe er nächtelang nicht schlafen können.

Immer wieder kommt es im Zuge der Sammelabschiebungen zu Protesten - wie hier im September 2017 in DüsseldorfBild: picture-alliance/dpa/B. Thissen

Ein folgenschwerer Entschluss

Schlipf ist diejenige, die Amir vielleicht am besten kennt. Und ihn nie aufgegeben hat, auch wenn der Umgang nicht leicht war. "Er hat immer einsame Entschlüsse gefasst. Es war schwer, mit ihm zusammenzuarbeiten."

Auch die Tatsache, dass er im Dezember 2016 tatsächlich in der Abschiebemaschine nach Kabul sitzt, geht auf eine solche einsame - und verhängnisvolle - Entscheidung zurück. Ohne Absprache mit Ute Schlipf oder seiner Anwältin meldet sich Amir wenige Monate vorher bei der Ausländerbehörde und gibt an, freiwillig ausreisen zu wollen. "Es war eine Übersprunghandlung, er war einfach total gefrustet und hat keine Zukunft mehr gesehen. Und er dachte, er würde dort zwischen 3000 und 3500 Euro Startkapital bekommen." Die Frage, was genau er in Afghanistan wolle, kann er nicht beantworten, er kennt auch niemanden dort. "Er sagte nur, hier geht nichts mehr vor und nichts zurück."

Flüchtlingsorganisationen kritisieren das Festhalten von Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) an den Sammelabschiebungen scharfBild: picture-alliance/CITYPRESS24/Krick

Kritik an Abschiebungen 

Schlipf macht dem jungen Mann klar, dass er einen Fehler gemacht hat. Tatsächlich habe Amir niemals wirklich weg gewollt. Doch alle Bemühungen, die Abschiebung noch zu verhindern, scheitern. Am Ende wird er vor den Augen von Ute Schlipf festgenommen, direkt vor dem Gebäude der Ausländerbehörde, bei der er zu einem Termin erscheinen soll. Es ist das letzte Mal, dass die beiden sich persönlich sehen.

In mehreren Bussen werden im Februar 2017 rund 50 abgelehnte Asylbewerber am Flughafen München zu der Maschine gebracht, die sie nach Afghanistan bringen sollBild: picture-alliance/dpa/M. Balk

Insgesamt acht Sammelabschiebungen nach Afghanistan gab es seit diesem ersten Flug Ende 2016. Über 150 Männer wurden seitdem nach Angaben der Bundesregierung zurück in ihre Heimat geflogen. Die letzte Maschine startete im Dezember von Frankfurt aus. Nach dem verheerenden Anschlag auf die Deutsche Botschaft wurden die Abschiebungen vorübergehend ausgesetzt. Mittlerweile haben Bund und Länder die Liste der Personen, die abgeschoben werden können, auf drei Gruppen beschränkt: Straftäter, potenzielle Gefährder und Flüchtlinge, deren Identität ungeklärt ist und die sich jeder Mitarbeit an einer Identitätsfeststellung verweigern.

Wäre Amir noch in Deutschland, würde er unter keine dieser Kategorien fallen.

Weiter verbunden, auch über die Entfernung

Der Kontakt zwischen Amir und Ute Schlipf besteht bis heute. Schlipf versucht, ihn auch aus der Ferne zu unterstützen. "Frau Ute und der Freundeskreis Asyl Abtsgmünd schicken mir jeden Monat 150 Euro mit Western Union. 50 davon zahle ich für meine Miete, den Rest habe ich zum Leben." Amir wohnt bei einer Familie in Kabul, aber richtig wohl fühlt er sich nicht, eher wie ein Fremdkörper. Drei- oder viermal pro Monat spricht er mit Schlipf, sie kommunizieren über Messenger. "Oft fragt er nach seinen 'Jungs' in den Asylunterkünften hier bei uns in Abtsgmünd. Er betont immer wieder, dass sie seine Familie seien."

Nach dem Anschlag auf die Deutsche Botschaft in Kabul wurden die Sammelabschiebungen zunächst ausgesetztBild: picture alliance/dpa/M.Balk

Auch über die ständige Angst sprechen sie miteinander. "Er schätzt die Situation in Kabul als sehr gefährlich ein. Und er hat Heimweh nach Deutschland. Einen Groll gegen die Deutschen wegen der Abschiebung hat er aber nicht. Er ist einfach nur dankbar dafür, dass wir ihn weiter unterstützen." Trotz allem hat Ute Schlipf aus ihren persönlichen Gesprächen mit ihm den Eindruck, dass es Amir langsam etwas besser geht. Das ist auch ihre große Hoffnung: Dass er sich eines Tages in Afghanistan doch wieder zu Hause fühlt. Eine Perspektive, noch einmal nach Deutschland zu kommen, gibt es erst einmal nicht. Er wünscht sich nichts sehnlicher als irgendwann endlich eine Arbeit zu finden. Daran klammert er sich.

Die Gespräche mit Ute Schlipf sind ein Fixpunkt für ihn, vielleicht sein Anker. Und auch ihr gibt es viel. Fremd geworden ist Amir ihr auch nach einem Jahr nicht. Manchmal ist es schwierig, ihn zu erreichen, manchmal muss sie auch ein paar Tage auf Antwort warten. So wie früher in Deutschland auch. Aber dann gibt es eben auch immer wieder diese Gespräche über Messenger. "Das sind ganz besondere Momente für mich. Es fühlt sich an, als würde Amir dann direkt neben mir sitzen."

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